Unser Bayern

Gefährliche Wege in den Alpen: Ausschnitt aus "Die Karrenzieher" (1872), Holzstich nach einem Gemälde von Mathias Schmid. (Foto: Wikimedia)

23.03.2023

Vom „Tuifelemaler“ zum Malerrebell

In der Gründerzeit war Mathias Schmid einer der gefragtesten Genremaler, den auch die Tourismuswerbung schätzte

"Lieber Freund Hunold!“, beginnt der Maler und Illustrator Mathias Schmid seinen Brief aus München vom 27. November 1881 an Balthasar Hunold, den Dichter und langjährigen Kustos des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum in Innsbruck. Es folgt eine für die Tourismus- und Mediengeschichte des Alpenraums interessante Nachricht: „Bei meiner diesjährigen Reise durch das Paznaun hielt ich mich mehrere Tage mit Familie in einem neu errichteten Gasthaus Zur Post in Ischgl auf. Der Wirt, Herr Heiß, bat mich, ich möchte mich dahin verwenden, daß sein Wirtshaus auch in Amthor und Baedecker komme. Ich versprach ihm, hierüber zu schreiben, und ich kann Dir nur mit bestem Gewissen versichern, daß ich lebhaft wünsche, daß dieses in jeder Beziehung vorzügliche Gasthaus in besagten Fremdenführern angezeigt wird. Dein treuergebener Freund Mathias Schmid.“

Mathias Schmid, der sich jährlich zur Erholung und zu Studienzwecken in seiner Tiroler Heimat Paznaun, einem Seitental des oberen Inntals aufhielt, veränderte mit seinen anekdotisch pointierten Bildern Sehnsucht und Sehgewohnheiten der Städter. Die Begegnung von Stadt und Land wurde zum Thema seiner Bilder. Einerseits schärfte er den Blick auf die Welt der Berge und ihrer Bewohner. Anderseits profitierte er vom Narrativ seiner Heimat als Geschäftsmodell. Der Künstler darf für sich in Anspruch nehmen, nicht nur zur Elite der erfolgreichen gründerzeitlichen Genremaler gerechnet zu werden, sondern auch für den Tourismus in den Alpen die Werbetrommel gerührt zu haben.

Schon 1866 wurde Schmid zum „Pionier der al-pinen Tourismuswerbung“ (Sabine Schuchter, Mathias Schmid, in der Zeitschrift Tirol, Nr. 86, Götzens, 2015) mit seinem großformatigen Gemälde Die Besteigung des Piz Buin in der Silvretta, ein Auftragswerk für Josef Andreas Ritter von Tschavoll. Der kunstsinnige Mäzen, Großindustrielle, Bürgermeister von Feldkirch in Vorarlberg und Abgeordnete im vorarlberger Landtag, war Mitbegründer des Alpenvereins. Er ließ sich von Schmid, mit dem er in freundschaftlicher Beziehung stand, seine Villa in Feldkirch mit einem vierteiligen Gemäldezyklus im Stil der Nazarener verschönern, unter anderem mit dem Bildnis von Kaiser Maximilian I. nach einem Holzschnitt von Albrecht Dürer. Das Kopieren der alten Meister gehörte damals zum Handwerkszeug eines akademisch ausgebildeten Malers.

Immer wieder nach Ischgl

Regelmäßige Sommeraufenthalte ab 1880 führten den in München etablierten Kunstmaler und vierköpfigen Familienvater Schmid nach Ischgl ins Haus „Löbli“ gegenüber dem Gasthaus zur Post, das er in dem zitierten Brief nannte. Der ebenfalls darin er-wähnte Ignaz Heiß war 34 Jahre alt, als sein Vater Johann Nikolaus 1881 starb und Ignaz Alleinerbe einer großen Hinterlassenschaft wurde. Heiß war als Obmann des Straßenkomitees beim Bau der 1885 begonnenen neuen Paznauer Talstraße maßgeblich beteiligt. Die touristische Er-schließung, von der nicht zuletzt auch der viel reisende Schmid profitierte, war 1886 auch ein Thema der im gesamten deutschen Sprachgebiet verbreiteten Familienwochenschrift Die Gartenlaube: „Ischgl verspricht in Zukunft, wenn erst eine bessere Straße hergestellt ist, ein reizender Sommerfrischort zu werden, wozu es durch sei-ne außerordentlich schöne Lage und die wunderbar reine und kräftige Luft sich eignet. Auch für gute Unterkunft ist – bei bescheidenen Ansprüchen – in den drei Gasthäusern, deren Besitzer wetteifern, den Wünschen ihrer Gäste nach Thunlichkeit gerecht zu werden, bestens gesorgt. Wie anheimelnd sind die zierlich getäfelten, mit altväterlichem Hausrathe geschmückten Zimmer auf der ,Post‘, von deren Fenstern man eine herr-liche Aussicht genießt! Ischgl ist auch besonders als Standquartier geeignet, um von hier aus Partien durch das Fimberthal auf das Fluchthorn, in die Jamthalergletscher, Valüllaspitze etc. zu unternehmen, was namentlich die Engländer thun, denn es ist eine eigenthümliche Erscheinung, daß das in Deutschland fast unbekannte Paznaun von Engländern schon längst besucht wird.”

Gefährliche Bahnarbeiten

Wesentlicher Motor des alpinen Massentourismus wurde die Eisenbahn, die den Stellwagen ablöste. Der für seine dramatischen Bildsujets überregional bekannte Künstler Mathias Schmid dokumentierte bereits 1866 in der Gartenlaube den spektakulären Bau der Brennerbahn zwischen Innsbruck und Bozen durch italienische Gastarbeiter und griff 1891 das Thema Frauenarbeit am Beispiel der riskanten Beseitigung von Geröllmassen auf diesen neuen Verkehrswegen auf.

Zu dieser Zeit wurden auch einige neue Schutzhütten gebaut, unter anderem die in der Silvretta gelegene Heidelberger Hütte, die von Josef Wille, dem Großvater des späteren Postwirts Rudolf Wolf, 1889 erbaut und in den ersten Jahren von Ignaz Heiß verwaltet wurde. Heiß ist geradezu beispielhaft für jenes Zeitphänomen, dass in der Berufsgruppe der Wirtshausleute viele als Pioniere des sich rapide entwickelnden Tourismus agierten. Der Maler Schmid wurde 1904 zum Ehrenmitglied der Heidelberger Alpenvereinssektion ernannt.

Die beschwerliche alte Zeit

Wie vor den weitreichenden Infrastrukturmaßnahmen das einfache und beschwerliche Leben für die Bewohner des nur auf schmalen, immer höher mäandernden Fußwegen zu erreichenden Hochgebirgstals Paznaun mit den Ortschaften See, Kappl, Ischgl, Galtür und Whirl aussah, macht Schmids ambitionierter Bildkosmos deutlich. Als Vorarbeit zu seinen Gemälden entstanden auf seinen Wanderungen unzählige Bleistiftzeichnungen, niedergelegt in 42 Skizzenbüchern, die heute das von Erwin Cimarolli aufgebaute, private Mathias-Schmid-Museum Ischgl verwahrt, neben 300 Zeichnungen, 60 Ölgemälden, Briefen und Dokumenten des zu seiner Zeit international gefeierten Malerstars. Weitere Werke Schmids befinden sich im Ferdinandeum in Innsbruck, in der Neuen Pinakothek und der Städtischen Galerie in München, in der Hamburger Kunsthalle, in der Albertina in Wien, im Nationalmuseum in Budapest, auf Schloss Landeck sowie in der Städtischen Galerie in Villingen-Schwenningen.

Tendenziell gegen den Klerus

Neben humorvollen Genredarstellungen, wie Stillvergnügt oder Die Feuerbeschau, die vor allem sein Spätwerk kennzeichnen, zeigen insbesondere seine sozialkritischen Frühwerke Schattenzeiten des bäuerlichen Alltagslebens, zeichnen das Bild starker Frauen, die wie Männer hart arbeiten. Nicht zuletzt trafen seine tendenziell gegen den Klerus gerichteten Bilder in der Ära des sich ab 1870 ausbreitenden Kulturkampfs und des Liberalismus den Nerv der Zeit. Sowohl als Manifest der sich ankündigenden modernen Malerei, als auch als radikaler Bruch mit der akademischen Malweise zu werten sind seine mit sichtbarem, breitem Pinselstrich flüchtig aufgetragenen, kühnen Landschaften mit steil aufragenden Felswänden in Pleinairmalerei ... (Angelika Irgens-Defregger)

Lesen Sie den vollständigen, reich bebilderten Beitrag in der Ausgabe März/April von UNSER BAYERN (Bayerische Staatszeitung Nr. 10 vom 10. März 2023)

Abbildungen (von oben):
Eine atemberaubende Bergwelt, die aber bezwungen werden kann: Solche Motive wie Schmids Die Besteigung des Piz Buin in der Silvretta (1866) kamen der Tourismuswerbung gerade recht. (Foto/Ausschnitt: Mathias Schmid Museum, Ischgl)
Harte Arbeitswelt: Tiroler Wildheuerinnen (1866, abgedruckt in Die Gartenlaube). (Foto: Wikimedia)
Ein Schuss Humor und Hintersinn darf sein: Mathias Schmids Die Feuerbeschau ist auch unter dem Titel Die Feuerprobe (1888) bekannt. (Foto: Lenbachhaus/Inv.Nr. G3970)

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