Wirtschaft

In dieser Versuchsanordnung wird der Kurzschluss von Elektrokabeln erforscht. (Foto: Wraneschitz)

25.02.2011

Austausch vor dem Kurzschluss

Lebensdauertest für Mittelspannungskabel: N-Ergie und Uni Erlangen arbeiten zusammen

Erdkabel in 10- bis 20-Kilovolt- Elektronetzen werden meist dann getauscht, wenn ein Fehler auftritt. Kurzschluss heißt der allgemein, und dabei fällt dann der Strom im Netz aus. In einem Nürnberger Testfeld versuchen Wissenschaftler und Energiewirtschaftler, Parameter zu definieren, die den Austausch vorherbestimmen, ehe es zum Fehlerfall kommt. Das gute, alte Masse-Mittelspannungskabel – das unbekannte Wesen. Das Kabel mit Ölpapierisolierung wird kaum mehr im Netzneubau eingesetzt. Denn seit etwa 1980 werden großteils VPE-Kabel mit vernetztem Polyethylenmantel verwendet. Trotzdem sind Massekabel immer noch weit verbreitet. Das etwa 300 000 km lange, deutsche Mittelspannungsnetz – Wert: gut 23 Milliarden Euro – besteht etwa zur Hälfte aus diesem Kabeltyp, der bereits 1890 entwickelt wurde.
Als theoretische Lebensdauer eines Massekabels gelten 40 Jahre. Doch die Verteilnetzbetreiber holen es meist erst dann aus dem Boden, wenn es geknallt hat. Dann ist nämlich der Wert des Verlustfaktors Tangens Delta zu groß, und die Spannung durchschlägt per Lichtfunken die Isolation. Am häufigsten geschieht das bei Kabeln, die zwischen 60 und 70 Jahre alt sind. Aber Durchschläge gibt es schon bei 20- wie auch erst bei 100-jährigen Kabeln. Genau ist das nie vorauszusagen. Bisher.
Noch ist die Messung des Tangens Delta die weitverbreitetste Art, die Qualität der Isolation zu bestimmen. So wird die voraussichtliche Lebensdauer abgeschätzt. Ein Verfahren mit vielen Fehlern, wie Gerhard Schwarz von der Netzgesellschaft der Nürnberger N-Ergie AG weiß. Ein zweiter Fehlertest misst das Teilentladeverhalten der Kabel, deren Ersatzschaltbild das eines Kondensators ist. Dennoch sind genaue Bewertungen trotz „120 Jahre Ölpapier-Massekabel“ bislang nicht möglich.
Das soll nun anders werden! Seit Kurzem gibt es das – nach Meinung der Erbauer – weltweit erste Versuchsfeld, in dem ein Parameter zur genauen Qualitätsbestimmung dieses Kabeltyps gefunden werden soll. „Auf fünf bis zehn Jahre genau“, wie Christian Weindl hofft. Für die wesentlich später entwickelten VPE-Kabel kennt er dagegen „weltweit etwa acht Testanlagen“.
Drei Jahre Vorbereitung hat es gebraucht, bis das Versuchsfeld in einer ehemaligen Lkw-Garage der N-Ergie aufgebaut werden konnte, berichtet der Wissenschaftler vom Erlanger Uni-Lehrstuhl für Elektrische Energieversorgung EEV. Zwei Jahre Mess- und Auswertezeit geben sich Weindl und die Doktorandin Ivana Mladenovic für das Finden dieses Qualitäts-Parameters.
Der Parameter sei auch dringend nötig, meint Gerhard Schwarz. Denn der Netzbetrieb wird immer mehr von der Bundesnetzagentur beäugt. Die legt die Durchleitungsgebühren für die einzelnen Stromnetzbetreiber fest, also auch für die N-Ergie. Mit einer klaren, auf nachvollziehbaren Alterungswerten beruhenden Austauschstrategie für die Mittelspannungskabel hofft Schwarz, die Agentur leichter von der Seriosität der Netzkostenberechnung überzeugen zu können. Über 700 000 Euro hat sein Unternehmen deshalb in das Projekt gesteckt; Fördermittel von Bund oder Land gibt es dafür keine. Nur ein bayerischer Kabelhersteller und ein amerikanisches Diagnoseunternehmen sind bei der Kabelforschung mit an Bord. Die interessanten Teile für das Nürnberger Prüffeld haben die Erlanger Uni-Mitarbeiter selbst entwickelt. Zum Beispiel jene zwei Transformatoren, mit denen die Alterung beschleunigt wird: Einer legt eine 50-Hertz-Spannung von bis zu 50 kV zwischen Leiter und Mantel an; ein zweiter Trafo mit Gleichrichter – er liefert maximal 600 Ampere bei 36 Volt – erwärmt den Leiter auf weit über 100°C. „Ein Jahr hier sind 50 Jahre in der Erde“, beschreibt Weindl die erhöhten Belastungen der Mittelspannungskabel im Prüffeld.
Mehrere Dutzend Kabel, jeweils 13 Meter lang, sind zwischen den beiden Böcken mit den ölliefernden Endverschlüssen eingelegt. Von fabrikneu bis zu alten aus dem Jahr 1951 finden sich hier Testobjekte. „Zwei Mal am Tag erfassen wir hochgenau insgesamt je 840 Parameter. Aber nicht nur den Tangens Delta oder die Kapazität für das Teilentladungsverhalten bei verschiedenen Spannungen“, erklärt Weindl den Versuch. Alles laufe automatisch und ferngesteuert vom Erlanger Unibüro aus.
Über die zwei Versuchsjahre kommen 200 Gigabyte Daten zusammen. Ivana Mladenovic ist sicher: Daraus werde sie jenen Qualitätsparameter bestimmen können, der „eine Empfehlung einer guten Strategie zum Kabeltausch“ möglich macht. An dem haben inzwischen viele andere Netzbetreiber Interesse, freut sich N-Ergie-Mann Gerhard Schwarz.
(Heinz Wraneschitz)

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