Wirtschaft

Mit dem ICE ist man von Aschaffenburgs Hauptbahnhof innerhalb einer halben Stunde in die Finanzmetropole Frankfurt gereist. Zum internationalen Luftverkehrsdrehkreuz, dem Frankfurter Flughafen, dauert die Fahrt gerade einmal eine Dreiviertelstunde. Das sind gewichtige Standortvorteile für die Region Bayerischer Untermain. (Foto: dpa)

08.12.2017

Bayerischer Untermain profitiert vom Brexit

Stadt und Landkreis Aschaffenburg bereiten sich auf den Zuzug von Briten vor

Auch wenn immer noch keine Klarheit darüber besteht, wie die künftigen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Großbritannien aussehen werden, steht eins schon fest: Der Großraum RheinMain wird vom Brexit profitieren. Darin sind sich Aschaffenburgs Oberbürgermeister Klaus Herzog (SPD), Ulrich Reuter (CSU), Landrat des Landkreises Aschaffenburg und Eric Menges, Geschäftsführer der Marketingagentur FrankfurtRheinMain GmbH, einig. Schon jetzt seien Frankfurt am Main und das Umland mit seinen 5,5 Millionen Einwohnern eine Boomregion. Der Brexit werde diese Dynamik noch einmal beflügeln.

„Bisher ist die Lage noch entspannt“, sagt Landrat Reuter der Staatszeitung. Denn erst einmal sei die Nachfrage nach Büroflächen in Frankfurt selbst zu befriedigen. „Dort gibt es bereits erhöhten Bedarf wegen des Brexit“, erläutert der Geschäftsführer der Marketingagentur. Denn laut Menges stehen die britischen Banken unter Zeitdruck: „Sie müssen eine Banklizenz für die EU erwerben, wenn sie dort weiterhin Geschäfte machen wollen. Und so eine Lizenz zu erhalten, könne schon mal bis zu einem Jahr dauern.“ Allerdings würden dann nicht alle britischen Banken komplett in die Mainmetropole umziehen. „Viele von ihnen haben bereits Büros in Frankfurt und stocken diese jetzt personell auf“, so Menges. Aktuell hätten unter anderem JP Morgan und Goldman Sachs angekündigt, ihr Engagement in Frankfurt verstärken zu wollen.

Verfügbare Industrieflächen im Raum Aschaffenburg


Was Industrieansiedlungen angeht, so sei der Raum Aschaffenburg durchaus von Interesse für Unternehmen, betont der Marketingexperte. Denn in Frankfurt selbst gebe es kaum Flächen, die groß genug wären, um dort signifikant Industrie und Gewerbe ein neues Zuhause zu geben. Darum könnten Stadt und Landkreis Aschaffenburg durchaus profitieren, wenn nach den Banken auch britische Unternehmen wegen des Brexit eine neue Niederlassung in der EU eröffnen wollen. Die Otto-Beisheim-Schule für Management hat laut OB Herzog der gesamten Region für die kommenden Jahre rund 88.000 neue Arbeitsplätze außerhalb der Finanzbranche prognostiziert.

„Wir vermarkten die gesamte Metropolregion RheinMain. Da sind 27 Gesellschafter dabei. Wenn eine Ansiedlung bei einem davon stattfindet, gewinnt der gesamte Großraum“, erklärt Menges. Eifersüchtiges Kirchturmdenken habe man längst überwunden. Das bestätigen auch Landrat Reuter und OB Herzog. Sie schätzen die Zugehörigkeit zu Bayerns dritter, wenn auch Bundesländer-übergreifenden Metropolregion.

In einer halben Stunde ist man laut OB Herzog am Frankfurter Hauptbahnhof. Das habe Aschaffenburg schon in den letzten Jahren enormen Schub verliehen, den die bayerische Staatsregierung, seit es das Heimatministerium gibt, laut Herzog tatkräftig mit unterstützt hat. Inzwischen habe man in der Staatskanzlei nicht nur die Metropolregionen München und Nürnberg auf dem Radarschirm, sondern auch die Metropolregion RheinMain. „Wir sind hier am Bayerischen Untermain dankbar, dass wir vor 20 Jahren die letzte bayerische Hochschule bekommen haben“, so der Aschaffenburger Oberbürgermeister. Mit Betriebswirtschaftslehre und Recht sowie Ingenieurwissenschaften sei es dort losgegangen. Inzwischen kamen die Fachbereiche Gesundheitswirtschaft und Materialwissenschaften hinzu. „Der Freistaat investiert jetzt rund 50 Millionen Euro in neue Labore und Gebäude an der FH Aschaffenburg“, so Herzog.

Flughafen Frankfurt bietet genügend Verbindungen nach London


Auch dieses wissenschaftliche Umfeld werde dazu beitragen, dass der Bayerische Untermain von „der zweiten Welle des Brexit“, wie es Landrat Reuter formuliert, profitieren wird. In der Anfangszeit würden die Briten wohl erst einmal die Woche über an ihren neuen Arbeitsplätzen verbringen und übers Wochenende nach Hause fliegen. Der nahe internationale Frankfurter Flughafen biete ja genügend Verbindungen nach London und andere britische Städte. Wenn dann einmal klar sei, dass die Arbeitnehmer länger im Großraum Frankfurt bleiben, würden sie auch mit ihren Familien nachkommen. Dann könne der Bayerische Untermain mit dem Spessart als riesigem Naherholungsgebiet punkten.

Der Frankfurter Flughafen ist laut Regionalmarketingspezialist Menges sowieso der Dreh- und Angelpunkt für die wirtschaftliche Dynamik im Großraum RheinMain. Von Aschaffenburg aus sei man in einer Dreiviertelstunde dort und könne in alle Welt fliegen. Das sei ein enormer Standortvorteil. Darum habe sich zum Beispiel auch vor einiger Zeit die Motorsportdivision des koreanischen Autoherstellers Hyundai in Alzenau (Landkreis Aschaffenburg) niedergelassen. Vorher waren sie in Großbritannien. „Für international agierende Unternehmen ist Frankfurt erst einmal recht klein“, so Menges. Wenn sie dann aber erst einmal den Großraum mit all seinen Vorzügen, wissenschaftlichen und kulturellen Einrichtungen gesehen haben, wären sie begeistert. „Da reicht es schon, festzustellen, dass man innerhalb von 20 Minuten in einem bayerischen Biergarten sitzen kann“, erläutert der Marketingfachmann.

Hype in Frankfurt


Angesichts des Hypes in Frankfurt, wie OB Herzog die dortige wirtschaftliche Dynamik bezeichnet, stellt sich die Frage, ob der Großraum vor einer Überhitzung steht. FrankfurtRheinMain-Marketingchef Menges sieht das nicht. Und Landrat Reuter beruhigt: „Wir haben noch zig Hektar an Flächenreserven.“ Er will aber erst einmal abwarten, was wirklich an ansiedlungswilligen Unternehmen aus Großbritannien kommt. Dann erst werde mit der Flächenentwicklung begonnen. Anonsten riskieren die Landkreiskommunen auf den Arealen sitzen zu bleiben.

Menges wird mit seinem Team ab Januar 2018 ein Büro in London betreiben, um den Briten den Großraum Frankfurt näherzubringen. Dann kann er interessierten Unternehmen direkt einen Termin bei OB Herzog oder Landrat Reuter verschaffen. „Bürokratie ist für die Firmen dann kein Thema mehr. Wir nehmen sie an die Hand“, betont Menges. Die Marketingagentur FrankfurtRheinMain hat bereits Büros in den USA, Shanghai und Indien.

Damit die Dynamik in Bayerns dritter Metropolregion auch weiterhin anhält, haben Herzog, Menges und Reuter auch ein paar Wünsche an die Staatsregierung in München. Menges wäre schon glücklich, wenn der Freistaat Mitglied bei der Marketingagentur FrankfurtRheinMain werden würde. Landrat Reuter hätte gerne, dass die Infrastuktur stets an den Bedarf angepasst und die dafür nötigen finanziellen Mittel bereitgestellt werden würden. Gerade die Mainvertiefung bei Aschaffenburg für den Binnenschiffverkehr und der immer weitere Ausbau der Autobahn A3 von Frankfurt über Würzburg nach Nürnberg seien extrem wichtig für die Wirtschaft. Auch den ICE-Halt Aschaffenburg aufrechtzuerhalten, sei essenziell für den Bayerischen Untermain, damit die Region an Frankfurt und den Flughafen gut angebunden bleibt. „Das bedeutet im Klartext: keine Mottgersspange“, so Reuter. Realisiert die Bahn diese, würden alle ICEs von Hanau aus nördlich nach Fulda und von dort nach Würzburg fahren. Aschaffenburg wäre dann abgehängt.

„Wir brauchen nicht nur Geld, sondern straffere Planungsprozesse“


OB Herzog wünscht sich, dass der Freistaat die Zukunftseinrichtungen wie Hochschule, Fraunhofer Institut, digitales Gründerzentrum und Technologiezentrum weiterhin fördert. „Damit die Mobilitätsdrehscheibe Bayerischer Untermain weiter ausgestaltet werden kann, brauchen wir nicht nur Geld, sondern straffere Planungsprozesse“, so der Aschaffenburger Oberbürgermeister. Und im Bildungsbereich wünscht er sich den Ausbau der Ganztagesschule, um die Berufstätigkeit beider Elternteile zu ermöglichen. Denn jetzt schon leide die Wirtschaft extrem unter dem Fachkräftenachwuchs.
(Ralph Schweinfurth)

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