Wirtschaft

Betriebsprüfer „erwirtschaften“ erhebliche Mehreinnahmen für Staat und Kommunen. (Grafik: dpa)

15.01.2010

Betriebsprüfer schonen München

Besonders in der Landeshauptstadt scheinen Firmen wegen chronischer Überlastung der Finanzverwaltung glimpflicher davon zu kommen als in anderen Teilen Bayerns

Richtig ärgerlich findet es Nürnbergs Finanzreferent Harald Riedel (SPD), wenn Bürger und Unternehmer meinen, sie zahlen zu viel Steuern. Denn wie selbstverständlich nutzen sie kommunale Infrastruktur. U-Bahn, Straßenbahn, Busse, Frei- und Hallenbäder, Bibliotheken oder Kindergärten – alles Einrichtungen, deren Dienste gerne in Anspruch genommen werden, für die man aber am besten nichts zahlen braucht. „In Skandinavien gibt es gar keine Diskussion. Da sieht man die Notwendigkeit für Steuern vorbehaltlos ein, um öffentliche Infrastruktur zu finanzieren. Und dass, obwohl die Steuern in Dänemark, Schweden und Norwegen wesentlich höher sind als in Deutschland“, konstatiert Riedel.
Vollends genervt ist er aber, wenn er an die bayerische Finanzverwaltung denkt. 9 Millionen Euro an Steuereinnahmen entgehen pro Jahr allein der Stadt Nürnberg, weil für die Kommune zu wenig Betriebsprüfer unterwegs sind. „Von dem Geld könnten wir 180 zusätzliche Kindergärtnerinnen bezahlen oder alle maroden Brücken im Stadtgebiet sanieren oder sämtliche Schultoiletten modernisieren oder einen Schulneubau mittlerer Größe realisieren“, rechnet der Finanzreferent der Frankenmetropole vor.
Nicht genau quantifizieren kann den jährlichen Fehlbetrag sein Aschaffenburger Kollege Meinhard Gruber. „Das sind einfach zu unterschiedliche Vorgänge, die da Jahr für Jahr zu Buche schlagen“, meint er. Der Finanzreferent der unterfränkischen Stadt vor den Toren der Mainmetropole Frankfurt lenkt den Fokus aber auf ein zusätzliches Problem der Personalknappheit in der bayerischen Finanzverwaltung. „Wir werden sehr spät darüber informiert, dass eine Firma Gewerbesteuer nachzuzahlen hat.“ In der Regel würden Gruber und seine Mitarbeiter erst nach drei bis fünf Jahren mitgeteilt bekommen, dass ein Betrieb noch Steuern an die Stadt Aschaffenburg überweisen muss. „Dann sind einige dieser Unternehmen aber schon insolvent und wir gehen leer aus.“ Pro Jahr trifft Aschaffenburg zwischen zehn und 15 Mal dieses Schicksal und der Stadtkasse entgehen so zwischen 300.000 und 400.000 Euro.
„Dass die Kommunen über Gewerbesteuernachzahlungen aufgrund von Betriebsprüfungen erst nach mehreren Jahren informiert werden können, trifft zu“, sagt Bayerns Finanzminister Georg Fahrenschon (CSU). Der Grund sei, dass eine Betriebsprüfung grundsätzlich mehrere Jahre umfasst. Geänderte Steuerbescheide könnten naturgemäß erst nach Abschluss der Prüfung ergehen. „Mit einer Arbeitsbelastung des Innendienstes hat dies daher nichts zu tun“, so der Minister.
„Die Personalprobleme sind dem Finanzministerium bekannt“, sagt Josef Bugiel, Vorsitzender der Bayerischen Finanzgewerkschaft. Deshalb ist er froh, dass die Staatsregierung im Doppelhaushalt 2009/2010 die Einstellung von 500 neuen Finanzbeamten vorgesehen hat. „Wenn das die nächsten fünf Jahre so weitergeht und wir dann am Ende 1250 neue Stellen in der Finanzverwaltung haben, sind wir auf einem guten Niveau“, betont der Finanzgewerkschafter. Er verweist darauf, dass bei bundeseinheitlicher Personalrechnung dem Freistaat rein kalkulatorisch 3000 Stellen in der Finanzverwaltung fehlen. Doch in keinem Bundesland sei die Personalausstattung der Finanzverwaltung ausreichend. „Aber Bayern bildet definitiv das Schlusslicht“, sagt Bugiel. „Beurteilungsmaßstab für die Effektivität und Qualität der Außenprüfung sind insbesondere die festgestellten Mehrsteuern. Bayern liegt aufgrund der hervorragenden Arbeit seiner Betriebsprüfer sowohl absolut als auch beim Mehrergebnis pro Prüfer mit an der Spitze aller Bundesländer“, kontert Fahrenschon.
Finanzgewerkschafter Bugiel hält den jetzt eingeschlagenen Weg für richtig. Mit 500 Leuten zusätzlich könnte man schon eine Menge Steuermehreinnahmen für Bayern generieren. „Statistisch bringt jeder Prüfer im Schnitt 1 Million Euro an zusätzlichen Steuereinnahmen“, erklärt er. Und die 500 Neulinge, die dazukommen, würden pro Jahr mindestens 500.000 Euro an Mehreinnahmen für den Freistaat bringen. „Dafür trau ich mich, meine Hand ins Feuer zu legen“, sagt Bugiel.
Die 500 neuen Finanzbeamten sind laut dem Vorsitzenden der Bayerischen Finanzgewerkschaft eine gute Größe. Denn für mehr reiche die Ausbildungskapazität in der Finanzverwaltung gar nicht. Erst nach ein paar Jahren sind die Leute so fit, dass jeder von ihnen deutlich mehr als eine halbe Million Euro an zusätzlichen Steuereinnahmen schafft. „Somit hat der Finanzreferent von Nürnberg schon recht. Denn mehr Leute – egal ob im Außen- oder im Innendienst – bringen auch den Städten in Bayern mehr Geld“, so Bugiel, weil der „Steuerkuchen“ zwischen Bund, Freistaat und Kommunen aufgeteilt wird. Nur mehr Prüfer auf die Straße zu schicken, bringt laut Bayerns oberstem Finanzgewerkschafter nichts. Denn die Ergebnisse, die diese Personen mitbringen, müssen in den Finanzämtern von den Innendienstlern bearbeitet werden. Und wenn die zu viel zu tun haben, kommt es zu Effekten, wie sie der Aschaffenburger Finanzreferent beschrieben hat.
Weil derzeit gerade im Großraum München so viele Finanzbeamte fehlen, gilt Südbayerns Metropolregion als Mekka für Firmenansiedlungen im Freistaat. Ein hoher Beamter des Finanzamtes Neumarkt/Opf. bestätigt der Staatszeitung, dass in Unternehmerkreisen schon seit Jahren München als Standort in Bayern empfohlen wird, weil die dortige Finanzverwaltung hoffnungslos überlastet sei. „Die Steuerbescheide für München werden im gesamten Freistaat bearbeitet“, erklärt der Neumarkter Finanzbeamte, der sehr viel Einblick in die gesamtbayerischen Strukturen hat. Und auch Bugiel bestätigt die Personalknappheit in München. Dass daraus Firmen versuchen, Profit zu schlagen, indem sie darauf setzen, weniger oder ungeschoren bei der Betriebsprüfung davonzukommen, kann er nicht bestätigen. Aber allein die Logik lasse diesen Schluss zu. „Darum werden von den 500 neuen Finanzbeamten die meisten wohl in München landen“, sagt Bugiel. Denn in Franken und der Oberpfalz seien die Finanzämter personell noch vergleichsweise gut aufgestellt. Finanzminister Fahrenschon verweist darauf, dass das Gesamtmehrergebnis der Betriebsprüfung im Wesentlichen durch Einzelfälle geprägt ist. Es treffe einfach nicht zu, dass bei einer Erhöhung des Personalbestands die Mehrergebnisse in gleichem Maße ansteigen. „Die Münchner Betriebsprüfung zum Beispiel erzielt 90 Prozent ihrer Mehrergebnisse bei der Prüfung der Groß- und Größtbetriebe.“ Diese Betriebe werden laut Fahrenschon in ganz Bayern und natürlich auch in München lückenlos geprüft. (Ralph Schweinfurth)

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