Wirtschaft

Die EU-Kommission in Brüssel: Im Inneren dominiert vor allem die Bürokratie. (Foto: dpa)

17.03.2017

Brüssels Milliarden fließen vor allem an die Großen

Geldverteilung à la EU: Kleine und mittlere Unternehmen gehen oft leer aus

Die Förderprogramme der Europäischen Union sind milliardenschwer. Aber kleine und mittlere Unternehmen haben wenig Chancen, davon etwas abzubekommen, denn das meiste Geld wandert in andere Kanäle. Anderswo können Mittelständler schneller und unkomplizierter zu Geld kommen – so zum Beispiel in Bayern mit dem neuen „Digitalbonus“. Großunternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen haben die Innovation nicht gepachtet. Wegweisende Ideen und Neuentwicklungen entstehen häufig vielmehr in kleinen Betrieben, unscheinbaren Werkstätten und unauffälligen Erfinderbüros. Sie haben jedoch oft nicht nur Probleme, auf sich aufmerksam zu machen. An ihnen fließt zudem viel Geld vorbei, mit denen die Arbeit an der Welt von morgen staatlich gefördert wird. Aus milliardenschweren EU-Fördertöpfen bekommen die meisten kleinen und mittleren Unternehmen wenig oder nichts – das ist die Erfahrung von Hartwig von Bülow, dem Leiter der Abteilung Innovation, Technik und Umwelt bei der Handwerkskammer für München und Oberbayern.

Es wirkt paradox. Eigentlich sollen Unternehmen und Wissenschaft zusammengespannt werden, damit innovative Projekte vorangebracht werden. Bei der EU gibt es sogar ein spezielles Förderprogramm für kleine und mittlere Unternehmen, die im Behördenjargon „KMU“ genannt werden. Dieses „KMU-spezifische Instrument“ ist Teil des Rahmenprogramms für Forschung und Innovation „Horizont 2020“, das für die Jahre 2014 bis 2020 gilt.

Doch schon der gewaltige bürokratische Aufwand schreckt die allermeisten kleinen und mittleren Unternehmen ab. Sie müssen zwar nicht mehr unbedingt die alte Forderung erfüllen, dass Partner aus drei verschiedenen EU-Staaten an einem Antrag beteiligt sein müssen. „Theoretisch können jetzt auch einzelbetriebliche Vorhaben gefördert werden“, sagt von Bülow. Aber wer an EU-Gelder kommen will, muss nach wie vor eine wahre Antragsflut bewältigen, einen Businessplan erstellen – und enorm viel Geduld haben.

Kredit von der Hausbank ist unbürokratischer zu haben


Von Bülow hält den Weg für kleine und mittlere Unternehmen zur EU, über soviel Geld sie auch regiert, deshalb für weniger ratsam. Sinnvoller ist es seiner Meinung nach, andere Möglichkeiten zu suchen. Nicht zu unterschätzen seien die immer noch sehr günstigen Zinssätze: „Die eigene Hausbank kann einen vergleichbaren Kredit oft sehr viel unbürokratischer anbieten.“ Helfen kann gelegentlich auch die Unterstützung einer Förderbank wie der LfA in Bayern oder der KfW im Bund.

Wenn an eine öffentliche Förderung gedacht wird, empfiehlt von Bülow zunächst eine Prüfung, ob es geeignete bayerische oder deutsche Programme gibt. Gut anzukommen scheint zum Beispiel der neue „Digitalbonus“, mit dem der Freistaat Bayern im Rahmen der Initiative „Bayern Digital“ kleine und mittlere Unternehmen dabei unterstützt, ihre Produkte, Prozesse und Dienstleistungen zu digitalisieren und die IT-Sicherheit zu verbessern. Rund 500 Anträge sollen für ihn bereits in verhältnismäßig kurzer Zeit eingegangen sein. Als Fördermaßnahmen für kleine und mittlere Unternehmen gibt es außerdem „Innovationsgutscheine“ (Bayern) bei kleineren Projekten in fünfstelliger Euro-Höhe, „ZIM“ (Bund) für etwas größere Vorhaben, speziellere Programme wie „ZIM-SOLO“, bei einer Zusammenarbeit mit der Wissenschaft auch Förderungen durch die „Bayerische Forschungsstiftung“. Allein Innovationsgutscheine sind in den vergangenen fünf Jahren in Bayern bereits 2500 Mal in Anspruch genommen worden. „Besonders wichtig ist es, dass die Unternehmen das Geld schnell und unkompliziert bekommen“, sagt von Bülow.

Mittelständler sind zurückhaltend


Wenn es mit EU-Förderungen überhaupt klappt, dann kann es dagegen nach den Erfahrungen des Kammerexperten eineinhalb bis zwei Jahre oder länger dauern. Entsprechend zurückhaltend sind Mittelständler bei Bemühungen um Gelder aus Brüssel längst geworden. Gerade mal sechs Prozent der Unternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitern beantragen überhaupt Finanzhilfe bei der EU – das hat sie mit einer eigenen Umfrage ermittelt. Es gilt als erwiesen, dass die kleinsten Betriebe in der EU die geringsten Förderungen erhalten. Die allermeisten der kleinen und mittleren Unternehmen versuchen erst gar nicht, sich durch den Bürokratiedschungel zu schlagen, oder sie scheitern an den Voraussetzungen. Dagegen kommen umso mehr Subventionen zustande, je größer die Antragsteller sind. 21 Prozent aller Unternehmen mit über 50 Mitarbeitern erhalten finanzielle Unterstützung, wie die Umfrage ergeben hat. Größere Unternehmen beschäftigen üblicherweise Spezialisten, die die Schliche kennen und durchaus immer wieder an die begehrten Gelder kommen. Aber Mittelständler können sich das in der Regel nicht leisten.

Beim Versuch, sich in der Antragsbürokratie der EU-Förderungen zurechtzufinden, ist schon so mancher Unternehmer verzweifelt. Viele Berater bieten ihre Unterstützung an, aber auch die wollen dafür Honorar haben. Und wenn sich eine kleinere Firma dann tatsächlich durch die Bürokratie gewühlt und alles endlich erledigt hat, bekommt sie noch lange kein Geld. Nur etwa jeder zehnte Antrag wird überhaupt bewilligt. Von diesem Zehntel, das übrigbleibt, wird nur jeder Dritte gefördert – insgesamt also nur jeder 30. aller Antragsteller.

Bei der EU gibt ein Ziel, dass 15 Prozent der Fördergelder an „KMU“ fließen sollten. Wenig genug, aber selbst davon scheint man noch weit entfernt zu sein. Allein „Horizon 2020“, das größte jemals von der EU aufgelegte Forschungsrahmenprogramm, umfasst beispielsweise ein Budget von etwa 80 Milliarden Euro. Demgegenüber haben aus einem Rahmenprogramm für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation, das mittlerweile in „Horizon“ aufgegangen ist, in ganz Europa rund 300.000 kleine und mittlere Unternehmen 2007 bis 2013 zusammen etwas mehr als 16 Milliarden Euro als Darlehen erhalten. Auf etwa 35.000 kleine und mittlere Unternehmen aus Deutschland entfielen davon 1,5 Milliarden Euro.

Auffallendes Missverhältnis


Interessante Hinweise auf die Größenverhältnisse liefert auch ein „Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums“, kurz „ELER“: Sein Gesamtbudget umfasst mehr als 77 Milliarden Euro, aber davon haben deutsche KMU von 2007 bis 2013 gerade mal 0,7 Prozent bekommen. Oder der so genannte Regionalfonds: Aus ihm haben deutsche „KMU“ sie im selben Zeitraum 14,5 Prozent des Gesamtbudgets von 307 Milliarden Euro bekommen.
Solche Förderanteile für „KMU“ stehen in auffallendem Missverhältnis zu deren wirtschaftlicher Bedeutung. Zwischen 2008 und 2010 haben sie mit 85 Prozent tatsächlich neu geschaffener Arbeitsplätze die größte Beschäftigungsquote aufgewiesen, wie die EU-Kommission selbst in einer Studie ermittelt hat. 85 Prozent der Fördergelder aber fließen offensichtlich anderswo hin, nicht zu den „KMU“.

Der Innovationsexperte von Bülow kennt „extrem wenige Fälle“, bei denen es geklappt hat. Die meisten EU-Förderprogramme sind zudem nach seiner Meinung für Forschungs- und Entwicklungsvorhaben vergleichsweise unattraktiv und kompliziert, oft sogar finanziell ungünstig, so, wenn Darlehen ausgereicht werden: Diese seien wesentlich weniger attraktiv als Förderprogramme, bei denen nicht-zurückzahlbare Zuschüsse von zum Beispiel 50 Prozent der gesamten Projektkosten gewährt werden.

Offenbar stellt schon das Verständnis von kleinen und mittleren Unternehmen ein Problem dar. In vielen Förderprogrammen ist eine Definition maßgeblich, nach denen „KMU“ weniger als 250 Mitarbeiter beschäftigen und jährlich höchstens 50 Millionen Euro Umsatz erzielen. Es gibt zwar noch weitere Unterscheidungen zwischen „kleinen und mittleren Unternehmen sowie „Kleinstunternehmen“, doch Vieles, was in der EU-Bürokratie geschieht, scheint sich eher an der oberen Grenze zu orientieren. Aber durchschnittlich beschäftigen Unternehmen in Deutschland gerade mal 11,5 Mitarbeiter – große Konzerne einbezogen. Im Handwerk sind es sogar nur fünf Personen.

Das „KMU“-Programm der EU soll unter anderem weniger forschungsintensiven Unternehmen ermöglichen, Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten an Forschungsdienstleister auszulagern. Drei Milliarden Euro umfasst dieses Programm für sieben Jahre. Im Durchschnitt sollen je Fall 1,5 Millionen Euro gewährt werden. In der wirtschaftlichen Realität sieht es jedoch ganz anders aus: Die meisten kleinen und mittleren Unternehmen benötigen solche Summen bei weitem nicht. Bei Finanzbedarf für Neuentwicklungen geht es üblicherweise eher um ein paar tausend Euro, vielleicht mal 100.000 oder 200.000 Euro, selten mehr.

Das Personal kann nur 2000 Fälle bearbeiten


Wie sie auf 1,5 Millionen Euro kommen, wurden Vertreter der EU-Kommission vor einiger Zeit bei einer Veranstaltung über das KMU-Programm gefragt. Ihre Antwort fiel verblüffend offen aus: Mit dem vorhandenen Personal, erklärten sie, könne die Kommission nur 2000 Fälle bearbeiten – also habe man den Gesamtbetrag durch 2000 geteilt. Macht bei drei Milliarden Euro 1,5 Millionen pro Fall. Es geht also überhaupt nicht um den tatsächlichen Bedarf, sondern darum, was wie viele Beamte in welcher Zeit maximal bewältigen können. Lieber mehr Geld pro Fall ausschütten, das bringt insgesamt weniger Arbeit.

Was die 1,5 Millionen Euro betrifft, kann von Bülow nur den Kopf schütteln. „Ich kenne kein Vorhaben, bei dem solche Summen im Raum standen“, sagt er, „nicht einmal von großen KMU.“ Aufgrund der Angaben lässt sich übrigens leicht errechnen, was wohl letztlich bei dem KMU-Programm herauskommen kann: 2000 Fälle, geteilt durch 28 EU-Mitgliedsstaaten, geteilt durch sieben Jahre – das ergibt zehn Fälle für Deutschland. Bei 16 Bundesländern also weniger als einen einzigen Förderfall für Bayern.

Immer wieder mal rafft sich die EU-Kommission zu Methoden auf, die Probleme in den Griff zu bekommen. Um mehr für die „KMU“ zu tun, hat sie beispielsweise für 2014 bis 2020 ein weiteres 2,3-Milliarden-Euro-Programm namens „COSME“ aufgelegt, das kleinen und mittleren Unternehmen unter anderem den Zugang zu Finanzmitteln und globalen Märkten erleichtern soll. Aber dieses Programm soll eher zum Aufbau einer europa- und innovationsfreundlichen Infrastruktur beitragen und dabei unter anderem das Enterprise Europe Network (EEN) unterstützen, ein Netzwerk von beratenden Organisationen. „KMU“ haben also allenfalls mittelbar etwas davon.

„Agenda für intelligente Regulierung“


Weitere Konsequenzen zu ziehen versucht die EU mit einer „Vereinfachungsagenda“ für den „Mehrjährigen Finanzrahmen“ (MFR) der Jahre 2014 bis 2020 oder einer „Agenda für intelligente Regulierung“. Aber das alles wirkt wiederum eher kompliziert. So enthält die Vereinfachungsagenda allein mehr als 120 Änderungen „zur Vereinfachung der Vorschriften über EU-Fördermittel“. Die EU-Kommission ihrerseits zweifelt an den Wirkungen, weil auf nationaler Ebene in vielen Fällen ergänzende Bestimmungen zu EU-Vorschriften erlassen werden. Damit verbreitet sich der bürokratische Dschungel kräftig weiter – in die Mitgliedsstaaten hinein.
(Lorenz Goslich)

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