Wirtschaft

Wegen der Corona-Pandemie haben Arbeitgeber vorgeschlagen, die tägliche Höchstarbeitszeit von zehn auf zwölf Stunden zu verlängern. Doch die Begrenzung der Arbeitszeit gehört zu den Grundrechten der Arbeitnehmer in der Charta der Europäischen Union und dient dem Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Beschäftigten. (Foto: dpa/Dmitry Feoktistov)

02.06.2020

Corona darf nicht zu einem sozialen Rückschritt führen

Ein neuer Beschäftigungspakt für den Wiederaubau der Wirtschaft

Noch ist nicht absehbar, wie sich die Corona-Krise auf die Wirtschaft auswirken wird. Ökonomische Prognosen sind derzeit schwerer denn je. Im ersten Quartal des Jahres sank die deutsche Wirtschaftsleistung um 2,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr. In Italien, Frankreich und Spanien waren es etwa fünf, in China sogar knapp sieben Prozent - was der deutschen Automobilwirtschaft enorm zu schaffen machte. Das schlimmere Quartal wird in Europa das zweite sein: Hier rechnet das Ifo-Institut allein in Deutschland mit einem Einbruch von rund 12 Prozent. Die Bundesregierung geht von einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 6,3 Prozent in diesem Jahr aus. Im nächsten Jahr erwartet sie einen Zuwachs von 5,2 Prozent. Zu Beginn von 2022 soll der Stand von vor der Pandemie erreicht werden.

Auch mit einem deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit wird gerechnet. Im April 2020 waren bundesweit 300.000 Menschen mehr arbeitslos als im März. Das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung erwartet in den nächsten Monaten über drei Millionen Arbeitslose, mit einem Rückgang ab August dieses Jahres. Im Jahresschnitt geht das Institut von 2,8 Millionen aus, ebenso das Kieler Institut für Weltwirtschaft für dieses und das nächste Jahr. Das wäre eine halbe Million mehr Arbeitslose als 2019, als die Arbeitslosigkeit so gering war wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr. Die Arbeitslosenquote würde von 5,0 auf 6,1 Prozent ansteigen. Auf Bayern bezogen, würde dies einen Anstieg  von 2,8  auf 3,4 Prozent bedeuten, was immerhin unter dem Wert von 3,5 Prozent in 2017 läge. All das setzt voraus, dass es im Herbst nicht zu einer zweiten Welle der Infektionen kommt, wie es viele Mediziner befürchten.

Hohe Arbeitslosigkeit

Dramatischer war die Lage auf dem Arbeitsmarkt vor zweieinhalb Jahrzehnten, als der Freistaat nach dem Vereinigungsboom in eine tiefe Krise geriet. Aufgrund einer Vielzahl von Insolvenzen gerade im nordbayerischen Raum kletterte die Arbeitslosenquote  bayernweit auf einen Höchststand von 7,5 Prozent, mehr als das Doppelte der aktuellen Werte. Die Antwort darauf war ein umfassendes Innovationsprogramm, das nicht nur auf die Stärkung der Wirtschaft zielte, sondern auch auf den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt. Ministerpräsident Edmund Stoiber leitete eine grundlegende Wende im Verhältnis zum Deutschen Gewerkschaftsbund ein, indem er die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und die Gestaltung des Wandels in der Arbeitswelt als gemeinsame Aufgabe von Staat, Wirtschaft und Gewerkschaften sah. Das Erfolgsgeheimnis seiner Zukunftsoffensive waren nicht nur die Investitionen in High Tech, sondern die soziale Ausgewogenheit des Programms mit der Einbindung der Gewerkschaften in einen Beschäftigungspakt. Mit diesem Pakt von Staat, Wirtschaft und Gewerkschaften ist die Staatsregierung in vielen Bereichen über ihren eigenen Schatten gesprungen und hat mit bisherigen politischen Tabus gebrochen. Dabei sind Grundsatzpositionen nicht verändert worden. Der pragmatische Ansatz hat dazu beigetragen, dass der Freistaat zum Wachstumsmotor in Deutschland wurde und heute die besten wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewältigung der Krise bietet. Auch politisch hat sich die soziale Ausgewogenheit für Ministerpräsident Stoiber mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Bayerischen Landtag  ausgezahlt.

Die Staatsregierung hat in der ersten Phase der Corona-Krise eine überwältigende Zustimmung der Bevölkerung erfahren, weil sie bisher konsequent den Weg gegangen ist, dem Schutz von Leben und Gesundheit absoluten Vorrang einzuräumen. Auch in der Phase der Lockerung, die andere Bundesländer sehr forsch und teilweise gefährlich betreiben, ist der Freistaat seiner vorsichtigen Linie treu geblieben. Jetzt ist der anfängliche politische Konsens aufgebrochen und es mehren sich auch in Bayern die Gegenstimmen,  die von unterschiedlichsten Motiven getragen werden. Nach Erkenntnissen von Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt versuchen Rechtsextremisten die Proteste gegen die Corona-Beschränkungen zu unterwandern und für ihre eigenen Ziele zu missbrauchen. Es besteht die Sorge, dass das rechte Lager die aktuelle Lage genauso nutzt wie in der Flüchtlingskrise. Diese Gefahr kann sich noch verstärken, wenn es in den nächsten Wochen und Monaten zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit und der sozialen Probleme kommt.

Soziale Schieflage vermeiden

In einer Erklärung der bayerischen Staatsregierung, der DGB-Gewerkschaften und der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft vom 9. April 2020 haben sich Staat und Sozialpartner gemeinsam dazu bekannt, dass alle zur Verfügung stehenden Instrumente genutzt werden müssen, um eine nachhaltige wirtschaftliche und soziale Schieflage zu vermeiden. Die Akteure bekräftigen in ihrer Erklärung, dass die gelebte Sozialpartnerschaft und die Mitbestimmung von Gewerkschaften und Betriebsräten zu den Kernelementen und tragenden Säulen unserer sozialen Marktwirtschaft gehören. Darüber hinaus stellen sie klar, dass in Corona-Zeiten auch im Wirtschaftsleben die Gesundheit der Menschen im Mittelpunkt stehen muss.

Diese politische Willensbekundung ist ein gutes Zeichen für die solidarische Bewältigung der Corona-Krise. Sie knüpft wieder an die von Edmund Stoiber propagierte gemeinsame Verantwortung von Staat und Sozialpartnern an. Jetzt sollten Taten folgen. Ein neuer Beschäftigungspakt könnte dazu beitragen, den sozialen Zusammenhalt in den anstehenden schwierigen Zeiten zu wahren und gesellschaftliche und politische Verwerfungen zu vermeiden. Der Verband der bayerischen Wirtschaft hat bereits Vorschläge unterbreitet, wie der Wiederaufbau der Wirtschaft unterstützt werden könnte. Diese könnten in einem breiten Beschäftigungsprogramm mit Staat und Gewerkschaften abgestimmt und umgesetzt werden, soweit sie nicht zu einem sozialen Rückschritt führen wie die Ablehnung der Grundrente oder die Ausweitung sachgrundloser Befristungen.

Gesundheit schützen

Ein Beispiel ist der Vorschlag der Arbeitgeber, die tägliche Höchstarbeitszeit von zehn auf zwölf Stunden zu verlängern. Ausnahmen in der Pandemie sollen jetzt perpetuiert werden. Die Begrenzung der Arbeitszeit gehört zu den Grundrechten der Arbeitnehmer in der Charta der Europäischen Union und dient dem Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Beschäftigten.  Studien der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zeigen, dass eine Ausdehnung der Arbeitszeit über acht und insbesondere zehn Stunden hinaus mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen verbunden ist und das Risiko für Arbeitsunfälle deutlich zunimmt. Bereits jetzt darf in Deutschland länger gearbeitet werden als in vielen anderen Ländern der EU. In Österreich wird die Ausdehnung auf zwölf Arbeitsstunden pro Tag flankiert von einer gesetzlich normierten Aufzeichnungspflicht. Bei Gleitzeit, Außendient und Telearbeit kann mit dem Arbeitnehmer vereinbart werden, die Aufzeichnungen über die Arbeitszeit selbst zu führen. Verstöße dagegen werden geahndet, während in Deutschland das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 14. Mai 2019 über die Pflicht zur Aufzeichnung der Arbeitszeiten noch nicht umgesetzt ist.

Ministerpräsident Stoiber hatte im Beschäftigungspakt auch Regelungen zur Stärkung der Rechte der Arbeitnehmer vereinbart. Beispiele sind die Vergabe öffentlicher Aufträge nur an tarifgebundene Unternehmen und der Anspruch der Arbeitnehmer auf Weiterbildung. Beides wurde nach seiner Amtszeit wieder rückgängig gemacht, so dass Bayern heute neben Sachsen das einzige Bundesland ist, das weder ein Tariftreue- noch ein Weiterbildungsgesetz hat. In der Folgezeit kam es auch in Bayern zu einem erheblichen Rückgang der Tarifbindung und zu einem Anstieg von Niedriglöhnen, vor dem schon die Zukunftskommission der Ministerpräsidenten Biedenkopf und Stoiber gewarnt hatte. Die Corona-Krise bietet die Chance zu einem Wiederaufbau der Wirtschaft im Sinne der ökosozialen Marktwirtschaft, wie sie auch die Christlich-Soziale Union zu ihrem Zukunftsbild erklärt hat. So wie die Corona-Krise nicht für eine Atempause beim Umwelt- und Klimaschutz genutzt werden darf, darf sie auch nicht zu einem sozialen Rückschritt führen. Es wäre fatal für den Zusammenhalt in der Gesellschaft, wollte man die wirtschaftliche Erholung zum Anlass nehmen, gerade die kleinen Leute zu benachteiligen, die ohnehin am meisten unter der Krise gelitten haben.

Franz Josef Strauß hat stets die sozialpolitischen Eckpfeiler einer freiheitlichen Politik betont und ist dabei Müller-Armack gefolgt, der die Soziale Marktwirtschaft 1946 in seinem Werk „Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft“ als eine sozial gesteuerte Marktwirtschaft entworfen hat.  Und Strauß bedauerte es im Mai 1982 beim Bundeskongress des DGB ausdrücklich, dass er nicht eher einen Wandel im Umgang mit den Gewerkschaften eingeleitet hatte: „Wenn ich das vor ein paar Jahren gemacht hätte, könnte ich heute deutscher Kanzler sein.“
(Rudolf Hanisch)

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