Wirtschaft

Reifer Weizen wird auf einem Feld mit einem Mähdrescher abgeerntet. (Foto: dpa/Armin Weigel)

22.09.2019

Die bäuerliche Landwirtschaft absichern

Eine Ernteversicherung hilft in Zeiten des Klimawandels

Die Rahmenbedingungen für den landwirtschaftlichen Sektor verschärfen sich. Während einerseits auch hier - unter dem Stichwort Digitalisierung oder AgTech - technische Innovationen für die datengetriebene, vernetzte, digitale Landwirtschaft der Zukunft diskutiert werden, wächst andererseits die Sorge vor den möglichen existenziellen Folgen des Klimawandels. Die Überschwemmungen und Starkregenereignisse der Jahre 2013 und 2017, neue Hitzerekorde in 2018 und 2019, monatelange Trockenheitsperioden sowie Sturmtiefs, die im Jahresrhythmus Schneisen der Verwüstung hinterlassen, weisen darauf hin, dass sich Extrem-Wetterkonstellationen in Deutschland verschärfen. Gleichzeitig erhalten die Themen  Nachhaltigkeit und Naturbewusstsein einen neuen, höheren Stellenwert: Der Nachhaltigkeitsgedanke ist vor allem in bäuerlichen Kulturen seit der Antike eine Selbstverständlichkeit. „Das alte deutsche Wort ‚Nachhalt’ bezeichnete früher jene Vorräte, die für Notzeiten zurückgelegt wurden.“ (Reidel 2010). Das Schätzen und Wiederkennenlernen der Natur und die Wahrnehmung der Verzahnung von Ernährung, Natur und Ressource führt zu einem neuen regionalen Bewusstsein der Gesellschaft. Während die Verbraucher in den letzten Jahren verstärkt ökologische Produkte nachgefragt haben, erachten sie nun Regionalität als zunehmend wichtigeren Faktor (Heinze et al. 2014). Dabei geht es sowohl um die Erfüllung hoher Produktions-Standards (wie Sicherheit, Tierwohl, Qualität), als auch darum, der Verbrauchererwartung nach kurzen Wegen und nachhaltiger Herstellung entgegenzukommen.

Deutschland ist zweitgrößter Agrarproduzent Europas

Deutschland ist nach Frankreich der zweitgrößte Agrarproduzent der Europäischen Union. Vier Fünftel der Nahrungsmittelversorgung werden hierzulande aus heimischer Produktion gedeckt. Der Anteil der Landwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt (BIP) beträgt jedoch nur 0,7 Prozent (proplanta 2019; Statista 2019). Die Landwirtschaft als standortgebundener Sektor ist von den klimatischen Veränderungen besonders tangiert: „Landwirte trifft die Klimaveränderung am stärksten - 80 Prozent des Erfolges hängt vom Wetter ab und ist nur begrenzt beeinflussbar durch zum Beispiel Beregnung, Hagelschutznetze etc.“ (Markus Bergaentzle Schadensexperte, Versicherungskammer).

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) schätzt die vorjährigen Wetterschäden für deutsche Landwirte durch Ernteausfälle auf einen neuen Rekordwert von über 2,5 Milliarden Euro, (gegenüber 0,5 Milliarden Euro pro Jahr im Schnitt der Jahre 1990 bis 2013). In 2018 lagen aufgrund der extremen Dürre die Kartoffelernte 25 Prozent unter Vorjahr und die Hektarerträge für Getreide 16 Prozent unter dem langjährigen Schnitt. Die Statistik der Ernteschäden zeigt, dass die Risiken differenziert betrachtet und bewertet werden müssen. Neben der Schadenintensität in den einzelnen Erntejahren sind die Schadenfrequenz und die Ausdehnung von Einzelereignissen zu bewerten: Bei den Schäden durch Wetterextreme im langjährigen Mittel liegen die Schäden durch Hagel nach Trockenheit an zweiter Stelle (GDV 2016). Von den elf Millionen Hektar Agrarfläche  in Deutschland sind weniger als 1 Prozent gegen Dürreschäden abgesichert (Jahberg 2019).

Die staatliche Unterstützung der Landwirte ist in den Industrieländern in den vergangenen 20 Jahren insgesamt zurückgegangen (OECD 2018). Allerdings unterstützen mittlerweile achtzehn  EU-Mitgliedstaaten ihre Landwirte bei der Ernteversicherung, allen voran Italien und Frankreich (Protokoll Agrarministerkonferenz 26.-28.09.2018). Die Förderung des Risikoschutzes wird über nationale Modelle im Rahmen von Public-Private-Partnerships (PPP) beispielsweise in Spanien oder Österreich ergänzt.

Staatliche Förderung

Bereits im Jahre 1995 wurde in Österreich die 50prozentige staatliche Förderung der Hagel- und Frostversicherungsprämie im Hagelversicherungsförderungsgesetz festgelegt. Bund und Länder teilen sich die Förderung in Höhe von jeweils 25 Prozent. Gleichzeitig wurde im Katastrophenfondgesetz verankert, für versicherbare Risiken keine Ad Hoc Entschädigungen mehr zu bezahlen.

Aufgrund der immer häufiger auftretenden Wetterextreme wurde 2016 die Förderung für alle landwirtschaftlichen Kulturen auf die Risiken Dürre, Sturm und starke oder anhaltende Regenfälle ausgedehnt. Nach erneut großflächigen Dürreschäden in 2018 wurde beschlossen, ab 1. Januar 2019 die Förderung der Versicherungsprämie von 50 Prozent auf 55 Prozent auszuweiten. Auch wurde die Versicherungssteuer auf 0,2 Promille der Versicherungssumme für alle Pflanzenversicherungen  harmonisiert, um die Förderung nicht mit hoher Steuerlast wieder teilweise zu dämpfen.

Diese Historie und das Maßnahmenbündel des Österreichischen Modells belegen, dass die nun in Deutschland angekündigte Anpassung der Versicherungssteuer für Dürreversicherungen auf 0,03 Prozent zwar ein wichtiger Schritt ist, der aber nicht ausreichen wird.

Landwirte müssen hierzulande selbst vorsorgen

Ähnliche Modelle wie in Österreich gibt es in drei Viertel der EU-Staaten, wo die staatliche Förderung der Versicherungsprämie bis zu 70 Prozent beträgt. Deutschland bietet diese Förderung (noch) nicht, die Landwirte müssen ihre Vorsorge vollständig selbst finanzieren. Die Versicherungswirtschaft hat Produkte zur Absicherung auch von Dürreschäden (sog. Index- oder parametrische Versicherungen) entwickelt. Wegen des extrem hohen Kumulrisikos und der zu erwartenden Schäden in Milliardenhöhe sind die Absicherungen teuer. Das führt bei der für Landwirte ohnehin angespannten Lage ohne staatlicher Förderung  zu einem deutlichen Wettbewerbsnachteil. Folgendes  Rechenbeispiel eines Ackerbaubetriebes im Vergleich Deutschland/Österreich zeigt das:

Abbildung 1: Beispiel für einen versicherten Betrieb mit 70ha Fläche

Das österreichische Modell macht Versicherungsschutz für den Landwirt erschwinglich  und wäre zudem für Bund und Länder günstiger als die staatliche Krisenhilfe im vergangenen Jahr. Sollten künftig 60 Prozent der Landwirte eine Mehrgefahrenversicherung abschließen, läge der staatliche Zuschuss bei 180 bis 250 Millionen Euro pro Jahr, also deutlich unter den staatlichen Soforthilfen, die sich im Jahr 2019 auf 340 Millionen Euro beliefen (Jahberg 2019). So hat das bayerische Kabinett beschlossen, ab 1. Juli 2019 keine Soforthilfen mehr zu gewähren, wenn die Schäden versicherbar sind. Ad hoc Hilfen sollen durch ein staatlich unterstütztes, langfristiges Risikomanagement der Betriebe abgelöst werden. Auch wenn Kritiker befürchten, mit einer Förderung von Versicherungslösungen den Trend zu größeren Betrieben weiter zu verstärken, schafft gerade eine Unterstützung des einzelbetrieblichen Risikomanagements zukunftssichere Rahmenbedingungen für mittlere und kleinere Betriebe. Denn aufgrund der oft geringeren Kapitalausstattung sind diese sehr viel schneller durch Naturkatastrophen verursachte Ertragsausfälle in ihrer Existenz bedroht.

Zwischenzeitlich haben die Länder Bayern und Baden-Württemberg eine Bundesratsinitiative für eine staatliche Unterstützung der Ernteversicherung eingebracht. Hier geht es vor allem darum, faire und ausgewogene Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die alternativlose Risikoabsicherung der Landwirte nicht zum Standortnachteil Deutschlands wird. Der Vorschlag übernimmt wesentliche Komponenten aus dem bereits seit zehn Jahren erfolgreich umgesetzten österreichischen Modell mit einem Beitragsharing von Staat und Landwirt.  Auch andere Ideen wie steuerfreie Rücklagen oder Fonds werden diskutiert. Nachfolgende Grafik gibt einen Überblick zu den Vor- und Nachteilen, wobei die Vorteile der Versicherung klar überwiegen.

Abbildung 2: Gegenüberstellung diskutierter Modelle (Versicherungskammer 2019)

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Deutschland bei der Vorsorge für seine Bauern hinterher hinkt. Auch für den Landwirtschaftsstandort Deutschland sind Rahmenbedingungen zur Anpassung an den Klimawandel zu schaffen. Die massiven Frostschäden 2017 und Trockenschäden 2018/2019 haben gezeigt, dass die Landwirte ohne staatliche Unterstützung existenzbedrohenden finanziellen Risiken ausgesetzt sind. Ein Zögern kann nicht nur volkswirtschaftliche, sondern auch negative Folgen für Berufsstand und die bäuerlichen Kulturlandschaft haben. Das Jahr 2018 hat gezeigt, dass staatliche Soforthilfen die Liquidität der Betriebe nicht sichern. Die Regulierung von Schäden ist die Kernkompetenz von Versicherungen. Der Landwirt ist als Vertragspartner Kunde, nicht Antragsteller einer Leistung. Ernteschäden werden rasch durch Sachverständige besichtigt und die Entschädigung binnen Wochen an den Landwirt ausbezahlt. Leistung und Leistungsvoraussetzungen sind klar geregelt. Bleibt zu hoffen, dass die Initiativen der Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz aufgegriffen werden und die Agrarministerkonferenz am 25. bis 27. September 2019 für eine finanzielle Förderung der Ernteversicherung votiert. Damit die Zukunft der bäuerlichen Landwirtschaft in Deutschland abgesichert ist.
(Barbara Schick, Kurt Weinberger, Raimund  Lichtmannegger und Diane Robers)

Vorteile des Private Public Partnership Modell in Österreich:
- Der versicherte Landwirt hat durch einen Versicherungsvertrag einen Rechtsanspruch auf Entschädigung nach Wetterextremen.
- Widerstandsfähigkeit der Landwirtschaft mit ihrer Werkstatt unter freiem Himmel wird gegenüber den Einflüssen des Klimawandels langfristig gestärkt.
- Das Modell ermöglicht einen kalkulierbaren Staatshaushalt und kommt dem Staat à la longue günstiger als ad-hoc-Zahlungen.
- Das Modell garantiert einen stabileren und wettbewerbsfähigeren Agrarsektor, dieser ist existentiell für eine nationale Lebensmittelversorgungsicherheit und damit essentiell für die Bevölkerung.
- Schwer versicherbare Kumulrisiken (zum Beispiel Hochwasser oder Dürre) werden nun versicherbar und für den Landwirt leistbar.
- Der Landwirt beteiligt sich durch Prämienzahlung am Risiko.
- Ein Versicherungsmodell auf privatwirtschaftlicher Basis garantiert eine wirksame und rasche Hilfe im Schadensfall (3 Tage nach Beendigung der Schadenserhebung werden die Entschädigungszahlungen angewiesen vs. Monate bei ad-Hoc-Zahlungen).

- Der internationale Trend geht zu noch mehr Prämienförderung (China: Landwirt bezahlt 20 Prozent der Ernteversicherungsprämie und der Staat übernimmt 80 Prozent, USA: Landwirt bezahlt 35 Prozent der Ernte- und Einkommensversicherung und der Staat übernimmt 65 Prozent)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Ist das geplante Demokratiefördergesetz sinnvoll?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Passwort vergessen?

Geben Sie Ihren Benutzernamen oder Ihre E-Mail ein um Ihr Passwort zurückzusetzen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: vertrieb(at)bsz.de

Zurück zum Anmeldeformular 

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Passwort vergessen?

Geben Sie Ihren Benutzernamen oder Ihre E-Mail ein um Ihr Passwort zurückzusetzen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: vertrieb(at)bsz.de

Zurück zum Anmeldeformular 

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.