Wirtschaft

Bayerns Wirtschaftsminister Martin Zeil (l.) und der Handels- und Industrieminister der Tschechischen Republik, Martin Kocourek, setzen auf eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit beider Länder. (Foto: Schweinfurth)

11.03.2011

Die gute Nachbarschaft ist wiederbelebt

Delegation mit Wirtschaftsminister Martin Zeil besuchte Prag

Vizeministerpräsident und Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) hat mit seinen tschechischen Amtskollegen in Prag diverse Projekte beschlossen, damit Bayern und die Tschechische Republik wirtschaftlich noch besser kooperieren und miteinander Handel betreiben können. Beim Thema erneuerbare Energien mussten die mitgereisten Branchenvertreter allerdings ernüchtert feststellen, dass man gut beraten ist, sich im Nachbarland derzeit mit entsprechenden Investitionen zurückzuhalten. Trotz 39-prozentiger Staatsverschuldung und eisernem Sparwillen der tschechischen Regierung unter Petr Necas will man so wichtige Infrastrukturprojekte wie die Schienenverbindung München-Prag verbessern. Der Planungsfortschritt auf diesem Abschnitt, der zu den Transeuropäischen Netzen (TEN) zählt, ist laut Zeil völlig ungenügend. Bayern und Tschechien werden gemeinsam auf die Bundesregierung einwirken, hier mehr Tempo in die Angelegenheit zu bringen. Ebenfalls wichtig für beide Seiten sei die Schienenverbindung Selb-Asch und die Elektrifizierung der Strecke Nürnberg-Marktredwitz, wie Zeil und Vít Bárta, der tschechische Verkehrsminister, betonen.
Planungskostenbudget für Bahnstrecken
Allein Selb-A(s) soll unter in Anspruchnahme diverser Fördermittel Zeil zufolge bis 2013 verwirklicht sein. Damit so wichtige Projekte wie die TEN-Strecken in Deutschland nicht immer ins Hintertreffen geraten, hat Bayerns Wirtschaftsminister in Berlin darauf hingewirkt, dass auf Bundesebene ein Planungskostenbudget eingerichtet wird. Zusätzlich sollen EU-Mittel zum Einsatz kommen. Obwohl auch die Strecke Dresden-Prag ausgebaut werden soll, sieht Zeil hier keine Konkurrenz zur Schienentrasse München-Prag. „Beide Verbindungen sind von übergeordnetem europäischen Interesse“, unterstreicht er. Um auf deutscher Seite genügend Mittel für diese Vorhaben frei zu bekommen, erinnert Bayerns Vizeministerpräsident daran, dass man die 500 Millionen Euro Dividende der Deutschen Bahn reinvestieren könnte, „anstatt sie ins allgemeine Haushaltsloch zu versenken“. Außerdem dauern Zeil die Planungszeiten in Deutschland viel zu lang. Hier soll ein Verfahrensbeschleunigungsgesetz Abhilfe schaffen.
Neben den Infrastrukturmaßnahmen konnte Zeil, der von einer 50-köpfigen Delegation aus Unternehmern, Landtagsabgeordneten und Verbandsvertretern begleitet wurde, auch im Bereich der Satellitennavigation gute Voraussetzungen für bayerische Unternehmen ausmachen. Nachdem Prag von der EU für den Sitz der europäischen Kontrollbehörde GSA auserkoren wurde, können Unternehmen des bayerischen Clusters für Satellitenkommunikation und tschechische Firmen dieses Bereichs künftig gemeinsam Projekte entwickeln und vermarkten. Die Kompetenzen in Prag und in Oberpfaffenhofen lassen sich perfekt miteinander vernetzen. Entsprechende Arbeitsgruppen sollen jetzt zeitnah eingesetzt werden, um möglichst viele Synergien heben zu können.
Enttäuscht zeigten sich die Vertreter der mitgereisten Photovoltaikbranche. Denn wegen der Überförderung im Bereich der erneuerbaren Energien hat man in Prag die Reißleine gezogen und diverse Maßnahmen ergriffen, die weitere Investitionen bayerischer Unternehmen in diesem Bereich uninteressant machen. So müssen Betreiber von Freiflächenanlagen, die in den Jahren 2009 und 2010 in der Tschechischen Republik ans Netz gingen, 26 Prozent Steuern zahlen. Dies wurde von der tschechischen Regierung rückwirkend für diese beiden Jahre beschlossen. Zwar betont Handels- und Industrieminister Martin Kocourek, dass dies eine notwendige Maßnahme war, um einerseits die Wettbewerbsfähigkeit der energieintensiven Branchen der tschechischen Wirtschaft zu sichern und andererseits bezahlbare Strompreise für die Bevölkerung zu gewährleisten. Doch es drängt sich der Verdacht auf, dass es jahrelang aufgrund schlechter Gesetzgebung zu dieser Überförderung der Solarbranche kam und dass man ganz stark den Atomstrom forcieren möchte.
So findet man in Tschechien kaum kleinere Photovoltaik-Anlagen auf Dächern von Häusern und Gewerbebetrieben, sondern nur Solarparks größeren Ausmaßes. Dies sei Folge der jahrelangen gesetzlichen Vorgaben, erläutert Petr Klimek, Vorsitzender des 150 Mitglieder zählenden Photovoltaik-Verbands der Tschechischen Republik. „Während in Deutschland 80 Prozent aller PV-Anlagen sich auf Dächern befinden, sind es in Tschechien 93 Prozent Freiflächenanlagen“, erläutert er die Strukturunterschiede zwischen beiden Ländern. Außerdem verweist er darauf, dass seit Februar 2010 keine neuen PV-Anlagen in Tschechien mehr anschließbar sind. Denn der Staat habe eine Obergrenze von 1695 Megawatt installierter Solarstromerzeugung festgelegt. Tatsächlich seien aber bereits vor dieser Festlegung über 1800 Megawatt installiert gewesen. „Die EU missbilligt die PV-Gesetze der Tschechischen Republik“, sagt Klimek. Derzeit laufe in Prag eine Verfassungsbeschwerde. In sechs Monaten werde man sehen, ob die Gesetze geändert werden müssen. Dann wird das Verfassungsgericht entschieden haben. Wie Tschechien seine Verpflichtung gegenüber der EU, 13 Prozent seines Ene7rgiebedarfs bis zum Jahr 2020 aus erneuerbaren Energien zu decken, angesichts der aktuellen Situation erreichen will, ist Klimek und anderen Akteuren des erneuerbaren Energiensektors ein Rästel. Denn die Ausbaupotenziale für Wasserkraft seien weitestgehend erschlöpft. Man könne lediglich das Gefälle an kleineren Gewässern noch zur Stromerzeugung nutzen. Bei Biomasse und Windkraftanlagen habe man eine ähnlich schlechte Position wie im Solarbereich.
Tschechische Republik will die Atomenergie stärken
Das alles verwundert nicht, wenn man das aktuelle, offizielle Vierteljahresmagazin „czech.business & trade“ der tschechischen Regierung liest. Darin spricht sich Handels- und Industrieminister Kocourek in einem Interview ganz klar für die Stärkung der Atomenergie aus. Man wolle zwar die Verpflichtung von 13 Prozent erneuerbarer Energie im Energiemix gegenüber der EU einhalten, habe aber derzeit kein Geld, um diesen Anteil zu erhöhen.
Vor diesem Hintergrund macht es für Andreas Hänel, Vorstandsvorsitzender der Phoenix Solar AG aus Sulzemoos (Landkreis Dachau), keinen Sinn, sich weiter im Nachbarland zu engagieren. Auch Filip Malán, Geschäftsführer der soleg group AG aus Teisnach (Landkreis Regen), hat seine Vertriebsmannschaft in Tschechien bereits halbiert.
Bayerns Wirtschaftsminister Zeil hat zwar Verständnis für die Sparzwänge der Tschechischen Republik und die Probleme eines explodierenden Strompreises für Bevölkerung und Industrie wegen der Überförderung der Solarstromproduktion, findet den tschechischen Weg aber nicht sinnvoll. „Wir hätten uns ein anders Vorgehen gewünscht“, betont er. Nämlich, dass man die Förderung wie in Deutschland schrittweise reduziert, damit sich die Branche darauf einstellen kann. So bleibt für den neutralen Beobachter nur zu konstatieren, dass der tschechische PV-Markt tot ist.
Positiv sieht Zeil dagegen der völligen Freizügigkeit des Arbeitsmarktes ab 1. Mai dieses Jahres entgegen. Er erwartet für Bayern unter Berufung auf Zahlen der Bundesagentur für Arbeit rund 150.000 zusätzliche Arbeitskräfte. Diese seien eine Chance für die bayerische Wirtschaft und das bayerische Handwerk. Den Unkern, die jetzt die Invasion der Billiglöhner in den Freistaat sehen, entgegnet Zeil: „Ich rate zur Gelassenheit. Denn man soll nicht so tun, als sei Deutschland von Elendsvierteln umgeben.“ Sollte es dennoch zu Lohnverzerrungen kommen, werde der Gesetzgeber gegensteuern. Insgesamt ist er aber davon überzeugt, dass es für beide Seiten ein Gewinn werden wird, wie im Jahr 2004, als die Tschechische Republik der EU beigetreten ist.
12,7 Milliarden Euro Handelsvolumen mit Bayern
Dieser Überzeugung sind auch der deutsche Botschafter in Tschechien, der gebürtige Münchner Johannes Haindl, und der geschäftsführende Vorstand der Deutsch-Tschechischen Industrie- und Handelskammer (DTIHK) Bernhard Bauer, der gleichzeitig auch Repräsentant Bayerns in Tschechien ist. Botschafter Haindl sieht in den Bemühungen der neuen tschechischen Regierung, den Staatshaushalt zu konsolidieren und die Korruption zu bekämpfen, wichtige Schritte für die Entwicklung des Landes. Davon können auch die bayerisch-tschechischen Wirtschaftsbeziehungen profitieren. 75 tschechische Unternehmer ließen sich denn auch im Beisein von Wirtschaftsminister Zeil in der DTIHK in Prag von Vertretern von „Invest in Bavaria“ die Vorzüge des Freistaats erläutern.
Abschließend beurteilte Bayerns Vizeministerpräsident die Pragreise als gelungen, da jetzt zwischen Bayern und Tschechien wieder ein Zustand hergestellt wurde, der über viele Jahrhunderte Realität war: die gute Nachbarschaft. Das sei gut so, denn die Tschechische Republik sei mit 12,7 Milliarden Euro Handelsvolumen Bayerns siebtwichtigster Handelspartner. Ein Viertel des deutsch-tschechischen Handelsvolumens komme aus Bayern. Und es sei dreimal größer als das Handelsvolumen zwischen Bayern und den USA.
(Ralph Schweinfurth)

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