Wirtschaft

Für Florian Herrmann ist klar, dass die Automobilindustrie in Bayern erheblich zum Wohlstand im Freistaat beiträgt. Herrmann ist nicht nur Staatskanzleichef, sondern auch Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, also so eine Art bayerischer Außenminister. Deshalb sind für ihn auch Wirtschaftsangelegenheiten besonders wichtig. (Foto: Bayerische Staatskanzlei)

03.07.2020

"Die nationale Nachfrage reicht nicht aus"

Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) über die Wiederbelebung des Exports nach dem Corona-Lockdown, Innovationsförderung und eine mögliche zweite Infektionswelle

Für Arbeitsplätze und Wohlstand in Bayern ist der Außenhandel extrem wichtig. Allein 2019 hat die Wirtschaft im Freistaat Waren und Dienstleistungen im Wert von knapp 190 Milliarden Euro exportiert. Deshalb ist eine Erholung nach dem Corona-Lockdown essenziell. Die Staatsregierung setzt auf ihre Hightech Agenda, den Erfindergeist in Unternehmen und Start-ups sowie die Digitalisierung.

BSZ: Herr Herrmann, Bayern ist sehr stark vom Export abhängig. Was ist jetzt nach dem Corona-Lockdown nötig, damit Waren und Dienstleistungen aus dem Freistaat wieder auf dem Weltmarkt stark nachgefragt werden?
Florian Herrmann: Nach der Überbrückungsphase muss die Durchstartphase kommen. Deutschland und Bayern unternehmen gewaltige Anstrengungen, um der Wirtschaft wieder auf die Beine zu helfen. Das Konjunkturpaket der Bundesregierung ist ein kraftvolles Aufbruchsignal, das den Standort Deutschland stärkt und massiv Investitionen anschiebt. Allerdings können wir nicht beeinflussen, was in anderen Ländern geschieht. Die Nachfrage auf den Weltmärkten wird wohl noch für eine gewisse Zeit verhalten bleiben. Gleichzeitig wird der Konkurrenzdruck steigen, weil natürlich alle Unternehmen neue Abnehmer brauchen. Attraktive Produkte werden aber auch weiterhin Abnehmer finden.

BSZ: Warum?
Herrmann: Weil „Made in Bavaria“ weltweit für beste Qualität steht. Das ist unsere große Stärke. Mit der Hightech Agenda Bayern haben wir schon vor der Corona-Pandemie eine zwei Milliarden Euro schwere Zukunftsoffensive gestartet. Ziel unseres Programms ist es, unsere Technologieführerschaft auszubauen und neue Zukunftstechnologien, zum Beispiel im Bereich CleanTech, zu bayerischen Steckenpferden zu machen. Durch Corona ist die Hightech Agenda nicht ins Stocken gekommen. Im Gegenteil: Wir wollen sie sogar noch beschleunigen.

BSZ: Laut einer aktuellen Umfrage glauben nur noch 38,3 Prozent der Befragten an die Globalisierung. Ist das ein Problem für Bayerns exportorientierte Wirtschaft?
Herrmann: Die Corona-Pandemie hat aufgezeigt, wie stark die internationalen Wertschöpfungs- und Lieferketten zu gegenseitigen Abhängigkeiten führen. In kritischen Bereichen, beispielsweise bei persönlicher Schutzausrüstung, hat das in den ersten Wochen der Pandemie durchaus zu Problemen geführt. Die Antwort auf Corona kann aber nicht „weniger Globalisierung“ lauten: Wer keinen Handel treibt, bekommt schlechtere Produkte zu teureren Preisen. Wenn sich alle Staaten in ihr nationales Schneckenhaus zurückziehen, sind Exportnationen wie Deutschland die größten Verlierer.

Wohlstand und Jobs hängen am Export

BSZ: Das heißt?
Herrmann: Jedem im Freistaat muss klar sein: Unser Wohlstand und ein Großteil unserer Arbeitsplätze hängen am Export. Die nationale Nachfrage reicht dafür längst nicht aus. Im letzten Jahr wurden beispielsweise 75 Prozent der in Deutschland produzierten Autos exportiert. Außerdem ist es bestenfalls naiv, zu glauben, wir könnten uns auf den gewohnten Standards unabhängig von anderen Nationen versorgen. Gleichwohl brauchen wir in kritischen Bereichen eine größere Diversifizierung des Angebots und gegebenenfalls auch eine stärkere Bevorratung essenzieller Güter, um für den nächsten Krisenfall besser gewappnet zu sein. Deswegen werden wir in Bayern einen strategischen Grundstock von medizinischem Material einrichten.

BSZ: Während der Hochphase der Pandemie waren viele Lieferketten unterbrochen beziehungsweise gestört. Das ist teilweise jetzt noch so. Sollten also bayerische Unternehmen verstärkt Europa als Absatzmarkt in den Fokus nehmen?
Herrmann: Das wissen Bayerns Unternehmerinnen und Unternehmer selbst am besten. Wir leben nicht in der Planwirtschaft: Es ist eine unternehmerische und keine politische Entscheidung, auf welchen Märkten man tätig ist. Die EU ist schon heute der wichtigste Exportmarkt der deutschen Wirtschaft. Trotzdem gehe ich davon aus, dass der Europäische Binnenmarkt kurzfristig eine noch stärkere Bedeutung für bayerische Unternehmen gewinnen wird, allein schon wegen der räumlichen Nähe. Auch sind die Zugangshürden im Binnenmarkt geringer. Deshalb ist der vorgeschlagene EU-Wiederaufbaufonds für Bayern auch so wichtig. Von den hierbei angestoßenen Investitionen werden bayerische Unternehmen stark profitieren.

BSZ: Wie wichtig ist in diesem Zusammenhang der Aufbau von europäischen Digitalunternehmen, um von US-Giganten wie Google, Microsoft, Amazon, Facebook und Co. unabhängig zu werden? Sehen Sie schon Ansätze dazu?
Herrmann: Staatlich gelenkte Unternehmen sind selten wettbewerbsfähiger als ihre private Konkurrenz. Deshalb muss unsere oberste Priorität darin liegen, ein attraktives Umfeld für digitale Innovation zu schaffen. Deutschland braucht einen Modernisierungsschub. Die Blaupause dafür könnte die Hightech Agenda Bayern sein. Wir erleben gerade Quasi-Monopolstellungen von zwei, drei Internetgiganten. Hier muss verhindert werden, dass diese Monopole ausgenutzt werden, zum Beispiel durch das exzessive Abgreifen von Daten oder durch das Verschieben von Gewinnen in Steueroasen. Abwehr allein genügt aber nicht.

Europäische Digitalarchitektur aufbauen

BSZ: Sondern?
Herrmann: Wir in der EU müssen besser und vor allem aus eigener Kraft unabhängiger werden. Pilotprojekte, die den Aufbau einer europäischen Digitalarchitektur unterstützen, etwa GAIA-X oder eine europäische Medienplattform, bieten hier Ansätze. Das kann aber nur der erste Schritt sein. Wir brauchen in der EU insgesamt eine mutige und strategische Industriepolitik, um kohärent und marktoffen Europas Leitbranchen weiterzuentwickeln und damit ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit im digitalen Zeitalter zu sichern. Die EU sollte mit einem klaren, straffen und innovationsfreundlichen Rechtsrahmen, der technologieoffen, prinzipienbasiert und zukunftssicher Standards für den digitalen Binnenmarkt setzt, neue Investitionsimpulse für die Digital- und Medienwirtschaft geben. Hierzu müssen das Urheber-, Wettbewerbs- und Steuerrecht ebenso dem Anspruch an einen funktionierenden digitalen Binnenmarkt gerecht werden, wie der Außenwirtschafts-, Daten- und Verbraucherschutz und das Telekommunikations- und Medienrecht.

BSZ: Selbst innerhalb Europas gab es wegen Corona quasi von heute auf morgen Grenzschließungen. Der Warenverkehr lief noch, aber Geschäftsreisen waren unmöglich. Wie muss Europa im Fall einer zweiten Infektionswelle agieren?
Herrmann: Unsere Priorität muss zuallererst sein, eine zweite Welle so gut es geht zu verhindern. Ich appelliere hier an die Vernunft und Vorsicht jedes Einzelnen, ganz besonders in der anstehenden Urlaubssaison. Viren werden nun mal von Menschen übertragen. Abstand, Masken und Hygieneregeln sind momentan das Beste, was wir gegen Corona haben. Kommt es irgendwo zu größeren Ausbrüchen, ist es sinnvoll, die Bewegungsfreiheit erst einmal einzuschränken. Auf diese Weise kann man eine größere Verbreitung des Virus verhindern und Infektionsketten leichter verfolgen. Der bayerische Weg der Vernunft und Vorsicht hat sich als der richtige herausgestellt. Durch unser entschlossenes Handeln konnten wir Schlimmeres für Bayern und ganz Deutschland verhindern. Da ist es nur folgerichtig, dass wir auch bei den Testungen vorangehen und jedem Bürger im Freistaat einen kostenlosen Corona-Test ermöglichen.

BSZ: So wird ein Lockdown verhindert?
Herrmann: Wir müssen auch mal feststellen: Anders als zum Beispiel in Italien oder in Frankreich, wo die Produktionstätigkeit in den Unternehmen vom Staat untersagt wurde, oder wo Sie teilweise einen Passierschein brauchten, um überhaupt auf die Straße gehen zu dürfen, hatten wir in Deutschland nie einen echten Lockdown. Ich hoffe sehr, dass zukünftig regionale Maßnahmen wie zuletzt im Kreis Gütersloh ausreichen werden. Sollte es aber doch zu einer europaweiten zweiten Welle kommen, müssen wir realistisch sein, was mögliche neue Grenzkontrollen anbelangt. Allerdings bedarf es in diesem Fall einer besseren Koordination, insbesondere in den Grenzregionen. „Grüne Spuren“ brauchen wir nicht nur für Waren sondern auch für Grenzpendler in kritischen Berufen wie zum Beispiel für Ärzte und Pflegekräfte.

Nachhaltigere Wirtschaft

BSZ: In welchen Branchen sehen Sie das größte Exportpotenzial Bayerns?
Herrmann: Ich denke, dass der Corona-Krise durchaus ein Erneuerungsimpuls innewohnt. Ein Zurück zum Zustand vor der Pandemie ist sicher nicht zukunftsfähig. Zudem gibt es neben Corona noch andere große, globale Herausforderungen, wie den Klimawandel oder die Digitalisierung. Durch kluge Anreize können wir auf dem Weg aus der Krise den Transformationsprozess hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft sogar noch beschleunigen. Als Hochtechnologieland steht Bayern in der ersten Startreihe für die Zukunft. Jetzt gilt es, diese Position zu nutzen.

BSZ: Was unternimmt die Staatsregierung dafür?
Herrmann: Mit der Hightech Agenda Bayern erzeugen wir einen gewaltigen Modernisierungsschub im gesamten Freistaat. Wir investieren in KI und SuperTech. Wir machen ganz Bayern zum führenden KI-District und investieren zudem in Quantencomputing, Biotechnologie sowie Luft- und Raumfahrt. Wir modernisieren und beschleunigen und – was mir besonders wichtig ist – wir helfen unserem Mittelstand bei der digitalen Transformation. Dabei geht es auch darum, unsere Stärken auszubauen. Saubere Technologien sind bayerische Kernkompetenzen. Wir nehmen 80 Millionen Euro in die Hand und wollen Bayern zur Leitregion für innovativen Klimaschutz machen. Synthetische Kraftstoffe, moderne Batterieforschung sowie Wasserstoff als Energieträger der Zukunft – Ökonomie und Ökologie sind keine Gegensätze, sondern zwei Seiten einer Medaille und eine Riesenchance für die bayerische Wirtschaft.

BSZ: In welchen Zukunftsfeldern sollten sich bayerische Unternehmen und Start-ups noch mehr engagieren?
Herrmann: Auch bei dieser Frage ist die Politik gut beraten, wenn sie der Innovationskraft und dem Erfindergeist der Unternehmerinnen und Unternehmer vertraut. Bayerische Unternehmen und Start-ups sollen sich in allen Bereich engagieren, in denen Sie attraktive und wettbewerbsfähige Angebote machen können. Innovation hat in Bayern schließlich Tradition. Bayern ist Gründerland, das gilt auch besonders im digitalen Bereich. Innovative Köpfe finden hier ein optimales Ökosystem aus Institutionen, Investoren, führenden Unternehmen und Wissenschaft. Mit unseren Gründerzentren, Förderprogrammen und Beteiligungssystemen helfen wir Jungunternehmern bei ihren ersten Schritten ins Berufsleben.

BSZ:
Reicht das?
Herrmann: Unser Start-up-Fonds zum Beispiel unterstützt sie auch noch in der zweiten Finanzierungsrunde und sorgt so dafür, dass sie nicht ins Ausland abwandern. Start-ups sind der Mittelstand und damit unser wirtschaftliches Rückgrat von morgen. Sie schaffen hochwertige Arbeitsplätze, setzen weitreichende Wachstumsimpulse, erschließen Marktnischen und liefern innovative Ideen für bestehende Unternehmen. Ich bin sehr froh, dass wir so viele kreative und innovative Köpfe in Bayern haben. Ich sehe keinen Grund, warum nicht die nächste digitale Erfolgsgeschichte in einer bayerischen Garage ihren Anfang nehmen sollte.
(Interview: Ralph Schweinfurth)

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