Wirtschaft

Moderne Windkraftanlagen wie hier am Hahnenkamm bei Heidenheim (Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen) produzieren viel mehr Strom als ihre Vorgänger. (Foto: Schweinfurth)

04.12.2020

"Die Politik hatte die Energiewende noch nie im Griff"

Detlef Fischer, Geschäftsführer des Verbands der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft, über Solar- und Windkraftanlagen, Geothermie sowie Erdgasimporte

Die Corona-Pandemie überlagert alles. Doch der Klimawandel schreitet unaufhaltsam voran. Die Europäische Union will bis 2050 klimaneutral werden. Doch die Performance der deutschen Politik bei der Energiewende lässt jedoch trotz Atom- und Kohleausstieg zu wünschen übrig.

BSZ: Herr Fischer, wie bewerten Sie den Stand der Energiewende?
Detlef Fischer: Wirklich gut ist, dass alle mittlerweile begriffen haben, sogar die altehrwürdigen Industrieverbände, dass wir uns in Europa verbindlich zum Ziel gesetzt haben, bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu leben und zu wirtschaften. Ob wir das technisch und vor allem finanziell vertretbar sowie sozialverträglich hinbekommen, kann heute allerdings niemand seriös sagen. Der Entzug von den fossilen Energieträgern ist wahrlich kein Kindergeburtstag und wird der Politik und der Gesellschaft noch einiges an Verhaltensveränderung abverlangen. Aber Verzicht haben wir ja schon mal während der Corona-Pandemie tüchtig geübt. Das stimmt doch schon mal zuversichtlich.

BSZ: Betreiber älterer Solaranlagen sollen diese nachrüsten, damit sie am Netz bleiben dürfen. Verschwendet der Staat damit viel Ökostrompotenzial, wenn er auf eine Regelbarkeit dieser Anlagen pocht?
Fischer: Jetzt wollen wir aber mal die Kirche schön im Dorf lassen. Diese alten PV-Anlagen haben einen schlechten Wirkungsgrad, sind alle nach Süden ausgerichtet und produzieren Strom daher nur um die Mittagszeit, verfügen über keinen Speicher und waren jahrelang überfördert. Wer bei der Energiewende eine aktive Rolle als sogenannter Prosumer spielen will, der muss eben auch bereit sein, ein paar Anforderungen zu erfüllen. Nur den Zahlungseingang für den eingespeisten Strom vom Netzbetreiber auf dem Konto zu überwachen, ist eindeutig zu wenig. Es muss doch jedem klar sein, dass es nichts bringt, PV-Strom am Sonntagmittag zu produzieren, wo dieser uns eh schon aus den Ohren läuft. Hier hilft im Übrigen die Elektromobilität, denn der Mittagsstrom kann gut zum Laden benutzt werden. Funktioniert prima, aber leider eben nur halbwegs zuverlässig von März bis Oktober.

BSZ: Ältere Windkraftanlagen könnte man mit besserer Technik ausrüsten, damit sie mehr Leistung bringen. Was halten Sie vom sogenannten Repowering?
Fischer: Repowering ist eine feine Sache, der Standort ist schon erschlossen, genau wie bei der Photovoltaik produzieren moderne Windkraftanlagen viel mehr Strom als die alten Dinger. Besonders schön kann man bald den Fortschritt bei der Windenergie im Münchner Norden bewundern. Dort errichten die Stadtwerke München gerade eine neue Windkraftanlage und man kann gut den Größenvergleich zur bestehenden alten Anlage ziehen. Da geht dem Ingenieur schon das Herz auf. Und so langsam findet man diese Anlage auch nicht mehr als störend im Landschaftsbild, sondern einfach nur noch beeindruckend.

"Wir sind verrückt"

BSZ: Der designierte US-Präsident Joe Biden hat angekündigt, viele kleinere Atomkraftwerke bauen zu wollen, um so die Stromerzeugung in den USA CO2-frei werden zu lassen. In Deutschland setzt man auf Atom- und Kohleausstieg bei steigendem Strombedarf. Außerdem braucht man redundante Stromerzeugungssysteme, um den volatilen Solar- und Windstrom bei Bedarf zu ersetzen – Stichwort Dunkelflaute. Das alles ist eine sehr kostspielige Angelegenheit. Wie bewerten Sie das?
Fischer: Wenn man unsere deutsche Energiewende-Strategie nüchtern betrachtet, wird man zu dem Schluss kommen müssen: Wir sind verrückt, das kann doch gar nicht funktionieren! Wir tun es aber einfach mangels politisch akzeptierter Alternative trotzdem und hoffen auf den weiteren technischen Fortschritt! Ein bayerischer Beamter im Wirtschaftsministerium hat das jüngst mit „Kognitiven Dissonanzen“ beschrieben. Darunter leiden viele, die sich mit der Umsetzung der Energiewende ernsthaft beschäftigen. Das größte Problem ist, dass die Politik die Ingenieure längst überholt hat. Mit reinem Sachverstand zu Physik, Chemie, Elektrotechnik und Maschinenbau ist da leider kein Durchkommen mehr. Aber im Grund geht ja auch vieles, was wir uns vor ein paar Jahren noch nicht vorstellen konnten. Vielleicht sind die Politiker doch die besseren Ingenieure!

BSZ: An die Geothermie (egal ob oberflächennahe, mittlere oder tiefe Geothermie) zur Deckung des Wärmebedarfs traut sich außer in Oberbayern niemand heran. Warum?
Fischer: Die oberflächennahe Geothermie über mit Strom betriebene Wärmepumpen kommt schon zügig voran. Aber auch hier haben wir das Problem, dass der Zeitraum des größten Wärmebedarfs häufig nicht mit dem Angebot der Stromerzeugung aus Wind- und Sonnenenergie zusammenpasst. Die Nutzung der Tiefen-Geothermie ist für den Investor häufig ein Geschäft mit hohem Risiko. Bringt die Bohrung nicht den gewünschten Erfolg, ist sehr viel Geld futsch. Da fließt das Geld eben leichter in risikoärmere Investments. Da hat der Gesetzgeber mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) leider auch viel falsch gemacht. Mit einer EEG-Förderung liegt man als Betreiber einer Photovoltaik-, Windkraft-, Biomasse- oder Wasserkraftanlage in einem bedeutend wärmeren Bett.

Gebäudewärmebedarf senken

BSZ: Was kann man tun, damit Geothermie mehr genutzt wird? Immerhin macht der Wärmebedarf in Deutschland 50 Prozent des Primärenergiebedarfs aus. Gleichzeitig verlangt der Gesetzgeber von Geothermieanlagenbetreibern die volle EEG-Umlage für den Strom, den die Betreiber für das Pumpen des Thermalwassers benötigen.
Fischer: Zunächst wäre es mal gut, den Gebäudewärmebedarf signifikant zu senken und dann zu schauen, wie man den Restwärmebedarf am besten decken kann. EEG-Umlage will niemand mehr bezahlen, aber alle wollen über das EEG gefördert werden. Da ist mittlerweile ein total krankes Finanzierungssystem entstanden. Jetzt muss schon der Staat die EEG-Umlage mit mehr als zehn Milliarden Euro in 2021 entlasten. Der VBEW hat vor dieser Entwicklung immer gewarnt, aber niemand wollte auf uns hören. Wir brauchen dringend eine Reform der Finanzierung des Ausbaus der erneuerbaren Energien. Dann stellt sich die Frage nach der Befreiung von der EEG-Umlage gar nicht mehr. Ich bin in diesem Zusammenhang ein großer Fan des CO2-Preises, mit dem die Energiewende finanziert wird. Warum nicht gleich über ein jährlich abschmelzendes CO2-Budget für jeden Bürger und jede Bürgerin?

BSZ: Hat die Politik hierzulande überhaupt noch die Energiewende im Griff?
Fischer: Die Politik hatte die Energiewende noch nie im Griff. Sie machte schon immer nur das Nötigste und versucht mit simplen Förder- und Anreizinstrumenten die Energiewende zu stemmen. Wer es sich ohnehin leisten kann, nimmt diese dann gerne in Anspruch und kauft sich mit dem ersparten oder verdienten Geld ein noch größeres Auto oder bucht im schlimmsten Fall eine Kreuzfahrt mit dem Rentner-Schweröldampfer. Diese Strategie ist lachhaft und führt ins Nichts. Die Politik muss endlich anfangen der Gesellschaft zu erklären, dass die Energiewende bis 2050 nur mit einer substanziellen Veränderung des Lebensstils zu haben sein wird. Dazu fehlt ihr aber die Kraft und nach der Corona-Pandemie wollen doch alle wieder schnell in den Flieger steigen, jetzt wo sogar der neue Berliner Flughafen eröffnet ist. Die Politik hat berechtigte Angst vor dem Bürger. Sogar die Grünen fürchten den Groll ihrer zumeist wohlhabenden Wählerschaft, wenn die Forderungen zum Klimaschutz zu ambitioniert werden.

Gas aus Russland

BSZ: Was bringt die Erdgasleitung Nord Stream 2 durch die Ostsee?
Fischer: Gott sei Dank bin ich nur ein einfacher Energiewirtschaftler und kein Energiepolitiker. Nord Stream 2 bringt Gas aus Russland. Damit können wir uns eine warme Stube machen, industrielle Prozesse betreiben und Strom erzeugen wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Das sind doch gute Argumente für die Fertigstellung.

BSZ: Brauchen wir ein LNG-Terminal zum Import von Flüssigerdgas?
Fischer: Wir werden auch in Zukunft viel Energie importieren müssen, da bin ich mir sehr sicher. Wir haben in Deutschland nicht die frei nutzbaren Flächen, um uns mit erneuerbaren Energien quasi autark versorgen zu können. Und volkswirtschaftlich sinnvoll wäre das sowieso auch nicht. Wir brauchen doch die anderen Länder unabhängig von ihrer politischen Einfärbung! Und je mehr unterschiedliche Quellen wir für unsere Energieversorgung anzapfen können, umso besser ist es doch. Ich denke da sind sich Energiewirtschaftler und Energiepolitiker mal schnell einig.

BSZ: Wie ökologisch ist Erdgas? Bei der Förderung wird umweltschädliches Methangas freigesetzt. Damit verlagert man doch nur den negativen ökologischen Fußabdruck von Deutschland als Erdgasverbraucher in die Förderländer.
Fischer:
Nach alldem was wir wissen, ist Erdgas bedeutend klimaschonender und insgesamt umweltfreundlicher als Kohle und Mineralöl. Die Methanemissionen dürfen wir trotzdem nicht vernachlässigen, die Energiewirtschaft arbeitet kontinuierlich an deren weiterer Senkung. Letztendlich muss aber auch Erdgas durch einen Blumenstrauß an klimaneutralen Gasen bis 2050 ersetzt werden. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Große Hoffnungen werden dafür derzeit in den Wasserstoff gesetzt. Ich hoffe sehr, der aktuelle Hype zum Wasserstoff ist keine Fata Morgana. Denn das wäre fatal, viele Fördermittel werden derzeit in Wasserstofftechnologien umgelenkt. Wenn diese nicht greifen, wird unser Energiewende-Umsetzungsproblem noch größer als es eh schon ist und wir hätten viel Zeit mit Warten auf den Wasserstoff verschenkt.
(Interview: Ralph Schweinfurth)

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