Wirtschaft

Mit Messfahrzeugen wurde 2015 in München und Umgebung nach unterirdischem Heißwasser für die Nutzung von Erdwärme gesucht. (Foto: dpa/SWM)

13.11.2020

Die Politik kann, wenn sie will

Geothermie ist die Lösung für die Wärmewende

Für Erwin Knapek ist „Geothermie eine zarte Pflanze, die nicht aus dem Markt gedrängt werden darf.“ Aber gibt es da nicht in Deutschland inzwischen 400.000 „oberflächennahe Geothermieanlagen“, auf die der von Knapek geführte Bundesverband Geothermie (BVG) immer wieder mit Stolz und der Anmerkung verweist, „die Nachfrage ist ungebrochen, ein deutliches Wachstum im Markt wurde 2020 erreicht“?

Ja, stimmt schon, gibt Knapek zu. Doch wenn er Geothermie sagt, meint er eher das, was er als Ex-Bürgermeister in seiner Gemeinde Unterhaching bei München zum ersten Mal in Deutschland hat Wirklichkeit werden lassen: „Ein Geothermie-Heizkraftwerk (HKW), bei dem die Wärme immer Vorrang hatte gegenüber der Stromlieferung.“

Öl und Gas dominieren

Als Knapeks Gemeinde 2004 die Idee umsetzte und 2007 das HKW in Betrieb ging, gab es solche Anlagen zwar schon in Island oder Neuseeland, aber kaum in Mitteleuropa. Inzwischen laufen in der Bundesrepublik 37 Geothermie-Kraftwerke. Doch auch sie haben bislang nicht die Dominanz von Öl und Gas am Wärmemarkt brechen können: Gerade mal 14 Prozent am hiesigen Wärmemarkt wird von erneuerbaren Energien gedeckt. Und dazu zählen neben den Geothermie-HKW auch Solarthermie, Biogaswärme und nicht zuletzt die „Oberflächennahe Geothermie“, besser bekannt als Wärmepumpen.

„Aber ohne Geothermie ist eine Wärmewende überhaupt nicht möglich. Das steht aus wissenschaftlicher Sicht fest“, sagt die Leibniz-Geophysik-Forscherin Inga Moeck. Sie plädiert dafür, nicht so tief zu bohren wie in Unterhaching. „Mitteltiefe Geothermie ist erschwinglich finanzierbar und wird ein entscheidender Faktor für die Wärmewende“, gibt sich Moeck überzeugt. Denn es habe einen ganz entscheidenden technischen Fortschritt gegeben: „Hochleistungs-Wärmepumpen können Temperaturen von 40 bis 60 Grad Celsius auf Wärmenetz-Niveau heben.“ Und solche Untergrundtemperaturen gäbe es beileibe nicht nur im Raum rund um München, sondern in der ganzen Republik. Was mitteltiefe Geothermie konkret bedeutet, wird die Professorin gefragt: „Das ist nicht genau definiert, aber in etwa zwischen 1000 und 2000 Meter unter der Erde.“ Doch genau jene dort verfügbare „hydrothermale Energie“ gelte es zu nutzen, fordert Inga Moeck.

Im Forschungsprojekt Mesotherm werden deren Möglichkeiten und Potenziale erforscht. Und zwar in Norddeutschland, wo Geothermie ebenfalls mehr zur Wärmewende beitragen soll. „Die Politik muss die wissenschaftlichen Erkenntnisse umsetzen. Das erkenne ich bislang noch nicht“, stellt die Professorin fest. Bis 2023 läuft jedenfalls erst einmal dieses Projekt – vielleicht ist danach ja die Notwendigkeit auch den verantwortlichen Ministern und Abgeordneten bewusst.

CO2 bepreisen

Hört man den Referenten am diesjährigen Online-Geothermiekongress zu, könnte man das Gefühl haben: „Die Wärmepumpe in ihrem Dauerlauf hält weder Ochs noch Esel auf.“ Wenn da nicht die entscheidenden Kleinigkeiten wären, die es anscheinend schon immer gibt, und an die sich die Politik bis heute nicht heranwagt. Eine CO2-Bepreisung über 110 Euro pro Tonne, wie sie sogar der Maschinenbauverband VDMA fordert. Oder „eine neue Rangordnung im Bereich Brennstoffe. Die Fossilen kommen mit recht wenigen Abgaben davon, um die 30 Prozent. Durch die Stromsteuer et cetera und andere mit hohen Abgaben haben wir eine ungleiche Belastung. 70 Prozent des Strompreises sind Abgaben, damit wird der Betrieb von elektrischen WP genauso behindert wie der Zubau. Ansonsten ist Geothermie eine erneuerbare Energiequelle, die uns schon heute kostenlos zur Verfügung steht“, nennt BVG-Vorsitzender Knapek Details.

Dass trotz solcher Hindernisse gerade Stadtwerke und andere Energieunternehmen auf Geothermie setzen, ist deshalb verwunderlich. Aber nur auf den ersten Blick. Thomas Jahrfeld, BVG-Vize und bei den Stadtwerken München für Ökoenergie-Entwicklung zuständig, erklärt ganz klar: In der Stadt ist die Verbrennung von Kohle oder Gas heutzutage kaum mehr opportun. Und von den Bohrungen – auch wenn die schon mal zwei Jahre lang dauern – bekommt fast niemand wirklich etwas mit. Ende des Jahres werde mit dem HKW Schäftlarnstraße die installierte Geothermie-Leistung von 120 Megawatt in der Landeshauptstadt gleich um über 50 Prozent erweitert. „Es könnte noch viel mehr werden. Doch die EU-Richtlinie für erneuerbare Energien ist in Deutschland immer noch nicht umgesetzt, das behindert die Geschwindigkeit bei Planung und Bau.“

Geothermie wird sich durchsetzen

Dennoch ist Jahrfeld sicher, Geothermie wird sich durchsetzen. Das Beispiel von Turbinenbauer MTU, der am Standort Karlsfeld nördlich von München „einen eigenen Claim“ abgesteckt hat, oder der notwendige Energieersatz der Kohle in den Nahwärmenetzen in NRW oder der Lausitz machen ihm Hoffnung. Auch wenn „die Energiewende in Parteiprogrammen bislang Stromwende meint, die Wärmewende also noch nicht angekommen ist bei der Politik“: Immerhin gebe es da ja noch Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW).

Der habe erst vor ein paar Wochen beim „Praxisforum Geothermie“ die „Tiefen-Geothermie als große Chance für Wärmewende in Bayern“ gesehen, mit „viel Potenzial für eine klimafreundliche Wärmeversorgung“, berichtet Jahrfeld. Die im Bündnis „Wärmewende durch Geothermie“ zusammengeschlossenen Firmen seien seitdem in intensiven Gesprächen mit dem Ministerium über einen „Masterplan Geothermie“, heißt es.

Einen weiteren zukunftsträchtigen Vorteil geothermischer Bohrungen nennt Inga Moeck: Dank „mitteltiefer Geothermie in Coproduktion“ könne „im Oberrheingraben Lithium nach oben geschwemmt werden“. Somit ließe sich einerseits die oft umwelt- und menschenschädigende Li-Produktion in Schwellenländern ersetzen und gleichzeitig umweltverträgliche Wärme produzieren. Ein Pilotprojekt ist bereits im Entstehen.

Positive Auswirkungen

Erwin Knapek dagegen lenkt den Blick zurück ins Jahr 1984: Seit dieser Zeit laufe ein Projekt, das in der ehemaligen DDR errichtet wurde, „ohne große Probleme. Doch diese positiven Auswirkungen wurden bislang stiefmütterlich behandelt.“ Und die Politik habe zwar immer wieder den Wunsch nach mehr Ökoenergie öffentlich verlautet, aber mit einzelnen Entscheidungen das Gegenteil bewirkt: „2013 hat der damalige Umweltminister Altmaier eine Strompreisbremse angekündigt. Die hat die Geothermie am meisten getroffen, 450 Millionen zugesagte Investitionsmittel wurden aus dem Ausland wieder zurückgezogen aufgrund einer Bloomberg-Analyse.“ Deshalb hofft der BVG-Chef weiter, dass die aktuelle EEG-Reform sich doch noch zum Guten wendet. „Bei Geothermie muss die Preis-Degression mit der Leistung, nicht mit dem Inbetriebnahmedatum gekoppelt werden. Denn die Planung dauert sieben Jahre.“ Doch das ist nur eine Forderung. „Der Pumpenstrom für WP und Tiefengeothermie ist immer noch mit EEG-Umlage belegt. Das muss weg.“ Nicht zuletzt aber seien „Subventionen in Fossile Wärme zum Schaden der Erneuerbaren, vor allem aber des Klimaschutzes.“ Damit meint er die aktuelle Förderung von Öl- und Gas-Heizungen: „Diese Subventionspolitik gehört umgestellt. Denn die Klimakrise hat schlimmere Auswirkungen als Corona. Doch die Pandemie zeigt, was die Politik kann, wenn sie will“ – ein Hoffnungsstreif.

Aber will die Politik auch wirklich Geothermie? Das dürfte die Gretchenfrage sein. Auch wenn der Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) inzwischen zum Schirmherr der Geothermie-Konferenz mutierte: Wirkliche Zusagen gab er keine.
(Heinz Wraneschitz)

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