Wirtschaft

Die Erfahrung eines Arbeitsvermittlers: Zehn von 100 Flüchtlingen könne man innerhalb des ersten Jahres in Arbeit vermitteln. Im zweiten Jahr steige die Quote auf 20 Prozent. (Foto: dpa)

29.12.2017

Die schwierige Job-Vermittlung für Flüchtlinge

Viele Flüchtlinge sind motiviert, sich schnell in den deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren. Vor allem mangelnde Sprachkenntnisse und fehlende Ausbildungen in ihrer Heimat erschweren jedoch die Job-Vermittlung

Eine Studie zur Schulbildung von Flüchtlingen sorgte im Sommer für großes Aufsehen: Fast 60 Prozent der Asylbewerber besäßen keinen Schulabschluss, hieß es darin. Der Autor hatte die These aufgestellt, dass Flüchtlinge, die keine Angabe zu ihrem Schulabschluss gemacht haben, auch keinen haben. Dass dieser Schluss nicht zulässig ist, betont Herbert Brücker vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Repräsentative Befragungen zu dem Thema ergäben ein ganz anderes Bild: Die Mehrzahl der Flüchtlinge habe demnach einen Schulabschluss. Brücker bezeichnet den Vorfall daher als "Wissenschaftsskandal". Bei den beruflichen Abschlüssen sehe es dagegen anders aus. Die Jobvermittlung ist daher in der Realität oft schwierig.

Auch das Bundesinstitut für Berufsbildung (BiBB) in Bonn, das die Studie im Sommer veröffentlicht hatte, hat inzwischen zugegeben, dass der Text zumindest "zu Missverständnissen Anlass" gab. "Aufgrund der erheblich veränderten Daten- und Informationslage haben wir den Beitrag mittlerweile aus dem Netz genommen", sagte ein Sprecher.

Doch welche Kenntnisse bringen Asylbewerber tatsächlich mit? Laut einer repräsentativen Befragung von erwachsenen Flüchtlingen - die Angaben dazu gemacht haben - haben 64 Prozent einen ausländischen Schulabschluss. 35 Prozent hatten weiterführende Abschlüsse - vergleichbar mit Gymnasien oder Fachoberschulen, 25 Prozent mittlere Abschlüsse - vergleichbar mit Haupt- und Realschulen. 4 Prozent hatten sonstige Schulabschlüsse erworben, etwa an Fachschulen. Je 11 Prozent hatten nur eine Grundschule oder gar keine Schule besucht.

Welche Kentnisse bringen Asylbewerber tatsächlich mit?

Dabei gibt Brücker zu bedenken, dass viele Bildungsbiografien durch Krieg und Flucht unterbrochen wurden. Außerdem sei die Qualität der Bildungssysteme sehr unterschiedlich: "Ein Jahr Schule in Syrien ist sicher nicht vergleichbar mit einem Jahr Schule in Deutschland."

Und die berufliche Qualifikation der Menschen sei deutlich geringer als die Schulbildung: Nur 12 Prozent der Geflüchteten haben demnach ein (Fach-)Hochschulstudium und 8 Prozent eine berufliche Ausbildung abgeschlossen. Weitere 8 Prozent haben ein Studium oder eine Ausbildung begonnen, aber nicht abgeschlossen. 72 Prozent verfügen über gar keine Berufs- oder Hochschulausbildung. "Da gibt es natürlich eine unglaubliche Diskrepanz zu dem, was wir in Deutschland haben", sagt Brücker: 65 Prozent der Deutschen hätten eine abgeschlossene Berufsausbildung, etwa 21 Prozent einen Hochschulabschluss. Nur 10 Prozent hätten gar keinen Abschluss.

Die meisten Flüchtlinge fänden daher bislang eher Jobs ohne formelle Qualifikationsanforderung - etwa in der Gastronomie, in Einzelhandel, Pflege, Reinigungsgewerbe und bei Sicherheitsfirmen. "Oft finden sie auch Jobs in Unternehmen, die anderen Migranten gehören", sagt Brücker - denn hier fällt die Sprachbarriere weg.

Anerkennung des Abschlusses läuft meist erfolgreich

Einige Flüchtlinge bemühen sich auch um die Anerkennung ihres Abschlusses hierzulande. Bei der zentralen Anerkennungsstelle der Industrie- und Handelskammern für ausländische Berufsabschlüsse (IHK FOSA) in Nürnberg hatten Ende Oktober mehr als 1700 Syrer einen solchen Antrag gestellt, wie Geschäftsführerin Heike Klembt-Kriegel sagt. Der Schwerpunkt liege bei kaufmännischen, Elektro- und IT-Berufen. Für viele Flüchtlinge sei es jedoch schwierig, ihre Kenntnisse mit Dokumenten zu belegen. Dann werden sie von einem Experten aus ihrem Bereich auf Herz und Nieren geprüft.

"Man muss immer schauen, was hat der Einzelne konkret gemacht?", sagt Klembt-Kriegel. "Wir haben in Deutschland ein sehr ausdifferenziertes System der Berufe - allein 350 im Kammerbereich." Die überwiegende Zahl der Verfahren ende jedoch positiv - den Flüchtlingen werde die volle Gleichwertigkeit ihres Abschlusses bescheinigt.

Letztlich entscheide, was jemand könne, und nicht, was auf dem Papier stehe, sagt auch BMW-Sprecher Jochen Frey. Bei dem Autokonzern hätten inzwischen mehrere Flüchtlinge eine Berufsausbildung begonnen. "Wir haben hier sehr gute Erfahrungen gemacht, die Motivation ist sehr hoch", sagt Frey. Viele brächten handwerkliche Kenntnisse mit, die praktische Arbeit falle ihnen leicht. "Beim Berufsschulteil der Ausbildung tun sich manche aber noch schwer", sagt Frey.

Haupt-Hindernis: Zu schlechte Deutschkenntnisse

Diese Erfahrung machen auch die Jobcenter: Zu schlechtes Deutsch sei der Hauptgrund, warum man jungen Flüchtlingen nicht schneller eine Ausbildung vermitteln könne, sagt Alexander Pauser vom Jobcenter in Cham (Oberpfalz). Auch bei der Vermittlung eines richtigen Jobs bereitet die Sprache oft Probleme. Anton Vrkic betreut derzeit im Jobcenter Würzburg etwa 160 männliche Flüchtlinge zwischen 25 und 65 Jahren. Mit vielen kann sich der 49-Jährige kaum austauschen, weil ihr Deutsch zu schlecht ist. Seine Erfahrung: Vor allem die jungen und motivierten Zuwanderer lernen die Sprache schnell: "Das Wichtigste ist die Eigenmotivation - wenn ein die Mensch hat, ist alles möglich."

Doch einige Flüchtlinge wollen so schnell wie möglich Geld verdienen - egal unter welchen Bedingungen, berichten auch Hilfsorganisationen. Sie müssen den Schlepper bezahlen oder ihre Familie unterstützen. Einzelne wiederum haben es mit der Arbeit nicht eilig. Genauso wie unter den Deutschen gibt es nach der Erfahrung von Jobvermittlern auch unter Flüchtlingen wenige, die lieber Hartz IV beziehen, als für rund 200 Euro mehr den ganzen Monat zu schuften.

Vrkic sagt, zehn von 100 Flüchtlingen könne man innerhalb des ersten Jahres in Arbeit vermitteln. Im zweiten Jahr steige die Quote auf 20 Prozent. "Dabei darf man nicht verschweigen, dass hier ganz viele kurzfristige Beschäftigungen als Helfer dabei sind. Bei der langfristigen Job-Integration stehen wir noch vor einer riesigen Herausforderung." Seine Erfahrungen decken sich mit Erhebungen des IAB. Die Forscher halten es daher für realistisch, dass nach etwa fünf Jahren die Hälfte der Flüchtlinge erwerbstätig sein wird.
(Catherine Simon, dpa)

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