Wirtschaft

Ulrike Mascher macht schon seit 2008 auf die Gefahr von Altersarmut aufmerksam. (Foto:VdK)

14.09.2012

„Ein kleiner Schutzwall gegen Altersarmut“

VdK-Präsidentin fordert Mindestlöhne und ein Rentenniveau von 50 Prozent des durchschnittlichen Nettolohns

Die Bundespolitik hat die Altersarmut auf ihr Radar genommen. Wir sprachen mit Ulrike Mascher, der in Bayern lebenden Präsidentin von Deutschlands größtem Sozialverband, dem VdK, über die unterschiedlichen Vorschläge der großen deutschen Volksparteien. BSZ: Frau Mascher, man könnte sagen „Guten Morgen liebe Bundesregierung“. Wie bewerten Sie die Tatsache, dass man in Berlin jetzt die Altersarmut entdeckt hat?
Mascher: Endlich, kann ich nur sagen. Der Sozialverband VdK hat Altersarmut schon seit Jahren thematisiert und das Bewusstsein dafür geschaffen. 2008 hatten wir ein Großflächenplakat mit dem Titel „Endstation Armenküche“, damals sagten viele zu uns, dass Altersarmut doch wirklich kein deutsches Problem sei. Doch die Situation hat sich seither deutlich verschärft. Ich glaube, dass auch dank großer VdK-Armutskampagnen das Thema nicht mehr vom politischen Programm genommen werden kann und sich deshalb auch die Bundesregierung damit beschäftigen muss. BSZ: Wer ist eigentlich verantwortlich für die Entwicklung in Deutschland hin zu immer mehr prekärer Beschäftigung und der daraus resultierenden Gefahr bzw. bereits real existierenden Altersarmut? War es die rot-grüne Bundesregierung mit der Einführung der Hartz-Gesetze?
Mascher: So monokausal kann man nicht argumentieren. Die Hartz-Gesetze sind das eine, doch die wirtschaftliche Entwicklung der letzten zehn Jahre ist das andere. Das Statistische Bundesamt hat Zahlen vorgelegt, nach denen jeder Fünfte von Niedriglohn leben muss. Das und die hohe Teilzeitquote sind in der Tat Alarmsignale für spätere Altersarmut. Es ist also wichtig, Altersarmut auch mit arbeitsmarktpolitischen Mitteln zu bekämpfen. Auch die Einführung eines Mindestlohns könnte zumindest ein kleiner Schutzwall sein. BSZ: Was halten Sie von von der Leyens Zuschussrente?
Mascher: Positiv daran ist, dass ihr Vorschlag im Gegensatz zur Rentenpolitik der vergangenen Jahre immerhin keine Leistungsverschlechterungen enthält. Und das zugrunde liegende Problem, dass vor allem Frauen in Gefahr sind, im Alter arm zu sein, hat Ursula von der Leyen richtig erkannt. Für einen – sehr kleinen – Teil der Armutsgefährdeten stellt das Modell ja sogar eine Leistungsverbesserung dar. Doch für die meisten sind die Zugangsvoraussetzungen fern jeder Realität. Zunächst 40, später 45 Versicherungsjahre, davon zunächst 30, später 35 Jahre mit versicherungspflichtiger Beschäftigung oder Kindererziehung und Pflege sowie viele Jahre private Vorsorge: Diese Hürden können gerade Frauen aber auch Langzeitarbeitslose und Erwerbsgeminderte häufig nicht überspringen. Bitter ist es aber besonders für Rentnerinnen und Rentner, die bereits heute armutsgefährdet sind, denn die Neuregelungen sollen nur für Neurentner gelten.
BSZ: Wie bewerten Sie das aktuelle SPD-Konzept?
Mascher: Positiv an den SPD-Vorschlägen ist aus Sicht des VdK, dass einige zentrale VdK-Forderungen aufgegriffen wurden. Dazu gehören die Anrechnung von drei statt einem Jahr für Kindererziehungszeiten für Mütter, die vor 1992 Kinder geboren haben, die Wiedereinführung der Rente nach Mindesteinkommen, also einer Höherbewertung niedriger Einkommen für die Rente, die Aufwertung der Grundsicherung im Alter und der Wegfall der Abschläge für Erwerbsminderungsrenten. Doch auch das SPD-Konzept will diese Verbesserungen nur für Neurentner einführen, Bestandsrentner sollen auch hier leer ausgehen.
BSZ: Was müsste man wirklich tun, um Altersarmut zu verhindern?
Mascher: Die Rente ist ein Spiegelbild des Erwerbslebens. Neben der Einführung eines Mindestlohns, der es bei einer Vollzeittätigkeit ermöglicht, eine Rente oberhalb der Grundsicherung zu erwirtschaften, wären auch Bildungsoffensiven notwendig, gerade für Migranten und Kinder aus benachteiligten Familien. Ein weiterer wichtiger Schritt wäre, das Rentenniveau von derzeit 51 Prozent nicht noch weiter absinken zu lassen, bis 2030 soll es auf 43 Prozent sinken. Bei 50 Prozent des durchschnittlichen Nettolohns muss Schluss sein. Gerade bei Niedriglöhnern steuern wir mit der geplanten Absenkung auf Altersarmut zu. Deshalb ist auch das SPD-Rentenpapier nicht zu Ende gedacht. Denn selbst die positiven Effekte der geplanten Neuregelungen für die künftigen Rentnerinnen und Rentner werden durch das sinkende Rentenniveau mittel- und langfristig wieder zunichte gemacht. BSZ: Wie gut steht Bayern beim Thema Altersarmut da?
Mascher: Bayern ist kein weiß-blaues Rentnerparadies. Das hat der letzte Sozialbericht der Staatsregierung eindeutig belegt. 19 Prozent beträgt die Armutsgefährdungsquote der über 65-Jährigen im Freistaat, bei älteren alleinstehenden Frauen sogar 28,3 Prozent. Außerdem hinkt Bayern sowohl bei Bestands- als auch bei Neurenten dem Bundesdurchschnitt deutlich hinterher. Die Zahlen der Grundsicherungsempfänger steigen auch hierzulande stetig und unaufhaltsam an. BSZ: Wissenschaftler wie Gerd Bosbach von der Fachhochschule Koblenz fordern, den Produktivitätsfortschritt zu integrieren und schon wäre das Rentenproblem gelöst. Was halten Sie davon?
Mascher: Faktoren wie der „Produktivitätsfortschritt“, den Professor Bosbach in seinem Konzept nennt, sind meiner Meinung nach schwer fassbar. Um Maßnahmen wie etwa das Einfrieren des Rentenniveaus auf 50 Prozent zu finanzieren, müssen auch Unternehmen mehr in die Verantwortung genommen werden. Am besten geht das durch Stärkung der Einnahmeseite des Staatshaushalts, also etwa über eine höhere Besteuerung von Gewinnen.
(Interview: Ralph Schweinfurth)

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