Wirtschaft

Freyung wird vom neuen Verwaltungsgericht für Niederbayern, das 40 Arbeitsplätze bringt, profitieren. (Foto: dpa/Armin Weigel)

24.01.2020

„Ein unübersehbares Signal für ein Leben mit Zukunft“

Holger Magel, Ehrenpräsident der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum, über den Effekt von Behördenverlagerungen

Die Staatsregierung will weitere Behördenarbeitsplätze von der Landeshauptstadt in andere Regionen Bayerns verlagern. Damit soll der Großraum München entlastet werden. Darüber sprachen wir mit Holger Magel, dem Ehrenpräsidenten der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum.

BSZ: Herr Magel, Kritiker der Verlagerung von Behördenarbeitsplätzen bemängeln, dass bisher keinerlei Nutzen nachgewiesen ist. Wie sehen Sie das?
Holger Magel: Eine echte, das heißt weitgreifende und tiefergehende Evaluierung, die den Zweiflern ihre Sorgen nehmen, steht in der Tat noch aus. Wir sind ja auch noch ziemlich am Anfang. Aber man kann auch heute schon sagen: So verkehrt kann das Ganze gar nicht sein, wenn zum Beispiel das stolze schwarz grün regierte Hessen und andere Bundesländer sowie der Bund das jetzt nachmachen. Und das Wirtschaftsforschungsinstitut ifo aus München verweist in diesem Zusammenhang auf die durchaus positiven Effekte in Großbritannien. Vor einigen Jahren wurden 25 000 Behördenarbeitsplätze aus London in kleinere Städte verlagert. Davon profitierte vor allem der Dienstleistungssektor in diesen Orten. Das produzierende Gewerbe hingegen nicht.

BSZ: Warum?
MAGEL Weil durch das Erstarken des Dienstleistungsbereichs das allgemeine Preisniveau, auch bei den Immobilien und bei Grund und Boden, gestiegen ist. Plötzlich wurde wieder investiert. Familien zogen in die Städte und bauten zum Teil auch Eigenheime. Es war wieder Nachfrage da, was zu steigenden Preisen führte. Das führte zur Abwanderung von Produktionsbetrieben in benachbarte billigere Orte.

BSZ:
Also muss zum Beispiel der Bürgermeister von Freyung jetzt keine Angst haben, dass mit dem neuen Verwaltungsgericht für Niederbayern, das dort hinkommen soll, alle Betriebe Reißaus nehmen.
Magel: Nein, denn sie werden sich ähnlich verhalten wie in England und in benachbarte ländliche Orte gehen und dorthin Leben bringen, wenn das Preisniveau wirklich extrem steigen sollte. Das ist ja immer eine Frage der Relation.

BSZ: 40 neue Arbeitsplätze für Freyung in dem neuen Gericht erscheinen nicht viel. Was bringt das?
Magel: Sichtbare Anerkennung durch die Staatregierung und ein unübersehbares Signal für ein Leben mit Zukunft für die Kommune, die in den vergangenen Jahren unter Vernachlässigung und Abwanderung gelitten hat. Bürgermeister Olaf Heinrich hat zusammen mit seinem Stadtrat und seinen Bürgern eine bewundernswerte Vision und Strategie für seine Stadt und vor allem für die mit Städtebaumitteln erfolgte Revitalisierung des Stadtkerns entwickelt. Sie soll wieder die Funktion eines zentralen Orts in der Region übernehmen.

BSZ: Wie geht das?
Magel: Dazu verhelfen entscheidend auch der neue Technologiecampus der Technischen Hochschule Deggendorf und die erst kürzlich eröffnete Musikakademie. Das alles hat überaus positive psychologische Wirkungen, weil Aufbruchstimmung vermittelt wird und die Botschaft: Die Abwärtsspirale und die Jahre des Niedergangs sind vorbei. Ich habe es selbst erlebt, dass das Modell Freyung im nahen überaus selbstbewussten Oberösterreich, das ja auch einen breiten Anteil an waldreichen Grenzgebieten hat, von der dortigen Landesregierung bewundernd registriert wird. Außerdem wird durch das neue Verwaltungsgericht ganz Niederbayern aufgewertet. Es war bisher der einzige Regierungsbezirk im Freistaat ohne ein solch wichtiges Gericht. Alle niederbayerischen Fälle mussten in Regensburg verhandelt werden. Das dortige Verwaltungsgericht wird durch das neue Gericht in Freyung entlastet, und die Behörden in Niederbayern können nun mit dem Gericht in Freyung „unter sich“ kommunizieren, was dem besonderen niederbayerischen Stolz sicher entgegenkommt.

BSZ: Das alles sorgt aber noch nicht für Industriearbeitsplätze, allenfalls für neue Jobs in Gastronomie und anderen Dienstleistungsbereichen.
Magel: Richtig. Die Industriejobs kommen erst, wenn zum Beispiel aus dem Technologiecampus heraus oder als seine Folge Start-ups gegründet werden, oder wenn – was ja auch passiert – unternehmerische Rückkehrer aus Berlin oder anderswo wegen der gestiegenen Attraktivität in ihrer Heimat neue Jobs gründen. Natürlich sollten dazu vom Staat noch viel bewusster gerade an diesen Hochschulstandorten Unternehmensgründungen gefördert und dort, aber auch generell, schnelle Internet- und Mobilfunkverbindungen als essenzieller Teil der Daseinsvorsorge zur Verfügung gestellt werden.

BSZ: Was bringt in diesem Zusammenhang die Initiative „HeimatUnternehmen“?
Magel: Diese von der Verwaltung für Ländliche Entwicklung gestartete Initiative kann dabei vielseitig, vor allem in Richtung Vernetzung der Unternehmen unterstützend tätig sein. Teisnach, auch eine Filialgründung der Hochschule Deggendorf im Landkreis Regen, hat erfolgreich Start-ups angezogen, die in engem Austausch mit der Hochschule sind und Wissenstransfer und Mehrwertgenerierung zum Wohle der Unternehmen und der gesamten Region betreiben. Noch schöner wäre es natürlich, wenn – was ich immer wieder betone – noch mehr erfolgreiche Unternehmen Arbeitsplätze aus den Ballungsräumen in den ländlichen Raum verlagern würden. Ein faszinierendes Beispiel und eine überzeugende Bestätigung der Verlagerungspolitik mit simultaner dezentraler Hochschulstrategie ist übrigens auch die nördliche Oberpfalz.

BSZ: Was ist da passiert?
Magel: Durch die Neugründung eines Studiengangs Geoinformation und Landmanagement an der OTH Amberg-Weiden ist es gelungen, ein völlig neues Studentenpotenzial aus der Region zu rekrutieren. Deren Berufswunsch ist die nachfolgende Beschäftigung in den Ämtern der Vermessungs- und Ländlichen Entwicklungsverwaltungen in Tirschenreuth, Waldsassen, Windischeschenbach et cetera. Diese Ämter wurden in diese Region verlagert. Hier wie auch in Freyung wird aus einer strukturell gefährdeten Region ein zur Nachahmung einladender Innovations- und Aufsteigerraum.

BSZ: Kann die Behörden- und Hochschulverlagerung die Mittel- und Kleinstädte stärken?
Magel: Betrachten wir doch einmal Ansbach oder meine Heimatstadt Neuburg an der Donau. Das sind typische Behörden- und Beamtenstädte. Diese Mittel- oder Kleinstädte leben von den dort arbeitenden und lebenden Behördenmitarbeitern und den nachgelagerten zuarbeitenden Firmen. Sie profitieren also: vom Bäcker über den Metzger, die Supermärkte, Handwerker, die Kreditinstitute, die Kfz-Werkstatt bis hin zu Ärzten, Physiotherapeuten, Immobilienmaklern, Planungsbüros und und und. Auch Behörden und ihre Mitarbeiter und deren Familien erzeugen Nachfrage und damit Lebenskraft. Und wenn deren Kinder vor Ort wie etwa in Neuburg, Ansbach, aber auch in Freyung, Grafenau, Tirschenreuth, Waldsassen oder Teisnach zu Hause oder regional Studienmöglichkeiten mit anschließenden Jobperspektiven vorfinden, bleiben die auch in der Heimat. Das ist längst nachgewiesen.

BSZ: Wie?
Magel: Nach einer Untersuchung des Staatsinstituts für Hochschulforschung und -planung bleiben gerade die Absolventen von (Fach-) Hochschulen eher in der Heimat. Aber dazu müssen Jobs da sein, wie es durch die Behördenverlagerungen oder im Falle von Neuburg zusätzlich durch das neue Hightech Areal von Audi oder Ähnliches geschieht. Und: Es müssen attraktive Lebensbedingungen auf dem Land da sein. Ohne die geht nichts. Heute nennen wir das räumliche Gerechtigkeit und gleichwertige Lebensbedingungen. Dazu steht alles im Bericht der Enquetekommission „Gleichwertige Lebensbedingungen in ganz Bayern“.

BSZ: Wie lange wird es dauern, bis positive Wirkungen der Behördenverlagerungen einsetzen?
Magel: Für so etwas braucht es einen langen Atem. Ich schätze, dass es schon zehn Jahre dauern wird, weil richtigerweise nicht mit Zwang agiert, sondern auf Freiwilligkeit und sukzessive Umsetzung gesetzt wird.

BSZ: Die Landeshauptstadt soll ja entlastet und gleichzeitig als europäischer Leuchtturm herausgestellt und ein achter Regierungsbezirk werden. Wie sehen Sie das vor dem Hintergrund der Stärkung des ländlichen Raums?
Magel: Man muss das natürlich in aller Ruhe diskutieren. Vorschnelle Urteile schaden da nur. In jedem Fall bin ich der Meinung, und das habe ich dem Leiter der bayerischen Landesplanung auch schon gesagt, muss dieser Plan auch aus dem Gesichtspunkt der Raumordnung und Landesentwicklung im Landesplanungsbeirat diskutiert werden. Das ist nicht allein eine überaus komplexe staats- und kommunalrechtliche Frage. Mir geht es darum, zu hinterfragen, ob dieses Ziel „München alleinzustellen“ nicht unter Umständen nachteilig ist für den ländlichen Raum Bayerns, und ob es nicht zugleich die zumindest immer wieder betonte Entlastung Münchens konterkariert.

BSZ: Wieso?
Magel: Weil offensichtlich München noch herausgehobener und noch attraktiver werden soll. Die Landeshauptstadt wird noch mehr Firmen und damit Menschen anziehen und damit die Überhitzungs- und Überlastungseffekte weiter verstärken. Ich studiere dazu immer wieder die Worte von Ministerpräsident Markus Söder. Er sprach davon, München mit Maß klug zu beschleunigen. Er hat nicht gesagt, München klug und massvoll entwickeln und steuern. Seit Seehofer war doch immer von einer Entschleunigung Münchens die Rede. Die Staatszeitung berichtete seinerzeit groß darüber. Das scheint jetzt obsolet zu sein. Zur Entschleunigung könnte nur beitragen, wenn nicht noch mehr Firmen nach München ziehen würden.

BSZ: Was meinen Sie damit?
Magel: BMW will allein 15.000 neue Arbeitsplätze in seinem Forschungszentrum in München-Feldmoching schaffen. Aber auch die Techkonzerne Apple und Google wollen ihre Münchner Standorte weiter ausbauen. Jeweils 1500 neue Jobs sollen bei beiden entstehen. Jeder kann sich ausrechnen, was das an Zuzug von Familien und deren Ansprüchen an Wohnraum, Kitas, Kindergarten, Schulen, Straßenbau, ÖPNV, oder an Zunahme neuer Pendlerströme aus dem Umland im ohnehin schon gestressten Großraum München bedeutet.

BSZ: Was ist also zu tun?
Magel: Sicher wird es immer Gründe geben, warum globale Dienstleistungsbetriebe und Weltmarken wie Apple oder Google in die große Stadt ziehen. Aber beim produzierenden Bereich sollte man alles versuchen, aufs Land zu gehen, wie es BMW ja früher schon vorbildlich gemacht hat. Neue Jobgründungen in München erzeugen Signalwirkung für andere und werden zu weiteren Beschleunigungs- und Verdichtungsproblemen führen. Wo das hinführen soll, weiß niemand. Ich kenne kein Zukunftsbild von München, das dazu eine Antwort gibt.

BSZ: Was bedeuten dagegen 3000 wegfallende Behördenjobs?
Magel: In jedem Fall keine Entlastung für München. Vielleicht, das ist meine Hoffnung, eine finanzielle und lebensqualitative Entlastung für die Mitarbeiter, die freiwillig aus dem immer hochpreisigeren München wegziehen können.

BSZ: Warum immer hochpreisiger?
Magel: Das sind ja alles gut dotierte Stellen, die da von den Konzernen geschaffen werden. Also wird das allgemeine Preis- und Mietniveau in München weiter steigen, sodass sich der einfache Streifenpolizist oder die Krankenschwester oder auch normale Familien ein Leben in der Landeshauptstadt noch weniger werden leisten können. So viele Sozialwohnungen kann die Stadt gar nicht bauen, um diesen Menschen ein bezahlbares Dach über dem Kopf bieten zu können. München ist damit auf dem Weg zu einer extrem teuren Weltmetropole wie London, Paris oder Barcelona mit negativen Auswirkungen nicht nur auf Bayern, sondern auch auf die angrenzenden Bundesländer Sachsen und Thüringen.

BSZ: Wieso denn das?
Magel: Weil die guten Leute von dort alle nach München kommen wollen und weil dann in diesen Bundesländern die klugen Köpfe fehlen. Da braucht man sich dann nicht zu wundern, wenn dort bestimmte Parteien von zurückgebliebenen und enttäuschten Bevölkerungsgruppen gewählt werden.

BSZ: Was wäre also zu tun?
Magel: Wie gesagt, in Szenarien und Gedankenspielen das gesamte Bayern auch raumordnerisch und regionalökonomisch durchdenken und nicht sofort auf München losmarschieren. Es wäre zum Beispiel denkbar, auch den zweiten bayerischen Großraum, die Städteachse Nürnberg-Fürth-Erlangen aufzuwerten, damit sich der Druck verteilt und eine bessere Balance in Bayern erreicht wird. Und dazu eine aktiv steuernde Wirtschaftspolitik zu betreiben.

BSZ: Das heißt?
Magel: Die Unternehmen können ja durchaus zu Repräsentationszwecken ihre Zentralen in München oder Nürnberg haben, aber alle anderen Unternehmensbereiche wie Produktion, Forschung und Entwicklung sowie Verwaltung sollten wie gesagt raus aus der Stadt. Mittels Datenleitungen ist das alles kein Problem, dass diese Bereiche mit der Zentrale verbunden sind. Die sogenannten physischen Fühlungsvorteile sind meines Erachtens im digitalen Zeitalter kein Grund mehr, in München zu bleiben. So eine Dezentralisierung würde auch Pendlerströme reduzieren und damit die Umwelt schonen.

BSZ: Apropos Umwelt: Wenn die Behörden verlagert werden, muss doch der ÖPNV am Land massiv ausgebaut werden.
Magel: Dringend! Man kann die Orte nicht mehr mit Bussen bedienen, die nur dreimal am Tag fahren. Es gehören jetzt ganz schnell zukunftsorientiert und für den ländlichen Raum maßgeschneiderte ÖPNV-Konzepte erarbeitet, die diese Orte mobilitätsmäßig optimal versorgen und den Wünschen von Jung und Alt sowie der Unternehmen gerecht werden. Ich freue mich, dass die Staatsregierung dazu die Empfehlungen der Expertenkommission „Bayern Mobilität 2030“ inhaltlich akzeptiert und in ihr Arbeitsprogramm aufgenommen hat.
(Interview: Ralph Schweinfurth)

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