Wirtschaft

Hier war einst das Versandzentrum des größten Versandhauses Europas untergebracht. (Foto: BSZ)

31.10.2014

Fünf Jahre nach der Quelle-Pleite

Rückblick auf einen schwierigen Neustart

Werner Seitz kramt eine Tüte hervor. Er packt mehrere Paare Schuhe aus und reicht sie an die Anwesenden herum. „Das ist das, was ich jetzt mache: handbemalte Damenschuhe aus Leinen.“ Die Ex-Kollegen schauen ihn etwas ungläubig an. Viele wissen, was Seitz früher – vor der Pleite des Versandhauses Quelle in Fürth bei Nürnberg – getan hat. Er war dort für die Unterhaltungselektronik zuständig. Seine Aufgabe war es, neue Trends aufzuspüren. Jetzt schwärmt er den alten Kollegen beim Quelle-Stammtisch von seinen „etwas anderen Damenschuhen“ vor.
Die Insolvenz von Europas einst größtem Versandhaus liegt zwar mittlerweile fünf Jahre zurück. Aber noch immer treffen sich mehrmals im Jahr ehemalige Mitarbeiter, wie Werner Seitz, in einem Café im Landkreis Fürth um über die guten alten Zeiten zu plaudern – und darüber, was aus ihnen geworden ist.  
Seitz erwischte die Quelle-Pleite eiskalt, wenige Jahre vor der Rente. „Es hieß, mit unseren Qualifikationen würden wir doch leicht wieder einen Job finden“, erzählt er. Die Realität sah ganz anders aus: Der heute 65-Jährige schrieb 98 Bewerbungen und bekam ebenso viele Absagen. „Einen Satz hörte ich immer wieder: Ich sei einfach zu überqualifiziert.“ Seitz machte sich daraufhin selbstständig. Zwei Künstlerinnen aus Taiwan und Nürnberg bemalen für ihn die „Covadas“, wie seine Damenschuhe heißen, in drei Farben und 26 Motiven – oder nach Kundenvorlage. Eine Hundezüchterin hat sich bereits ihre Vierbeiner auf den Schuhen verewigen lassen, eine Firma zum Jubiläum ihr Logo.  
Seine übrig gebliebenen Bewerbungsmappen verschenkt Seitz bei dem Stammtisch an Carmen Weisbrodt. Die 34-Jährige ist nach wie vor auf Jobsuche. Vor Kurzem hat sie ihr zweites Kind zur Welt gebracht. „Jetzt werde ich wieder eine neue Runde mit Bewerbungen starten“, sagt die 34-Jährige. Doch als Einkäuferin sei es schwer, etwas in Nürnberg zu finden. „Mit Handel ist hier nicht mehr viel.“  
Bei Christine Kerner laufen die Geschäfte dagegen gut. Die Ex-Disponentin für Damenoberbekleidung bestreitet heute ihren Lebensunterhalt mit ihrer eigenen Nudel-Kreation. Die 45-Jährige gibt in ihren „traditionellen Teig“ ganze, frisch von Hand aufgeschlagene Hühnereier. Dadurch sollen die Nudeln selbst nach mehrmaligem Aufkochen gut schmecken. Über 100 verschiedene Nudelsorten hat sie mittlerweile im eigenen Ein-Frau-Betrieb produziert und auf Märkten in Mittelfranken verkauft – darunter ausgefallene wie Lebkuchen-Nudeln oder eine Kombination mit Chili und Schokolade.  
Fragende Blicke zieht beim Quelle-Stammtisch zunächst Hedy Loewe auf sich. Die 49-Jährige hatte bei Quelle eine Leitungsfunktion in der Marketingabteilung. Als Hedy Loewe kannte sie bei Quelle allerdings niemand – es ist ihr Pseudonym. Ihr echter Name lautet Sabine Schöberl. Sie schreibt jetzt Fantasy-Romane. Der dritte Teil einer Trilogie über böse Mächte ist gerade in Arbeit – die Leser dürfen mit entscheiden, wie die Handlung weitergeht. „Eine Freundin hat mir immer Bücher gebracht.
Als der Nachschub ausging, habe ich einfach selbst mit dem Schreiben begonnen.“ Allerdings ist das Romaneverfassen im Eigenverlag mehr ein spannendes Hobby. Im Hauptberuf berät die Marketing-Expertin unter anderem Arbeitnehmer, die im Beruf weiterkommen wollen. Schöberl hat noch vor der Quelle-Insolvenz den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt.
Anders als Marga Hetzner. Die Leiterin der Poststelle in der Quelle-Hauptverwaltung in Fürth erlebte die Insolvenz hautnah mit. Am 30. Januar 2010 sperrte sie die Eingangstür des Gebäudes ab – für immer. „Ich habe gerne bei Quelle gearbeitet, es ist schade, dass es dieses großartige Unternehmen nicht mehr gibt“, bedauert sie. Jedoch habe sie ihren Weg gefunden, um nicht mehr im Zorn zurückzublicken. Der Weg war steinig: „Ein großes Nürnberger Unternehmen, das die Stelle einer Poststellen-Leiterin ausgeschrieben hatte, hat mich nicht einmal zum Vorstellungsgespräch eingeladen – obwohl alle Stellenanforderungen passten.“  
Zum fünften Jahrestag der Quelle-Pleite hat die 58-Jährige eine Messe und Ausstellung im ehemaligen Nürnberger Quelle-Versandzentrum organisiert – unter dem Motto „Quelle... 5 Jahre danach“. Ex-Kollegen, die sich selbstständig gemacht haben, zeigten in der zweitgrößten leerstehenden Immobilie Deutschlands, was sie heute machen. Mit dabei war auch Marga Hetzner, die nach rund 100 Bewerbungen schließlich eine Teilzeitstelle im Abgeordnetenbüro von Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) fand.
(Roland Beck, dpa)

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