Wirtschaft

Demonstration vor einer Filiale der Drogeriekette Schlecker, die als besonders unsoziales Unternehmen gilt: Mit ihrer Situation zufrieden im Vergleich zur Stammbelegschaft sind wohl nur die wenigsten Leiharbeiter. (Foto: DAPD)

24.02.2012

Gleiche Arbeit - weniger Lohn

Die Zeitarbeitsbranche steht an einem Scheideweg: Die Unternehmen wollen sie immer stärker nutzen, die Gewerkschaften am liebsten ganz abschaffen

In dieser Woche begannen die Verhandlungen zwischen den Arbeitgeberverbänden und den Gewerkschaften über eine tarifliche Regelung in der Leiharbeitsbranche. Bisher sind die Fronten verhärtet: Das Arbeitnehmerlager fordern weitgehend die gleichen Rechte, wie sie die Stamm-
belegschaft hat, die Wirtschaftsverbände blockieren das.
Da kann schon mal Frust aufkommen: Der Beschäftigte der Zeitarbeitsfirma kommt morgens zur selben Stunde an die Maschine wie der normale Arbeiter, er schwitzt ebenso und abends ist er ebenso kaputt und müde. Trotzdem ist er meist deutlich schlechter gestellt: Sein Einkommen ist nicht selten niedriger, soziale Leistungen des Unternehmens bleiben ihm oft verwehrt. Zumindest unter dem Aspekt von Fairness und Gerechtigkeit lässt sich wenig gegen die Argumentation der Gewerkschaften vorbringen.
Doch auch die Begründung der Firmenchefs klingt nicht unlogisch: Mitarbeiter der Zeitarbeitsfirmen müssen erst einmal eingearbeitet werden, Präzision und Tempo können zwangsläufig und für geraume Zeit nicht das gleiche Niveau erreichen wie das das eines langfristig Beschäftigten.


Drei Viertel sind Männer


Die Leiharbeit in Deutschland brummt, die fünf größten Anbieter erwirtschafteten im vergangenen Jahr nach Angaben des Statistischen Bundesamtes einen Umsatz von fast vier Milliarden Euro. Einst als Notlösung konzipiert, ist daraus inzwischen ein florierender Wirtschaftszweig geworden: Inzwischen sind nach Angaben der IG Metall bereits drei Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigen in der Bundesrepublik bei einer der 17 000 Leiharbeitsfirmen beschäftigt. Das sind über 900 000 Männer und Frauen, davon 300 000 in der Metall- und Elektroindustrie. Drei Viertel von ihnen sind Männer.
Die meisten Leihfirmen behandeln ihre Mitarbeiter ordentlich, es gibt aber auch immer wieder Fälle von schwarzen Schafen, die etwa den vereinbarten Mindestlohn der Branche – derzeit 7,89 Euro in den alten Bundesländern und 7,01 Euro im Osten Deutschlands – unterschreiten. Das klingt nicht wirklich viel und tatsächlich liegen die Löhne oft zwischen einem Drittel bis sogar zur knappen Hälfte unter dem der Stammbelegschaft. Dazu muss man aber wissen, dass gerade in der Metallbranche sehr gut verdient wird, im Dienstleistungssektor etwa ist der Unterschied weitaus geringer – ein Argument, dass von Gewerkschaftsseite gern verschwiegen wird. Einige Branchen, wie etwa die momentan boomende Automobilindustrie, haben darüber mit ihren Partnern in den Verleihfirmen darüber hinaus sogenannte Besservereinbarungen abgeschlossen.
Diese können für die Wirtschaft insgesamt aber rasch zum Boomerang werden – dann nämlich, wenn Arbeitnehmer etwa beispielsweise nach drei Monaten bei BMW oder Audi plötzlich bei einem Möbelproduzenten zum Einsatz kommen. Denn einen Rechtsanspruch hat der Beschäftigte natürlich nur auf den Lohn der Zeitarbeitsfirma. „In diesen Fällen ist es schwer zu vermitteln, warum es bei uns nun deutlich weniger Geld im Monat geben soll“, klagt ein Geschäftsführer aus der holzverarbeitenden Industrie.
Natürlich kann man das Interesse der Unternehmen verstehen, ein flexibles Potenzial an Arbeitskräften zur Verfügung zu haben, deren Einsatz gerade in Zeiten proppevoller Auftragsbücher pünktliche Lieferung garantiert und die bei nur unzureichender Produktionsauslastung nicht den Etat belasten. Das sichert nämlich auch die Jobs der normal Beschäftigten.
Doch wenn Industrievertreter klagen, dass Tausende Stellen dauerhaft unbesetzt sind und Fachkräfte händeringend gesucht würden, dann klingt zumindest die Forderung nach einer Ausweitung des Anteils an Leiharbeitern – derzeit in Deutschland ein Prozent der Beschäftigten, in Großbritannien übrigens schon fünf Prozent – etwas doppeldeutig. Es drängt sich der Verdacht auf, auf diese Weise langfristig unliebsame Lohnnebenkosten im großen Stil auszulagern.


Ursula von der Leyen droht


Die Beteiligten an den Verhandlungen sind allerdings angehalten, eine konstruktive Lösung zu finden – denn sonst will Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) das Heft des Handelns an sich reißen und ein eigenes Gesetz auf den Weg bringen. Schließlich ist inzwischen jede dritte bei den Arbeitsagenturen gemeldete offene Stelle aus dem Fundus einer Leihfirma. Eine erste Verhandlungsrunde zwischen IG Metall und Bayerischer Metall- und Elektroindustrie blieb allerdings ergenislos.
Vor allem den Arbeitgebern kann an einem ordre de mufti aus dem Arbeitsministerium nicht gelegen sein, denn die Ministerin hat – bei aller gebotenen Neutralität der Politik in Tarifverhandlungen – ihre Präferenz für den Arbeitnehmerflügel schon mehrmals deutlich erkennen lassen. Zuletzt forderte sie mit Verweis auf die gute wirtschaftliche Situation in Deutschland deutliche höhere Löhne für die Beschäftigten.
Doch während aus der Politik ein scharfer Wind droht, scheint die deutsche Arbeitsrechtsprechung viel Verständnis für die Leihfirmen und ihre Auftraggeber aufzubringen, wie ein Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt/M. von dieser Woche beweist. Hier erlitt die Gewerkschaft eine empfindliche Schlappe. Die Lufthansa darf demnach 200 schlechter bezahlte Stewardessen als Zeitarbeiterinnen rekrutieren, um sie ab Sommer auf Flügen nach und von Berlin einzusetzen. Manager der Kranich-Linie machten sich nicht einmal die Mühe, irgendwelche Kapazitätsgründe aufzuführen, sondern verwiesen schlicht auf die Kostengründe bei der Wettbewerbsfähigkeit. Hintergrund: Am 3. Juni dieses Jahres wird der neue Hauptstadtflughafen eröffnet, ein lukratives Drehkreuz für viele Arlines im innerdeutschen Verkehr. Einen Antrag auf eine einstweilige Verfügung seitens des Personalrats lehnten die Richter ab.
Und auch bei BMW gibt es Grund zur Freude nach einem Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig. Im sächsischen Werk des Münchner Autoherstellers verweigerte der Betriebsrat die Einstellung beziehungsweise Weiterbeschäftigung von 1100 Leiharbeitern. Das Urteil gilt allerdings nur für 33 der 1100, über das Schicksal der anderen wird noch bis Sommer weiter verhandelt.


Demo vor vbw-Zentrale


Beim bayerischen Wirtschaftsministerium gibt man sich bedeckter, eine Positionierung wie Ursula von der Leyen sie praktiziert, ist dem überzeugten Marktwirtschaftler Martin Zeil (FDP) wesensfremd. Er bedauere, so Zeil zur Staatszeitung, dass die Positionen „so unversöhnlich erscheinen“. Er wünsche sich einen „ausgewogenen Tarifvertrag“, das würde „dem Ruf der Branche gut tun und zu mehr gesellschaftlicher Akzeptanz führen“. Der Minister ist überzeugt: „Zeitarbeit hat momentan ein viel schlechteres Image als es ihrer Leistung für Arbeitgeber und Arbeitnehmer entspricht. Für Unternehmen ist sie ein unverzichtbarer Flexibilitätspuffer, wenn Auftragslage und Produktion schwanken. Auch die Arbeitnehmer profitieren von der Zeitarbeit: Sie kann ein Sprungbrett in den Arbeitsmarkt sein und den Einstieg in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung erleichtern.“
Vor der Zentrale des Verbands der bayerischen Wirtschaft (vbw) in München kam es unterdessen zu massiven Protesten. Rund 3000 Demonstranten waren einem Aufruf der IG Metall gefolgt. Viel Spielraum bleibt der Gegenseite aber kaum, denn Teile der Gewerkschaften stellen das Beschäftigungsmodell inzwischen grundsätzlich infrage. „Wir sind hier, weil wir schlicht gegen Leiharbeit sind“, sagte Alexander Farrenkopf, der bei der Münchner IG Metall für BMW zuständig ist. (André Paul) 

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