Wirtschaft

Walter Keilbart, der scheidende Hauptgeschäftsführer der IHK Niederbayern, sieht noch viel mehr Kooperationspotenzial. (Foto: IHK Niederbayern)

08.12.2017

Grenzüberschreitende Wirtschaft hat mehr Potenzial

Walter Keilbart zieht Bilanz von knapp 20 Jahren als Hauptgeschäftsführer der IHK-Niederbayern

Insgesamt war der Volkswirt und Jurist Walter Keilbart 32 Jahre in Diensten der Industrie- und Handelskammer Niederbayern, davon rund 20 Jahre in Führungsverantwortung als Hauptgeschäftsführer. Mit dem Ende dieses Jahres endet seine IHK-Amtszeit. Damit geht in Passau ein erfahrener Lotze und erfolgreicher Steuermann der Wirtschaft entlang der niederbayerischen Donau von Bord. Im Gespräch mit der Staatszeitung zieht er Bilanz und nennt Perspektiven für die wirtschaftliche Entwicklung im Dreiländereck von Bayern Österreich und Tschechien.

„Niederbayern muss den Spitzenplatz langfristig halten“


Dass vom Arbeitsmarkt bis zu globalen Exporten die niederbayerische Wirtschaft insgesamt im Wettbewerb gut dasteht, ist bekannt. Der Aufschwung setzt sich aber nach Umfragen der IHK fort und es zeichnet sich weiteres Wachstum ab, nur etwas langsamer. Zufrieden fasst Keilbart zusammen: „Heute muss Niederbayern nicht mehr aufholen und hinterherlaufen, sondern den Spitzenplatz langfristig halten, was schwieriger ist. Auch die einst große Kluft zwischen der wirtschaftlichen Entwicklung südlich und nördlich der Donau ist geringer geworden und die Identifikation mit dem gesamten Bezirk Niederbayern ist heute weitaus größer.“

Walter Keilbart ist in Berlin geboren, in Fulda aufgewachsen und hat in Würzburg Rechts- und Staatswissenschaften, danach zusätzlich Volkswirtschaft studiert. In seiner gesamten Berufszeit seit 1976 war er dann für Außenwirtschaft, Außenhandel und Auslandsmarketing tätig – zuerst in Augsburg, dann auch in Indonesien. Daher denkt er strategisch über Grenzen hinweg. Im Mai 1985 kam er zunächst als Abteilungsleiter für Außenwirtschaft, Verkehr und Exportförderung zur IHK an Bayerns östlichstem Dreiländereck. Im Juli 1998 wurde Keilbart deren Hauptgeschäftsführer. Unvoreingenommen von außen kommend, aber konstruktiv kritisch tat er der niederbayerischen Wirtschaft gut.

Einer der ersten Schwerpunkte seiner Arbeit bestand darin, die Exportquote in Niederbayern von damals nur 20 Prozent zu verbessern. Internationale Informationen, Schulungen und Messebeteiligungen für mittelständische Betriebe, sowie deren Beteiligung an den Erfahrungen großer Konzerne im Auslandsgeschäft haben Niederbayerns Exportquote inzwischen auf gut 50 Prozent gebracht. Das hängt auch mit zunehmend besser bewältigten Herausforderungen im Umgang mit mehreren Nachbarbezirken in Österreich und Tschechien innerhalb der EU zusammen, sagt Keilbart: „Dafür braucht die Wirtschaft Zeit und gegenseitiges Vertrauen.“

Keine Hauptstadt


Ein wesentliches Merkmal des Bezirks hat Keilbart von Anfang an in positiver wie nachteiliger Hinsicht erkannt: „Niederbayern hat keine Hauptstadt als zentrale Metropolregion, die alles im Bezirk dominiert. Vielmehr hat es mit Landshut, Straubing, Deggendorf und Passau vier dezentrale Wirtschaftsstandorte, die bessere Kontakte untereinander sowie Verkehrsverbindungen zueinander brauchen. „Die haben zwar immer schon rivalisiert“, meint Keilbart, „sie sind aber heute alle auch Hochschulstandorte. Die Vier stehen jetzt etwa gleich stark in gesundem Wettbewerb miteinander. Entscheidend ist, dass sie sich in vielem arbeitsteilig ergänzen und mit Niederbayern insgesamt identifizieren.“

Für die Zukunft würde sich Keilbart einerseits eine engere Vernetzung der Ministerien bei Themen im ländlichen Raum wünschen, weil die vielschichtigen Probleme nur ressortübergreifend angegangen werden können. Das könnte eine intensivere Steuerung aus der Staatskanzlei erleichtern. Außerdem fordert Keilbart aus seiner Erfahrung heraus, der Freistaat solle nicht nur von oben herab Zuschüsse für die ländlichen Räume verteilen, sondern diese durch mehr Verlagerung politischer Kompetenzen auf regionale Ebenen stärken. Das hat er in einer Enquetekommission auch dem Landtag direkt nahe gelegt.

Sehr viel Lokalpatriotismus und enges Kirchturmdenken in den Kommunen


Andererseits empfiehlt der IHK-Chefmanager auch den Kommunen mehr Zusammenarbeit in der Wirtschaft wie bei interkommunalen ILE-Projekten der Ämter für ländliche Entwicklung. Wenn man Walter Keilbart darauf hinweist, dass es immer noch sehr viel Lokalpatriotismus und enges Kirchturmdenken in Niederbayerns Kommunalpolitik, Regionalmedien und sonstigen Organisationen gibt, klingt die Antwort fast wie ein Seufzer: „Es hilft nichts, über Niederbayerns Benachteiligungen zu klagen, wenn man Forderungen nicht gemeinsam politisch durchsetzen kann. Weil jede Region halt nur ihre Interessen vertritt und jedes Organ nur seinen Verantwortungsbereich.“

Zu diesen Benachteiligungen zählt für ihn vorrangig die unzulängliche Verkehrsinfrastruktur auf Straßen wie Bahnstrecken, insbesondere in Richtung Tschechien. Die katastrophale, ideologisch bedingte Verkehrssituation am Sitz der IHK in Passau, kann der davon genervte Keilbart der Staatsregierung aber nicht vorwerfen, denn dafür ist allein der Stadtrat verantwortlich. Zu Niederbayerns unverschuldeten Defiziten, die auch die IHK nachhaltig anmahnt, gehört jedoch, dass eine Uni-Klinik in Passau oder zumindest eine Fakultät für Medizin, etwa in Deggendorf fehlt. Das erschwert die ärztliche Versorgung in allen Regionen Niederbayerns und darüber hinaus in den benachbarten Grenzbezirken.
Immerhin habe sich aber das Denken in kleinteiligen Wettbewerbsstrukturen ein wenig abgeschwächt zugunsten einer Sicht in größeren niederbayerischen Zusammenhängen, räumt Keilbart ein, „weil die vier dezentralen Standorte heute in etwa auf gleichem Niveau sind“. Dass das besser geworden ist, führt Walter Keilbart darauf zurück, dass hier IHK und Handwerkskammer immer an einem Strang gezogen haben, aber auch auf die erfolgreiche Arbeit der Bezirksregierung bei der Regionalentwicklung. Er zählt dazu auch das alle Teilregionen umfassende Marketing mit dem verbindenden System der persönlich engagierten „Niederbayern-Botschafter“ als überregionales Gegengewicht zu dem oft sehr kleinen Karo der Landratsämter.

Zwischen Landshut und Dingolfing ist alles Ok


Wenn Erwin Huber von der „Aufsteiger-Region Niederbayern“ schwärmte, hatte er vorwiegend den blühenden BMW-Raum zwischen Landshut und Dingolfing im Auge. Das Blickfeld des Chef-Managers der IHK reichte dagegen immer über den gesamten, sehr unterschiedlich strukturieren Bezirk vom Isar-, Inn- und Donauraum bis an und über die Grenze Tschechiens im Böhmerwald. Ein besonderes Anliegen war daher der IHK unter Führung Keilbarts die Entwicklung der Wirtschaft im strukturschwachen und lange benachteiligten Grenzgebiet des Bayerwaldes: „Dort hat sich im produzierenden Gewerbe und im Tourismus viel getan, es gibt aber trotzdem noch viele ungenutzte Chancen.“

Ärgerlich findet es Walter Keilbart, wenn Politiker oder Ministerien in München ständig die heute extrem niedrigen Arbeitslosenzahlen in Niederbayern mit denen in Großstädten vergleichen, nicht aber die Bedingungen, unter denen sie zustandekommen: „Die Fachkräfte in unserem IHK-Bezirk sind zu hoher Mobilität bereit, auch unter erheblichen Mehrbelastungen. Wir hatten im Jahr 2000 noch 240.000 Berufspendler, heute sind es 313.000 – ein Anstieg um 30 Prozent! Ohne diese Bereitschaft unserer Arbeitnehmer, auch weite Strecken in Kauf zu nehmen, wäre die Arbeitslosenzahl hier weit höher und der Facharbeitermangel noch viel größer.“

Aktuell verlassen nach einer IHK-Studie in Niederbayern, vorwiegend aber im Bayerischen Wald, 72 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten ihren Wohnort, um in einer anderen Kommune, vor allem in kreisfreien Städten mit großen Unternehmen zu arbeiten. Keilbart: „Die Menschen hier sind fleißig und wollen arbeiten. Sie sind es seit jeher aus Land- und Forstwirtschaft gewohnt, Herausforderungen anzunehmen und Schwierigkeiten zu überwinden. Sie bringen aus der bäuerlichen Tradition auch die Erfahrung mit: erst säen, dann ernten, erst etwas leisten, dann konsumieren.“

Weiterer Ausbau der Hochschullandschaft ist wünschenswert


Umgekehrt werde aber in Niederbayern auch die hohe Loyalität der Arbeitnehmer von Seiten der Firmen entsprechend beantwortet: „Unsere Unternehmer stecken die Gewinne wieder in ihre Betriebe und versuchen auch schwierige Krisenzeiten zu überbrücken ohne einfach schnell ihre Mitarbeiter zu entlassen.“ Im Interesse der wirtschaftlichen Entwicklung Niederbayerns hält er den weiteren Ausbau der Hochschullandschaft und eine insgesamt mehr auf den Arbeitsmarkt ausgerichtete Ausbildung wünschenswert. Keilbart: „Dem Mangel an Fachkräften können niederbayerische Unternehmen auch nicht einfach mit Arbeitskräften aus Tschechien abhelfen. Diese sind zwar ebenso fleißig und arbeitswillig, aber in Tschechien wird nach der Berufsausbildung versäumt, sie durch Fortbildung und Schulung beruflich weiter zu qualifizieren. Unternehmen in Niederbayern mit Niederlassungen in Tschechien müssen ihre Mitarbeiter regelmäßig herüber holen und hier im Stammwerk weiter schulen.“

Zusammenarbeit mit Tschechien im Grenzgebiet fördern


Walter Keilbart hatte vor dem Fall des Eisernen Vorhangs bereits wirtschaftliche Kontakte hergestellt und Treffen von niederbayerischen Unternehmen mit Betrieben in Tschechien organisiert. Um die direkte Zusammenarbeit mit Tschechien im gemeinsamen Grenzgebiet zu fördern, würde er jedoch weit mehr Anstrengungen der Staatsregierung erwarten. Hier sieht der IHK-Hauptgeschäftsführer noch große ungenutzte Potenziale für Niederbayern, Österreich und das angrenzende West- und Südböhmen. Sehr positiv bewertet er die grenzüberschreitende Pionierarbeit der Euregio im Dreiländereck: „Deren Geschäftsführer Kaspar Sammer macht eine mühsame, aber sehr gute Arbeit. Er baut mit gemeinsamen Projekten der Euregio in Tschechien viel Vertrauen zu Bayern ganz neu auf.“

Bundes- und Landesregierung müssen viele Versäumnisse aufholen


Die Grenzöffnung zu Tschechien sieht Keilbart als „das entscheidende Element zur Wiedergeburt des alten bayerisch-böhmischen Wirtschaftsraumes“. Hinzu kamen weitere Chancen auch durch den Beitritt Österreichs zur EU. Doch um diese Chancen auch konkret nutzen zu können, müssten die Bundes- und Landesregierung viele Versäumnisse aufholen. Die Kritik gilt aber auch der zentralstaatlichen Regierung in Prag, die im ehemaligen militärischen Aufmarschgebiet Böhmerwald am Eisernen Vorhang immer noch keine konsequente Regionalentwicklung betreibt: „Ich frage mich oft, ob Politiker in Prag hier mehr wollen nur als ruhige Datschas in schöner Landschaft.“

Für Walter Keilbart war die Wiederbelebung des Wirtschaftsraumes beiderseits der Grenze immer eine Herzensangelegenheit, „weil es da viel Potenzial gibt auf beiden Seiten“. Eine Reihe von fehlenden Abkommen wie bei Eisenbahn, Krankenversicherungen, Harmonisierung der Abrechnungssysteme und Nachbarsprachen in grenznahen Schulen et cetera sieht Walter Keilbart im Grunde als längst überfällig und kritisiert: „Für deren Umsetzung wird aber aus Niederbayern wie aus Südböhmen viel zu wenig politischer Druck gemacht. Man beklagt sich immer nur, aber nimmt es halt duldend hin, dass man in den Hauptstädten zu häufig schlicht ignoriert wird!“
(Hannes Burger)

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