Wirtschaft

Bayerns Wirtschaftsminister Franz Josef Pschierer empfing vor Kurzem den polnischen Minister für Investitionen und Entwicklung, Jerzy Kwiecinski. (Foto: StMWi/A.Metzler)

07.09.2018

"Innovative Firmen können Russland Know-how bieten"

Bayerns Wirtschaftsminister Franz Josef Pschierer über das Potenzial der bayerischen Wirtschaft im Osten

Bayern war politisch und wirtschaftlich immer stark Richtung Osten und Südosten ausgerichtet. Darauf hat die „Osteuropa-Strategie“ von Ex-Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) aufgebaut. Davon ist derzeit aus der Staatskanzlei kaum etwas zu hören. Dennoch sieht Wirtschaftsminister Franz Josef Pschierer (CSU) positive Perspektiven für bayerische Unternehmen in Osteuropa.

BSZ: Herr Pschierer, sogar zu kommunistischen Zeiten hat Bayerns Wirtschaft die Fühler nach Osteuropa und nach Russland ausgestreckt. Ministerpräsident Seehofer hat das Verhältnis Bayerns zu Tschechien normalisiert. Was wird künftig aus dieser Osteuropa-Strategie?
Pschierer: Ich begrüße diese Politik außerordentlich, die bisher von der Staatsregierung intensiv vorangetrieben wurde und von Markus Söder engagiert weitergeführt wird. Das betrifft besonders die Öffnung nach Tschechien, gilt aber auch für alle anderen osteuropäischen Staaten. Zu allen haben wir verlässliche, stabile und oft vertrauensvolle Beziehungen.

BSZ: Die direkten Nachbarn in Tschechien sind zwar die wichtigsten, aber auch die schwierigsten. Sie waren ja erst kürzlich in Prag, wo auch acht Monate nach der Parlamentswahl noch keine Regierung bestätigt war. Wie kommt die Wirtschaft voran?
Pschierer: Die mit Verspätung begonnenen Beziehungen Bayerns zu Tschechien sind inzwischen eine Erfolgsstory. Unter allen osteuropäischen Staaten ist Tschechien heute unser wichtigster Handelspartner. Das bilaterale Handelsvolumen von zirka 21 Milliarden Euro hat sich seit dem EU-Beitritt Tschechiens 2004 mehr als verdoppelt. Ich habe in Prag den geschäftsführenden Minister für Industrie und Handel, Tomas Hüner, getroffen und Gespräche mit Vertretern von Wirtschaftskammern und dort tätigen mittelständischen Unternehmen geführt.

BSZ: Die viel beschworene „gute Nachbarschaft“ findet aber weniger zwischen Prag und München statt, sondern in den sechs Bezirken beiderseits der Grenze.
Pschierer: Der enge politische Austausch der Bezirke und die enge wirtschaftliche Zusammenarbeit der Kammern sind sehr wichtig, um die gute Nachbarschaft konkret vor Ort mit Leben zu füllen. Es gibt generell einen regen Austausch von Waren, aber auch von Fachkräften nach beiden Seiten.

BSZ: Nach Angaben Ihres Hauses sind rund 500 bayerische Firmen mit Niederlassungen oder Produktionsstätten in Tschechien vertreten. Haben die Sorgen?
Pschierer: Insgesamt pflegen mehr als 3000 Unternehmen Geschäftsbeziehungen zu Tschechien: 350 davon mit Niederlassungen, 166 mit eigenen Produktionsstätten. Die Strategie in Prag geht hin zu mehr Hochtechnologie und Wertschöpfung. Das bietet interessante Chancen für innovative bayerische Firmen. Die Investoren erwarten auch gute Geschäfte. Für sie steht jedoch die EU-Mitgliedschaft an erster Stelle der Standortkriterien. Sorgen bereiten ihnen daher neben Fachkräftemangel auch politische Tendenzen, die Tschechiens Austritt aus der EU anstreben.

BSZ: Die „Visegrad-Staaten“ Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn haben aus verschiedenen Gründen aktuell ein gespanntes Verhältnis zur EU. Zugleich sind alle Osteuropäer allergisch gegen Bevormundung – egal ob aus Berlin oder Brüssel. Trifft das die Wirtschaft?
Pschierer: Wer andere politische Auffassungen hat, muss miteinander reden! Aus meiner persönlichen Sicht – mein Vater ist heimatvertriebener Sudetendeutscher – liegt mir auch unter dem Aspekt der deutschen Geschichte viel an einem vertrauensvollen Verhältnis gerade zu Polen, Tschechien und Russland, die im Weltkrieg viele Opfer zu erleiden hatten. Wir haben keinen Grund, permanent mit erhobenem moralischem Zeigefinger wie manche Vertreter anderer Parteien durch die Welt zu reisen!

BSZ: Beim Thema erhobener Zeigefinger von Politikern aus Berlin fällt einem sofort Ungarn ein?
Pschierer: Unter allen Bundesländern ist Bayern heute der wichtigste Handelspartner Ungarns mit einem Handelsvolumen von rund 12 Milliarden Euro. Das sind 50 Prozent Anteil am Außenhandel mit Deutschland! Ungarn ist für uns von zentraler Bedeutung und das hat nichts mit der aktuellen Regierung zu tun. Erst vor kurzem hat BMW angekündigt, ein neues Werk im Osten von Ungarn zu errichten. Das ist ein wichtiges Signal für Osteuropa und geht auch nicht zu Lasten bayerischer Standorte. Unter zirka 2300 bayerischen Firmen mit Geschäftsbeziehungen zu Ungarn sind 250 mit Niederlassungen und 60 Globalplayer wie Knorr-Bremse, Audi, Siemens und jetzt auch BMW mit eigenen Produktions-Stätten vertreten.

BSZ: Politische Konflikte in der EU gibt es auch mit Polen. Trifft das auch die Wirtschaftsbeziehungen? Pschierer: Bayerische Wirtschaftspolitik machen wir nicht nach Tagespolitik – etwa ob uns jemand gerade gefällt oder nicht. Es ist wichtig, auch bei unterschiedlichen Auffassungen im Gespräch zu bleiben. Stabile wirtschaftliche Beziehungen sind dafür eine gute Basis. Unsere Beziehungen mit Polen sind sehr dynamisch und gewinnen mit einem Handelsvolumen von rund 16 Milliarden Euro noch an Bedeutung. Geschäftsbeziehungen dorthin unterhalten über 2500 bayerische Firmen, 480 haben eine Vertretung, rund 270 eine Niederlassung und fast 70 eine eigene Produktionsstätte.

BSZ: Zeigen denn die Polen seit der Hochzeit ihrer Königstochter Hedwig 1475 in Landshut auch wieder Interesse an Bayern?
Pschierer: Darüber können wir uns nicht beklagen. Immerhin leben heute nicht nur etwa 100.000 polnische Staatsbürger in Bayern. Vielmehr gewinnt Bayern als Standort für polnische Firmen auch an Bedeutung. Zur Zeit sind etwa 30 Unternehmen aus Polen mit Tochtergesellschaften oder Produktionsstätten bei uns aktiv.

BSZ: Gibt es außer den vier Visegrad-Staaten noch weitere osteuropäische Länder mit nennenswerten Handelsbeziehungen zu Bayern?
Pschierer: Die freie wirtschaftliche Entwicklung in einigen kleineren Ländern auf dem Balkan hat ja nicht nur spät eingesetzt, sondern ist zudem durch interne Konflikte oder Kriege, oft auch durch Korruption wieder zurückgefallen. Das gilt auch für die Ukraine. Die bilateralen Handelsvolumen sind da zwar noch ge-ringer, aber langfristige Perspektiven sind durchaus positiv. Das Handelsvolumen mit Rumänien zum Beispiel beträgt rund 5 Milliarden Euro, liegt damit knapp über dem mit der Slowakei und deutlich über dem mit Bulgarien. In Rumänien begünstigen vor allem alte sprachliche und kulturelle Beziehungen zur Region Siebenbürgen den Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Bayern. Auch in diesen Länder unterhalten jeweils bis zu 1000 bayerische Firmen Geschäftsbeziehungen und erwarten in Produktion wie Handel langfristig Zuwachs.

BSZ: Zählen Sie unter die erfolgreichen Beziehungen zu Osteuropa auch die zur Russischen Föderation?
Pschierer: Ja, ganz sicher! Was ich zu Polen, Tschechien und Ungarn bezüglich unserer historischen Verantwortung gesagt habe, gilt auch für Russland. Und nicht nur wegen des Krieges, sondern auch wegen der Wiedervereinigung. Denn der Schlüssel dazu lag nicht in Washington, London und Paris, sondern in Moskau! Wir Deutschen haben allen Grund, Russland dankbar zu sein. Die bayerischen Beziehungen zu Russland sind seit Franz Josef Strauß besonders gut. Bayerns Wirtschaftsminister, von Anton Jaumann bis zu insbesondere Otto Wiesheu, pflegten enge und vertrauensvolle Kontakte zu Stadt und Region Moskau; inzwischen weiten wir die auf Petersburg und andere Regionen Russlands aus.

BSZ: Bisher war fast jedes Jahr eine Wirtschaftsdelegation aus Bayern in Moskau – heuer nicht. Liegt das an den Sanktionen der EU?
Pschierer: Hier gilt ganz klar der Primat der Politik. Dennoch bemühen wir uns weiterhin um stabile wirtschaftliche Beziehungen und führen auch nach wie vor Delegationsreisen ins gesamte Land durch. Und wir sehen, dass Russland sich nicht erpressen lässt. Deswegen bin ich persönlich der Auffassung, dass mit Sanktionen und Embargos die Vertrauenskrise zwischen dem Westen und Russland nicht gelöst werden kann. Sanktionen gehen zu Lasten der Wirtschaft und der Bevölkerung auf beiden Seiten – es gibt hier keinen Gewinner. Darum plädiere ich leidenschaftlich für alle Versuche, Lösungen auf diplomatischem Weg zu finden.

BSZ: Befürchten Sie langfristig Nachteile in den Beziehungen zu Russland?
Pschierer: Wir stellen fest, dass wegen den Sanktionen westliche Lieferanten durch chinesische ersetzt werden. Wir verlieren daher in Russland Marktanteile. Was wir aber auch mit Freude erleben, ist eine große Offenheit, Willkommenskultur und Sympathie auf der russischen Seite und ein starkes Interesse, mit uns weiter gut zusammenzuarbeiten.

BSZ: Was können Sie derzeit tun, um dieses Interesse weiter wach zu halten?
Pschierer: Die bayerische Wirtschaft ist an langfristiger Zusammenarbeit mit Russland sehr interessiert. Zahlreiche bayerische Unternehmen, auch innovative kleine und mittelständische, produzieren seit vielen Jahren erfolgreich mit ihren russischen Partnern vor Ort. Die haben hochwertige Technologien eingeführt, viele Arbeitsplätze geschaffen und beste Referenzen dort. Das wird in Russland gewürdigt und „uns Bayern“ hoch angerechnet.

BSZ: Haben nicht vermutlich viele global tätige Unternehmen aus Bayern bessere Kontakte in Moskau als die bayerische Staatsregierung?
Pschierer: Wir verstehen uns als Türöffner und Begleiter unserer Unternehmen. Wir unterhalten in Moskau eine eigene Vertretung mit einem Repräsentanten; das werden wir weiter pflegen und noch ausbauen. Wir haben eine Beteiligung der beiden Messen München und Nürnberg im Russland-Geschäft mit Messen in Moskau und pflegen intensive Beziehungen zu dem attraktiven Messeplatz.

BSZ: Welche gemeinsamen Interessen haben das kleine Bayern und das große Russland?
Pschierer: Russland ist einerseits einer unserer größten Erdgaslieferanten. Andererseits ist Russland in seiner seit Jahren schwierigen Wirtschaftsentwicklung weiterhin auf Import von Technologien angewiesen. Das Know-how können international tätige, auch innovative mittelständische Firmen in Bayern bieten, etwa bei Modernisierung und Ausbau der Infrastruktur oder bei der Qualifizierung von Fachkräften.

BSZ: Fürchten Sie da keine Abhängigkeit, vor der Präsident Trump so oft warnt?
Pschierer: Nein. Unsere Zusammenarbeit mit Russland erbringt beiderseitige Vorteile und eine enge Verbundenheit. Wir stehen daher zum Dialog mit Russland und wollen unsere Partnerschaft weiter fortsetzen.
(Interview: Hannes Burger)

Kommentare (1)

  1. Markus am 07.09.2018
    Den Ausführungen im Interview zufolge könnte die bayerische Wirtschaft in Russland erfolgreiche Geschäfte tätigen.
    Die Grundlage hierfür würden die hervorragenden Eigenschaften und Arbeit der bayerischen Unternehmen bilden.
    Dennoch meinen wir, es muss von der bayerischen Polit-Elite abgewartet werden, ob die vorerst bis 15. September 2018 geltenden EU-Sanktionen gegen Russland nicht weiter verlängert werden.
    Es wäre vermutlich politisch sehr schwierig und möglicherweise unklug, wenn sich Bayern nicht an die Beschlüsse zu den EU-Sanktionen halten würde.
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