Wirtschaft

Industrieproduktion aufzubauen, ist hierzulande sehr schwierig. (Foto: Audi AG)

18.06.2021

"Lästige Hürden für Industrieinvestitionen"

Manfred Gößl, Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Industrie- und Handelskammertags, über Lieferengpässe und was man dagegen tun kann

Baumaterialien sind knapp und teuer geworden. In der Automobilindustrie und im Elektroniksektor fehlt es an Mikrochips. Im März war der Suez-Kanal verstopft. Jetzt bahnt sich wegen verschärfter Corona-Maßnahmen im südchinesischen Containerhafen Yantian ein enormer Schiffsstau an, der erneut die globalen Lieferketten belasten wird. Da stellt sich automatisch die Frage, ob wieder mehr in Europa produziert werden muss?

BSZ: Herr Gößl, es fehlt an Baumaterial, es fehlt an Microchips. In welchen Bereichen muss wieder in Bayern, in Deutschland oder zumindest in Europa produziert werden, um diese Engpässe zu beseitigen?
Manfred Gößl Die aktuellen Lieferengpässe behindern die Erholung nach der Corona-Krise in einigen Branchen noch bis ins kommende Jahr hinein. Dennoch ist es voreilig, aus diesem Grund industriepolitische Gestaltungsfantasien vom Stapel zu lassen. Marktbedingte Ungleichgewichte von globaler Nachfrage und globalem Angebot muss die Wirtschaft selbst managen. Regulator ist der Preis. Das ist Teil der Marktwirtschaft und allemal besser als permanenter Mangel, wie er uns aus planwirtschaftlichen Systemen bekannt ist. Dass eine Latschenkäferplage in Kanada als wichtigstem Holzlieferanten weltweit in Verbindung mit coronabedingten Nachholeffekten im Bau zu massiven Preisaufschlägen führt, ist allerdings ein absolutes Sonderereignis.

BSZ: Was ist also zu tun?
Gössl: Auch für solche Fälle gilt unsere Empfehlung an alle Firmen: Zur Risikoreduzierung im Beschaffungsmanagement sollte man immer auf mehrere Lieferanten in unterschiedlichen Regionen setzen, langfristige Verträge abschließen und bei essenziellen Produkten finanzielle Ausfallabsicherungen mit dem Lieferanten oder Dritten vereinbaren.

BSZ: Hilft es überhaupt, die heimische Produktion anzukurbeln?
Gössl: Was wir brauchen, sind langfristig wettbewerbsfähige Standortbedingungen, damit diejenigen Investitionen in Bayern stattfinden, die unser Potenzial an Fachkräften und Ressourcen am besten ausschöpfen. Welche Investitionen das konkret sind, wissen Millionen von Entscheidern in Unternehmen am besten, nicht aber Staatsverwaltungen. Das gilt auch für Chipfabriken, siehe beispielsweise das starke Engagement von Infineon im österreichischen Villach, das in den nächsten Jahren noch deutlich mit Milliardeninvestitionen ausgebaut wird. Das Kernproblem bei uns sind die bestehenden Hürden für Industrieinvestitionen: fehlende Gewerbeflächen, jahrelange Genehmigungsverfahren, zunehmender Fachkräftemangel, überdurchschnittliche Steuerlasten in Kombination mit den weltweit höchsten Stromkosten. An diesen Rahmenbedingungen muss die Politik ansetzen!

BSZ: Welche staatlichen Hilfen sind nötig, um derartige Produktionskapazitäten im kostenintensiven Deutschland realisieren zu können?
Gössl: Es geht gar nicht um einzelne direkte Hilfen oder Subventionen. Der Marsch in einen Staatskapitalismus wäre sogar ein verhängnisvoller Irrweg. Vielmehr geht es darum, unsere Standortbedingungen durchgängig wieder wettbewerbsfähig zu machen. Der Strompreis ist in Deutschland so hoch, weil mehr als die Hälfte des Endpreises für staatliche Abgaben und Steuern anfällt – diese müssen auf ein international übliches Maß zurückgefahren werden. Die Wirtschaft braucht Unmengen erneuerbaren Strom. Dafür muss die Politik den Weg freimachen. Und der Strompreis muss umso schneller und deutlicher sinken, je steiler die Politik den CO2-Preispfad gestaltet. Auch in der Unternehmensbesteuerung müssen wir vom jetzigen traurigen Spitzenplatz mit 30 Prozent Belastung auf den international üblichen Durchschnittswert von 25 Prozent auf einbehaltene Gewinne kommen. Die Dauer von Genehmigungsverfahren, die hierzulande bei Infrastrukturprojekten regelmäßig mehrere Jahrzehnte umfasst, ist völlig aus dem Ruder gelaufen. Selbst das Aufstellen von Mobilfunkmasten zieht sich über Jahre hin. Dazu passt, dass Deutschland laut der jährlichen Analyse der EU-Kommission zur digitalen Wettbewerbsfähigkeit unter den EU-Staaten auf Platz 12 liegt und bei digitalen Verwaltungsangeboten gar an 21. Stelle dümpelt. „Weiter so“ darf es wirtschaftspolitisch nicht mehr geben. Deutschland braucht einen grundlegenden Aufholprozess, eine Modernisierung aller wirtschaftsrelevanten Rahmenbedingungen.

BSZ: Wenn Produktionskapazitäten aufgebaut werden sollen, regt sich ja sofort der Widerstand von Anwohnern beziehungsweise Umweltschützern.
Gössl: Wir leben Gott sei Dank in einer partizipativen Demokratie und in einem Rechtsstaat. Es gehört zu den Spielregeln, für Projekte wie Unternehmensansiedlung oder Infra-strukturen aller Art die Mehrheit der Bevölkerung zu gewinnen. Die eigentliche Herausforderung besteht darin, dass das „Dagegensein“ sich lauter und emotionaler artikuliert als die berühmte „schweigende Mehrheit“.

BSZ: Wie geht man am besten mit der Flächenkonkurrenz und dem Nimby-Effekt um?
Gössl: Demokratische Reife besteht darin, dass das Für und Wider öffentlich abgewogen wird, dass alle gesellschaftlichen Gruppen zu Wort kommen. Die Herrschaft der Min-derheit ist nicht die Idee von Demokratie, sondern das Ringen um die beste Lösung im Interesse aller Bürger. Der Entscheidungsweg ist steinig: Akzeptanz schaffen durch sachliches Aufklären und klares Kommunizieren von Lösungen. Der Aufbruch gelingt nur dann, wenn jeder an seiner Stelle „Lust auf Zukunft“ vermitteln kann. Digitale Lösungen bis hin zur Quantentechnologie, erneuerbare Energien in Verbindung mit der Wasserstoffwirtschaft und medizinische Sprunginnovationen wie mRNA-Impfstoffe machen das Leben einfacher, nachhaltiger und gesünder. Reden wir doch mal über diese tollen Chancen und unseren künftigen Beitrag dazu. Und reden wir ehrlich darüber, dass wir alle weiterhin ein Grundbedürfnis nach Mobilität haben, nach einem sicheren Arbeitsplatz, nach Wohnraum, nach Sozialleben, nach Konsum und Freizeitgestaltung. Dafür braucht es einen Möglichkeitsraum und die Erkenntnis, dass es Vorteile und Nachteile immer nur im Paket gibt, hier und überall, jetzt und immer. Was den Nimby-Effekt angeht, also das grundsätzliche „Ja“, solange man nicht selbst betroffen ist: Ich erinnere mich gerne daran, mit welch unverkrampfter Direktheit Roman Herzog in seiner Ruck-Rede 1997 sich so ziemlich alle Gruppen im Lande vorgeknöpft hat, um wirklich allen Mut und Lust zur Veränderung im Interesse des Ganzen zu machen. Es ist höchste Zeit für Impulse zu einem Ruck – von ganz oben, aber auch von ganz vielen.
(Interview: Ralph Schweinfurth)

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