Wirtschaft

Es müssten mehr Windparks im Meer gebaut werden, weil dort der Widerstand der Bevölkerung geringer ausfällt. (Foto: dpa/Bernd Wüstneck)

27.09.2019

"Man wollte die Anhänger der Populisten schonen"

Die Münchner Klimaexpertin Miranda Schreurs über den CO2-Preis, den Ausbau erneuerbarer Energien und teurere Inlandsflüge

Miranda Schreurs, Expertin für Klimaschutz an der Technischen Universität München, übt im Interview mit der Staatszeitung Kritik an den Beschlüssen des Klimakabinetts. Das Hauptaugenmerk habe darauf gelegen, „dass die Kosten nicht zu hoch werden“.

BSZ: Frau Schreurs, Umweltschützer und viele Klimaexperten sind enttäuscht von den Beschlüssen des Klimakabinetts. Kann Deutschland wie geplant den Ausstoß an Treibhausgasen bis 2030 um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 senken?
Miranda Schreurs: Das Klimakabinett hat bei seinen Beschlüssen sein Hauptaugenmerk darauf gelenkt, dass die Kosten nicht zu hoch werden. Die Maßnahmen werden deshalb nicht reichen, um genug Anreize zu setzen, damit die Klimaziele auch tatsächlich erreicht werden. Die Mehrkosten, wenn jemand CO2 verbraucht, sind nicht so hoch, dass dadurch jemand sein Verhalten ändern wird. Der CO2-Preis soll zu Beginn lediglich bei zehn Euro pro Tonne CO2 liegen…

BSZ: …was viele Experten für viel zu niedrig halten….
Schreurs: Ja, es ist viel zu wenig, um eine Wirkung zu erzielen. Wissenschaftler haben bereits 2005 berechnet, was nötig wäre, um tatsächlich eine Wirkung zu erzielen. Damals war von 30 Dollar pro Tonne die Rede. Und nun sollen ab 2021 fossile Kraft- und Brennstoffe gerade einmal um zehn Euro pro Tonne CO2-Emission teurer werden. Zwar soll der Preis dann stufenweise bis 2025 auf 35 Euro pro Tonne steigen. Doch das reicht nicht, um das 55-Prozent-Ziel zu erreichen. Der Klimaökonom Ottmar Edenhofer hat einen Einstiegspreis von 50 Euro pro Tonne geordert. Klar ist: Der anfängliche Preisanstieg von zwei bis drei Cent pro Liter Benzin für die Autofahrer ist viel zu niedrig.

BSZ: Und diese Mehrkosten beim Sprit werden ohnehin teils über die Pendlerpauschale kompensiert.
Schreurs: Der Fokus der Bundesregierung lag wahrscheinlich darauf, dass es für keine Gruppe zu teuer wird. Wenn ich die Pendlerpauschale erhöhe, ist das eigentlich nichts anderes, als wenn ich die Leute bitte: Komm fahr mit dem Auto! Das ist ein Problem.

BSZ: Die Verteuerung von CO2 soll über Zertifikate erfolgen. Mineralölunternehmen etwa müssen künftig zehn Euro pro Tonne Kohlendioxoid zahlen. Die SPD hätte lieber eine höhere CO2-Bepreisung über Steuern gehabt. Zu Recht?
Schreurs: Eine CO2-Bepreisung über eine oder mehrere Steuern würde sehr wahrscheinlich eine größere Wirkung entfalten. Aber auch hier würde es natürlich auf die Höhe der Steuer ankommen. Diese müsste sehr hoch sein, um eine Wirkung zu entfalten. Denn wenn in der Vergangenheit der Spritpreis beispielsweise wegen Krisen um 10 oder gar 20 Prozent gestiegen war, hatte dies kaum Auswirkungen. Eine Steuer wäre politisch aber nur schwer durchsetzbar.

BSZ: Um weg von den Verbrennungsmotoren zu kommen, will die Regierung Elektroautos mit Milliarden fördern. Ist dies angesichts von deren zweifelhafter CO2-Bilanz sinnvoll?
Schreurs: Es kommt in der Tat darauf an, woher der Strom stammt. So lange Deutschland noch stark auf Kohlestrom setzt, macht dieser Schritt wenig Sinn. Es müssen zugleich auch die erneuerbaren Energien massiv ausgebaut werden.

BSZ: Aber der Ausbau der Windenergie liegt hierzulande an Land weitgehend brach. Und die Regierung hat nun sogar die rigide Ausbaupolitik weiter zementiert. Auch beim Ausbau auf hoher See sowie bei anderen Energieformen sind die Beschlüsse Kritikern zufolge nicht ausreichend.
Schreurs: Das ist richtig. Da der Strommix auf absehbare Zeit nicht aus erneuerbaren Energien bestehen wird, ist es umso wichtiger, den öffentlichen Nahverkehr auszubauen, damit möglichst viele Menschen vom Auto auf den ÖPNV umsteigen. Es ist gut, dass die Bundesregierung hier nun deutlich mehr tun will.

BSZ: Aber der Ausbau des Bahnnetzes und des ÖPNV wird ja viele Jahre dauern. Kommt dieser Schritt nicht zu spät?
Schreurs: Der Ausbau des ÖPNV wird in der Tat nicht ausreichen. Deshalb und weil Autoindustrie ein wichtiger Wirtschaftszweig für dieses Land ist, ist es umso wichtiger, ein klimaneutrales Auto zu bauen. Und das kann auf absehbare Zeit nur das Elektroauto sein. Deshalb müssen die erneuerbaren Energien dringend weiter ausgebaut werden. Es müssen noch mehr Offshore-Windparks gebaut werden, da hier der Widerstand der Bevölkerung weit geringer ausfällt. Außerdem muss Deutschland die Infrastruktur für E-Autos ausbauen. Wir brauchen dringend mehr Ladestationen. Norwegen hat gezeigt, wie man es richtig macht. Dort gibt es ein ausreichendes Netz.

BSZ: Zurück zum Bahnverkehr. Wenn Bahnfahren billiger wird, weil etwa die Mehrwertsteuer sinkt, bedeutet dies ja nicht, dass das Bahnnetz auch ausreichend auf mehr Kunden vorbereitet ist. Bräuchte es nicht noch mehr Geld?
Schreurs: Staatliche Baumaßnahmen bei Verkehrsprojekten sind in der Regel immer teurer als geplant. Allein deshalb wird sicher mehr Geld benötigt als geplant. Zudem bleibt die Regierung sehr vage. Es ist unklar, welche Strecken tatsächlich ausgebaut werden. Dies gilt auch für andere Bereiche. So bleibt abzuwarten, in welchem Umfang der Fahrradverkehr ausgebaut wird. Wie soll die geplante Gleichstellung von Fahrrädern und Autos tatsächlich aussehen? Vieles klingt zwar gut, aber die Umsetzung ist unsicher.

BSZ: Zwar soll es künftig eine höhere Abgabe für Inlandsflüge geben und die Spritpreise etwas steigen. Aber zugleich bleiben Steuererleichterungen für Diesel und die Steuerbefreiung von Flugbenzin erhalten. Wie passt das zusammen?
Schreurs: Die Preise für Inlandsflüge zu erhöhen ist eine der besten Maßnahmen des Klimakabinetts. Schließlich ist der negative Effekt von Flügen für das Klima groß. Doch man müsste dringend auch Maßnahmen für Mittelstrecken- und Fernflüge beschließen. Eine Steuer auf Flugbenzin wäre ein sinnvoller Schritt gewesen. Was schlecht für das Klima ist, muss auch besteuert werden. Dadurch könnte sich auch das Verhalten der Menschen verändern.

BSZ: Kritiker sagen, anders als die Verbraucher werde die Industrie weitgehend von schmerzhaften Maßnahmen verschont. Teilen Sie diese Auffassung?
Schreurs: Ich glaube, die Regierung hat versucht, einen Kompromiss zu entwickeln, der die Anhänger der populistischen Parteien nicht zu sehr aufregt. Und deshalb sollte die Wirtschaft nicht zu sehr in die Pflicht genommen werden. Deshalb sind tiefgreifende Änderungen ausgeblieben. Sonst hätte man etwa einen früheren Kohleausstieg beschließen können und müssen. Auch die Autoindustrie wurde mit Rücksicht auf diese Wähler nicht zu stark angegriffen. Den Klimaaktivisten geht das Beschlossene dagegen nicht weit genug. Denn für ein klimaneutrales Deutschland werden die Maßnahmen nicht reichen.

BSZ: Die Fridays for Future-Bewegung ist unzufrieden mit den Beschlüssen der Regierung. Werden die Proteste in ihrer Heftigkeit zunehmen?
Schreurs: Ja. Davon ist auszugehen. Die bisherigen Demonstrationen sind in ihrer Dimension Wahnsinn. Allein in Berlin gingen am Freitag 270.000 Menschen auf die Straße. Das erinnert ganz stark an die 68er-Zeit. Damals waren die Ziele, wie etwa mehr Frauenrechte, andere. Aber die Intensität ist dieselbe. Das wird nicht einfach aufhören.
(Interview: Tobias Lill)

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