Wirtschaft

Auch wenn sich manch einer längere Laufzeiten für Atomkraftwerke wünscht, ist dies aufgrund des Atomgesetzes nicht möglich. (Foto: PreussenElektra)

19.11.2021

"Nun gilt es ohne Kernkraft auszukommen"

Detlef Fischer, Geschäftsführer des Verbands der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft, über die Energiewende, das klimaneutrale Bayern und den Atomausstieg

Atomausstieg, Kohleausstieg und Energiewende sind zwar beschlossene Sache. Doch mit dem Ausbau von Ökostromerzeugungskapazitäten geht es zu langsam voran. Darum hat jüngst die CSU-Fraktion im Münchner Stadtrat einen Antrag eingebracht, eine Laufzeitverlängerung für das Kernkraftwerk Isar 2 zu prüfen.

BSZ: Herr Fischer, wer hat beim klimaneutralen Bayern 2040 welche Aufgaben?
Detlef Fischer: Das klimaneutrale Bayern bis 2040 zu realisieren, ist die größte gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die unser Land jemals gesehen hat. Niemand kann derzeit sagen, wie genau das in dieser kurzen Zeit gehen soll. Eines ist aber klar, jeder, wirklich jeder muss dafür seinen Beitrag leisten. Was der eine nicht macht, müsste der andere dafür doppelt leisten. Das ist nicht fair. Und so werden wir nicht umhinkommen genau hinzuschauen, wer seine Aufgaben nicht erledigt, sich einfach weiter wegducken will. Solches Verhalten muss dann auch sanktioniert und öffentlich angeprangert werden. Das hilft, denn nur mit Förderprogrammen für die Willigen schaffen wir das klimaneutrale Bayern bis 2040 bestimmt nicht, wir müssen klimaschädliches Verhalten auch bestrafen.

BSZ: Was wünschen Sie sich konkret von der Staatsregierung?
Fischer: Die bayerische Staatsregierung muss für die Akzeptanz der erforderlichen Maßnahmen in der Gesellschaft sorgen. Das kann man nicht an Dritte wie beispielsweise die ausführenden Unternehmen in der Energiewirtschaft delegieren. Wer große Ziele vorgibt, muss das Volk auch dorthin führen. Sie muss das zu novellierende bayerische Klimaschutzgesetz endlich in den Landtag bringen, darin das Ziel, bis 2040 klimaneutral zu sein, verbindlich und damit einklagbar festschreiben. Dann ist jedem klar, was die bayerische Staatsregierung will. Dann muss eine gesellschaftliche Debatte angestoßen werden, wie wir das alles gemeinsam schaffen. Man hätte es auch umgedreht machen können, aber unser Ministerpräsident hat sich mit der Nennung des Datums 2040 in seiner Regierungserklärung vom 21. Juli 2021 für alle Bayern ja schon festgelegt. Und vor allem muss die bayerische Staatsregierung endlich mit einer Stimme zur Energiewende sprechen.

BSZ: Was wünschen Sie sich von der bayerischen Gesellschaft?
Fischer: Sie muss aufwachen von der Vorstellung, dass alles schon nicht so schlimm werden wird mit dem Klimawandel und man als Einzelner sowieso keinen bedeutsamen Beitrag zur Erderwärmung leistet und im Umkehrschluss auch nichts dagegen machen kann. Unsere Generation hat es noch in der Hand, wie der Planet Erde zukünftig aussehen und bewohnbar sein wird.

BSZ: Halten Sie den Atomausstieg für einen Kardinalsfehler?
Fischer: Die Bayern haben durch den Ausstieg aus der Kernenergie zwei Drittel ihrer heimischen Stromproduktion verloren. Wir sind seit mehreren Jahren vom Stromexport- zum Stromimportland mutiert. Gott sei Dank versorgen uns unsere Nachbarn noch einfach so mit. Aus energiewirtschaftlicher und klimapolitischer Sicht hätte man ganz klar zunächst aus der Braun- und Kohleverstromung aussteigen müssen. Das wäre für uns Bayern auch kein Problem gewesen. Die Deutschen haben aber viel Angst vor der Kernkraft, halten sie für Teufelszeug. Dagegen kann man jetzt nichts mehr machen. Nun gilt es ohne Kernkraft auszukommen. Wenn die Lichter ausgehen, wissen wir wenigstens warum.

BSZ: Was halten Sie vom Antrag der CSU-Fraktion im Münchner Stadtrat, eine Laufzeitverlängerung für das Kernkraftwerk Isar 2 zu prüfen?
Fischer: Als ich das gelesen habe, musste ich schon arg schmunzeln. Ist das die pure Verzweiflung oder nur die blanke Ahnungslosigkeit der Münchner CSU? Der Ausstieg aus der Kernenergie bis zum 31. Dezember 2022 ist in Deutschland über das Atomgesetz fixiert. Einen Zug, der aus dem Bahnhof raus ist, holt man nicht mehr so eben mal zurück. Er muss dann ein große Schleife fahren. Auf alle Fälle ist das Geld, die Zeit und die Arbeit für dieses Unterfangen vergebene Liebesmühe. Interessieren würde mich, ob dieser Antrag mit der CSU-Spitze abgestimmt ist.

BSZ: Ist das Geschäftsmodell „Bayern“ der letzten Jahrzehnte gefährdet?
Fischer: Ja, es ist sogar massiv gefährdet. Das Geschäftsmodell in Bayern beruht doch noch auf dem alten Mechanismus „Höher, schneller, weiter“. Durch den großen wirtschaftlichen Erfolg der letzten Jahrzehnte sind wir besonders satt geworden. Die Veränderungsbereitschaft geht gegen Null, lief doch alles bis Corona auch prima. Die Fördermilliarden aus dem Bundeshaushalt gehen daher in andere Bundesländer, in denen die „Not“ zumindest gefühlt schon größer ist. Dort entstehen dann die modernen Infrastrukturen und es siedeln sich Unternehmen an, welche für die Wertschöpfung und die Arbeitsplätze in einer modernen Industriegesellschaft von morgen sorgen. Warum baut Elon Musk seine Fabrik eigentlich nicht in Bayern, warum entsteht in Bayern keine einzige Batteriefabrik? Weil unsere Industrievertreter viel zu lange den „sauberen“ Diesel propagiert haben. Ein Kardinalsfehler der bayerischen Automobilindustrie und der Politik auf Bundes- und Landesebene, die sich von ihr instrumentalisieren und betrügen lassen hat.

BSZ: Ist ein klimaneutrales Bayern ohne Verzicht möglich?
Fischer: Wenn man sein Lebensziel und sein Glück darin sieht, ein immer noch größeres Auto zu fahren, immer noch weiter und vor allem öfter wegzufliegen und noch mehr Schuhe zu besitzen, dann ist die Energiewende zumindest für breite gesellschaftliche Schichten mit Verzicht verbunden. Der schönere Begriff dafür ist die Suffizienz. Das Kuriose daran ist, dass die Bildungsbürger in unserer Gesellschaft über ordentlich finanzielle Mittel verfügen, damit regelmäßig viel Geld für fossile Energieträger ausgeben, zum Beispiel für das Reisen und fette SUVs, und dadurch deutlich mehr zum Treibhauseffekt beitragen als die ärmeren Gesellschaftsschichten. Die sollen dann aber öfter ihren Kühlschrank abtauen und das Thermostat in der Zweizimmerwohnung auf 18 Grad Celsius herunterdrehen. Das ist lächerlich. Suffizienz kann man sich nicht selbst auferlegen, diese wird angeordnet werden müssen. Die Bedürfnisskala kennt kein natürliches Ende. Das sieht man doch auch schön am aufkommenden Weltraumtourismus der Superreichen. Ich bin schon sehr gespannt, wann Aldi die erste Reise auf den Mond anbietet.

BSZ: Woran kann die Energiewende scheitern?
Fischer: An der mangelnden Einsicht, dass die Problemlösung wirklich dringlich ist und leider keine schnellen Erfolge sichtbar werden können. Kein Politiker wird jemals einen Nobelpreis dafür erhalten können, dass er das Klima gerettet hat, weil das eben eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe für acht Milliarden Menschen auf diesem Planeten ist. Es gibt aber viele Politiker, die es bereits aufgegeben haben, sich für den Klimaschutz aktiv einzusetzen, weil sie dafür von ihren entrüsteten Wählern beschimpft worden sind als es konkret wurde mit der Windkraftanlage vor Ort. So bleibt es dann vor Ort oft beim bla bla bla. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir scheitern, ist schon eindeutig höher, als dass wir es schaffen. Dennoch müssen wir alles daran setzen, so schnell wie eben möglich klimaneutral zu wirtschaften. Das sind wir den nachfolgenden Generationen einfach schuldig. Wir sollten denen zumindest die Option schenken, es besser machen zu können als wir es gemacht haben.

BSZ: Was motiviert Sie bei Ihrem Engagement für die Energiewende?
Fischer: Ich halte der Gesellschaft und auch mir selbst gerne den Spiegel vors Gesicht. Das macht mir Freude. Zu Hause habe ich mir eine Energiewende-Scheinwelt mit unzähligen PV-Modulen, einem Monster-Batteriespeicher und Elektroautos aufgebaut. Das funktioniert im Sommer schon sehr gut, aber im Winter eben nur sehr eingeschränkt. Jetzt geht es darum, Stück für Stück das Winterproblem zu lösen. Das wird noch hart und viel Geld kosten. Und ich denke hier liegt auch der Schlüssel bei der gesamtgesellschaftlichen Motivation im Kampf gegen die Erderwärmung. Man muss Erfolge im Kleinen wie im Großen sichtbar machen und auch mal ein wenig stolz darauf sein dürfen, was schon erreicht worden ist auch wenn es noch nicht zu 100 Prozent stimmig ist. Die Elektromobilität ist für mich dafür ein gutes Beispiel.

BSZ: Warum?
Fischer: Sie leistet einen Beitrag zum Klimaschutz, jeder Autofahrer kann das mit ein wenig gutem Willen machen und ein Verzicht ist das schon gar nicht. Einfach klasse so lautlos dahinzugleiten und bei Bedarf über das Beschleunigungsvermögen eines fetten Sportwagens zu verfügen. Kann ich nur weiterempfehlen!

BSZ: Was demotiviert Sie?
Fischer: Nichts und niemand! Das ist doch das Schöne am Älterwerden. Da bringt einen so schnell nichts mehr aus der Ruhe und von Dritten beeinflussen lässt man sich eigentlich gar nicht mehr. Der aufkommende Altersstarrsinn hat eben auch sein Gutes.
(Interview: Ralph Schweinfurth)

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