Wirtschaft

Diese vor knapp zehn Jahren errichteten Windräder nahe Neumarkt sind Teil der Energieinsel von Bögl. (Foto: Wraneschitz)

01.04.2021

Operation am Stromversorgungsherzen

Forschungsprojekt: Schäden durch großflächigen Stromausfall verhindern

Großflächiger Stromausfall ist schon heute eine Bedrohung für viele Industriebetriebe. Dagegen will sich das Werk Sengenthal der Firmengruppe Max Bögl wappnen. Dabei helfen soll das Forschungsprojekt INZELL.

Bögl ist eine feste Größe in der Baubranche. Das Unternehmen ist seit vielen Jahren weit über den einstigen Betonfertigteilbau hinaus expandiert, sieht sich selbst „als wichtiger Impulsgeber in der Entwicklung innovativer Produkte, Technologien und Bauverfahren“. Bögl bietet Lösungen von Infrastruktur über erneuerbare Energien bis zu Mobilität.

Schon der Ausfall der Produktion könne Schäden in Millionenhöhe verursachen. Das solle künftig ein innovatives, inselfähiges Energienetz verhindern; Josef Bayer, der Forschungs- und Entwicklungsleiter des Konzerns, nennt es „Energiezelle Max Bögl“.

Mit Unwägbarkeiten

Für ihn ist „INZELL eine Operation am offenen Herzen des Werkes“ – womit er den bewussten Eingriff in die Stromzuführung von außen meint. „Denn es wird auch Inselversuche im Live-Betrieb geben. Mit Unwägbarkeiten“, dem ist sich Bayer bewusst.

Natürlich sollten sich diese nicht ganz so drastisch auswirken, wie es Oliver Brückl von der OTH Regensburg beschreibt. „Wenn es beim Betongießen zu einem Blackout kommt, muss ich den Beton aus den Formen herausstemmen. Mit Schäden bis in den Millionenbereich“, so der Professor. Brückl beschwört deshalb „die Versorgungssicherheit. Die ist bei immer empfindlicher werdenden Industrieprozessen evident.“

Hier setze INZELL an: Es gelte die Frage zu beantworten, wie unterbrechungsfrei von Netz- auf Inselbetrieb umgeschaltet werden könne. „Dieses Problem wollen wir gemeinsam lösen“, sagt Brückl und bringt hier das Bayernwerk ins Spiel, den örtlichen Verteilnetzbetreiber. Der soll jenseits der Bögl-Insel davon profitieren, dass diese Systemdienstleistungen für das Netz bereitstellen könne.

Leichter umsetzen

„Hierfür konzipiert die OTH einen Netzmanager für Insel- und Netzparallelbetrieb, für die Anlageneinsatzplanung sowie für Vorausplanung von Regeldienstleistung und Eigenversorgung.“ Damit andere Industriebetriebe ihre eigene Insel leichter umsetzen können, stellt der Professor einen „Handlungsplan“ in Aussicht.

Die Systemdienstleistung einer Strominsel stellt auch Rolf Witzmann in den Mittelpunkt seiner Arbeit. Der Professor für Elektrische Energieversorgungsnetze befasst sich an der TU München nach eigener Aussage „mehr und mehr mit Inselnetzen, vor allem für kritische Infrastrukturen. Ich bin kein Freund zellulärer Systeme“, gibt er zu. Doch bekennt er auch: „In kritischen Situationen sind künftig kleine Netze sehr wichtig, um das Gesamtsystem wieder starten zu können.“

Momentanreserven fehlen

Hans Peter Beck hat an der TU Clausthal bereits vor zehn Jahren einen autarken Energiepark realisiert, aber auf 400-Volt-Ebene. Aus der Sicht des Professors reduzieren Energiezellen den notwendigen Netzausbau, „und sie fördern die Demokratisierung der Energieversorgung“. Doch der Nachteil, wenn künftig immer wenige Großkraftwerke mit sich drehenden Generatoren am Netz hängen: „Es fehlen Momentanreserven für Zehntelsekunden. Wir müssen diese Schwungräder durch elektronische Umrichter ersetzen“, sagt er. Dies soll am 20-kV-Netz bei INZELL praktisch erprobt werden.

Bayernwerk Netz wiederum macht im Projekt mit, „weil uns alles am Verhalten der Insel zum Netz, von der Trennung bis zu den Systemdienstleistungen sehr stark helfen kann“, sagt Peter Thomas. Sein Unternehmen nehme bereits „im Projekt Flower Power die Energiezukunft unter der Lupe“. Dabei stehe der Kelch der Blume für die Verbraucher im Zentrum, die Blätter für die Erzeugung im Umfeld einer Region. Es dürften viele solcher Inselnetze entstehen, meint Thomas, und „durch Erkenntnisse aus INZELL können wir in der Zukunft besser für die Versorgungssicherheit vorsorgen“.

Doch für diese Umgestaltung der Energieversorgung gibt es einige rechtliche Probleme. Deshalb wird laut Brückl gerade das Energiewirtschaftsgesetz angepasst. Heuer soll zum Beispiel festgelegt werden, wie Schwarzstartfähigkeit oder Blindleistung für das Übertragungsnetz am Markt beschafft werden können. Aktuell ist nur die marktwirtschaftliche Beschaffung von Regelleistung gesetzlich geregelt.

Witzmann ergänzt: „viele Forschungen kommen vor rechtlichen Änderungen“. Zuerst werde geprüft, ob das, was man erforscht, auch wirklich machbar ist; „dann kann man Gesetze ändern“.

Josef Bayer wiederum macht sich Gedanken, wie für künftige Inselnetze die Anschlussbedingungen an die Netzumgebung verändert werden müssen. Dafür arbeitet er im VDE-Arbeitskreis „Zellulare Netze“ maßgeblich mit. Dessen Studie „Der zellulare Ansatz“, ein Plädoyer für Inseln und weniger Übertragungsnetzausbau, sei zwar noch nicht bei allen Stromversorgern und Netzbetreibern angekommen. Doch weil es „ein mentales Umdenken bei allen Beteiligten“ erfordere, brauche „es solche Projekte wie INZELL. Die liefern Beispiele, dass es funktioniert.“
Sich „ohne überdimensionierten Speicher im Notfall selbst zu versorgen“, das habe seines Wissens bislang kein Industriebetrieb dieser Größenordnung auf die Beine gestellt, hebt Brückl heraus. 2023 soll das bei INZELL funktionieren.

Energieflüsse optimieren

Genauso wie „unser Ziel: Die 100 Prozent CO2-neutrale Versorgung unseres Unternehmens.“ Man optimiere dafür interne Energieflüsse, erhöhe schrittweise die Eigenversorgung durch Wind- und PV-Kraftwerke sowie die Versorgungssicherheit und könne dank dieser Fähigkeiten sogar das vorgelagerte Stromnetz unterstützen und stabilisieren, fasst Josef Bayer zusammen.

Peter Thomas von Bayernwerk Netz formuliert geradezu episch: „Diese Energiezelle ist ein Schritt in die neue Energiewelt – die Energiewende im Kleinen.“ Bayer dagegen sagt ganz plakativ: „Wenn das Schiff untergeht, kann sich Max Bögl noch retten.“
(Heinz Wraneschitz)

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