Wirtschaft

Die Vorteile der Industrie 4.0 zu nutzen, heißt auch, Firmendaten in der Cloud zu teilen. (Foto: Wraneschitz)

19.06.2019

Paradigmenwechsel bei Firmen

Nachhaltige Industrieentwicklung durch Digitalisierung

Sustainable Smart Industry“ (SSI) oder Industrie 4.0: Schlagworte, die in vieler Munde sind. Aber was bedeuten sie konkret? „Es geht, aber es ist schwierig“, schätzt Kathrin Möslein die Chancen der Nachhaltigkeit einer künftig vernetzten Industrie ein. Diese Meinung der Forschungs-Vizepräsidentin der Friedrich-Alexander-Universität FAU Erlangen-Nürnberg teilten an einem Diskussionsabend der Deutschen Akademie für Technikwissenschaften Acatech auch alle anderen Protagonisten.

„Wie können wir Wertschöpfung nachhaltig betreiben?“ Auf diese Frage hatten alle drei Wissenschaftler der FAU, die den Abend im Forschungslabor Josephs bestritten, eine gemeinsame grundsätzliche Antwort: Nur ein echter Paradigmenwechsel in den Köpfen der Manager könne zu einer Versöhnung von Umweltschutz, Sozialem und Wirtschaftlichem bei der Industrie führen.

Doch kann das mit der Mentalität der Deutschen gelingen? Daran äußerten Wirtschaftswissenschaftlerin Möslein, Fertigungstechnologin Marion Merklein und Markus Beckmann vom Lehrstuhl für Nachhaltigkeitsmanagement erhebliche Zweifel.

Liebgewonnenes aufgeben


Denn schon die viel beschworene Wende zur Industrie 4.0 bedeute, Liebgewonnenes aufzugeben – vor allem die Kontrolle über die betriebseigenen Daten. Dass „Datenteilen eigentlich Mehrwert“ bringe, beschreibt Möslein am Beispiel von „Fettkartuschen bei Maschinen“: Wolle man die automatisiert tauschen, wenn sie leer werden, müssten „die Daten in die Cloud eines anderen gegeben werden. Aber jeder will seine eigene Cloud“, weshalb wohl selbst dieser offensichtlich sinnvolle Schritt in Richtung Industrie 4.0 kaum eingeschlagen werde.

Beckmann stellte das als „German Angst“ bekannte Phänomen in den Vordergrund: Zuerst würden Bedenken, viel später die Chancen gesehen. „Warum stellen wir nicht einfach mal die Frage: Wie kann man eine Stadt wie Nürnberg nachhaltig und smart steuern? Stattdessen denken wir aber nicht in solch großen Dimensionen, sondern mit Scheuklappen.“ Womit er wohl vor allem Manager und Politik meinte. Denn „die Menschen akzeptieren, was für sie das Leben besser macht“, meint der Nachhaltigkeits-Professor.

So wie auch Marion Merklein erkannt hat: „Wissen und Vertrauen, daran scheitern wir oft. Das Loslassen (zum Beispiel von Daten in die Cloud; Anmerkung der Redaktion) hat etwas mit Vertrauen zu tun. Das Vertrauen in einen Schlüssel ist höher als in Türsensoren“, nennt sie als Beispiel bei Privatleuten. Aber genauso wünscht sie sich „Menschen in der Industrie, die sich trauen“, einen völlig neuen Weg zu gehen. „Das Ziel von SSI ist, die Produktion zu verbessern. Das ist auch ein Schritt in Richtung Nachhaltigkeit. Und selbst wenn für Otto Normalverbraucher das Produkt nicht günstiger wird: Dessen Leistung wird besser.“

Für die Fertigungstechnologin kommt es darauf an, dass „die Firmen wissen, was sie brauchen. Nur dann sind die riesigen Datenmengen zu beherrschen“, die für SSI erfasst und verarbeitet werden müssen. Die Hoheit über Daten und Entscheidung abzugeben, das sei für die „sehr zentral denkenden Unternehmen“ aber ein Paradigmenwechsel zur Dezentralität, wie FAU-Vizepräsidentin Möslein ergänzt.

Wechselseitige Koordination notwendig


„Wir Betriebswirtschaftler haben ihnen ja immer gesagt, dass sie sich zentral organisieren“, gesteht sie freimütig einen Punkt ein, der den Weg der Industrie hin zu SSI nun ausbremst. Denn „damit am Ende etwas Sinnvolles rauskommt, ist nun wechselseitige Koordination notwendig“, nicht mehr die Festlegung durch einen Einzelnen.

Markus Beckmann schlägt mit einem Anwendungsbeispiel die Brücke „zum kürzlich veröffentlichten Bericht über Biodiversität. Dass wir das Artensterben stoppen müssen, das verstehen viele Menschen.“ Was das mit Industrie 4.0 und SSI zu tun habe? Durch die Nutzung von mehr Sensorik in den Landmaschinen könnte zum Beispiel die Dosierung von Dünger auf das genau notwendige Maß reduziert werden. „Heute verkaufe ich als Hersteller eine Tonne Dünger. Wenn ich mich mit dem Bauern vernetze, kann ich ihm sagen: Ich verkaufe Dir mit der richtigen Menge Dünger einen gesunden Boden gleich mit. Das Geschäftsmodell ist damit für beide Seiten positiv.“ Für den Erlangen-Nürnberger Uni-Professor ist deshalb zwar „Industrie 4.0 nicht die Garantie, dass wir übermorgen eine nachhaltige Wirtschaft haben, aber die Basis dafür.“

Bei der Durchsetzung von SSI setzt Kathrin Möslein darauf, dass sich „die Älteren von den Jungen etwas beibringen lassen. Denn die Technologiekompetenz ist umgedreht. Und ich hoffe, die Welt zwingt uns auf einen Weg dahin.“ Marion Merklein wiederum hat „den Traum, dass alle Branchen – von KMU bis Großindustrie – ihren Beitrag leisten, ressourcenschonender zu arbeiten“. Und Markus Beckmann möchte am liebsten, dass schon 2030 „Energie, Industrie und andere Akteure miteinander verbunden sind“.

Das wiederum klappe nur, „wenn wir gemeinsam chancenorientiert statt risikoorientiert arbeiten, und nicht selbst im Weg stehen. Dann ist SSI eine Riesenchance. Auch für uns“, stellte der frühere Siemens-Manager und Vorstandsmitglied bei Acatech, Siegfried Russwurm, in seinem Schlusswort heraus.
(Heinz Wraneschitz)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Ist die geplante neue Kindergrundsicherung sinnvoll?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.