Wirtschaft

Das bayerische Handwerk bewertet seine aktuelle Lage im 2. Quartal als gut oder befriedigend. (Foto: Bilderbox)

29.07.2021

Steigende Impfquote verhindert weiteren Lockdown

Das bayerische Handwerk im 2. Quartal: Steigende Umsätze und mehr Optimismus

Es freut mich, dass die Corona-Pandemie derzeit nicht mehr so stark unseren Alltag bestimmt, wie noch zu Beginn des Jahres. Von den Lockerungen profitiert nicht zuletzt das Handwerk. Doch die Delta-Variante bleibt eine Gefahr für die Gesundheit der Menschen und damit auch für die Erholung der Konjunktur“, betonte der Präsident der Handwerkskammer für München und Oberbayern sowie des Bayerischen Handwerkstags (BHT), Franz Xaver Peteranderl, bei der Vorstellung der neuesten Konjunkturzahlen.

„Der maßgebliche Schlüssel zur Bekämpfung der Pandemie liegt in einer vollständigen Schutzimpfung. Die Gesundheit der Belegschaft ist ebenso wichtig wie der Schutz von Kundinnen und Kunden“, sagte Peteranderl. Wer sich impfen lasse, zeige Solidarität für seine Mitmenschen. Mittlerweile können auch kleine und mittlere Betriebe ohne Betriebsarzt Sammeltermine bei den Impfzentren vor Ort buchen und ihre Beleg-schaften dort impfen lassen.

Insgesamt bewerteten 86 Prozent der Befragten im bayerischen Handwerk ihre aktuelle Lage im 2. Quartal als gut oder befriedigend. Gegenüber dem Vorjahresquartal stieg dieser Wert um elf Prozent. Damit präsentierte sich die Stimmung im Handwerk zwar deutlich erholt, bis zum Vorkrisenniveau fehlen aber noch acht Punkte. Die Auslastung der Handwerksbetriebe im Freistaat lag im 2. Quartal bei durchschnittlich 80 Prozent – fünf Prozentpunkte über dem Ergebnis des Vorjahrs. Auch hier, so Peter-anderl, befindet sich der 2019er-Wert (84 Punkte) wieder in Reichweite. Erfreulicherweise konnte nach den Worten des Kammerpräsidenten die Auslastung quer durch alle Gewerke zulegen.

Die stark anziehende Nachfrage ließ laut Peteranderl die Auftragsbestände im 2. Quartal in neue Rekordhöhen klettern. Im Durchschnitt hatten die Betriebe Ende Juni Aufträge für 10,7 Wochen in ihren Büchern stehen. Dass der Vorjahreswert um 2,1 Wochen übertroffen wurde, überrascht den BHT-Präsidenten nicht. Auch das Vorkrisenniveau lag mit 10,4 Wochen niedriger. Das Plus dürfte allerdings auch mit dem Baustoffmangel zusammenhängen. „Wenn die Betriebe auch weiterhin weniger Material bekommen oder länger darauf warten müssen – und danach sieht es momentan aus – wird der Auftragsbestand noch weiter steigen“, erklärte Peteranderl. Dies gehe aber ganz klar auf Kosten der Auslastung.

Stark steigende Einkaufspreise
für Rohstoffe

Seit Ende März sorgen stark steigende Einkaufspreise und Probleme bei der Beschaffung von Rohstoffen und Vorprodukten für Sorgenfalten im Handwerk, so der Kammerpräsident. Im April und Mai habe diese Entwicklung weiter an Dynamik gewonnen. Betroffen seien vor allem Bauholz, Stahl und andere Metalle. Aber auch im Kunststoffbereich, etwa bei Dämmmaterial oder Erdölprodukten wie Bitumen, sorgt die Knappheit für steigende Preise. Selbst eher einfache Produkte wie Kunststoffrohre seien derzeit schwierig zu bekommen und teurer als sonst. Auch wenn die Holzpreise in den USA zuletzt wieder gefallen sind, könne noch keine Entwarnung gegeben werden. Die Preissteigerungsrate im Handwerk lag laut Peteranderl Ende Juni bei rund drei Prozent.

Dass Baumaterial momentan so teuer ist, hat nach den Worten des BHT-Präsidenten viele Gründe: Einerseits seien die weltweiten Produktionskapazitäten nach der Corona-Krise noch nicht wieder auf 100 Prozent hochgefahren. Gleichzeitig steige durch die wirt-schaftliche Erholung die globale Nachfrage. Hinzu kamen Probleme bei der Seehandelsschifffahrt, Holzbestände wurden von Schädlingen befallen. Länder wie die USA und China haben enorme Mengen an Rohstoffen importiert – das verstärke auch die Engpässe hierzulande.
Die Preise für Holz und Roheisen/Stahl lagen beispielsweise Ende Mai um 38,4 beziehungsweise 34 Prozent über ihrem Vorjahreswert. Die aktuellen Preise übersteigen sogar das Vorkrisenniveau bei Weitem, betonte Peteranderl. Laut ifo-Institut waren im Juni mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen im Hochbau durch Lieferverzögerungen beeinträchtigt, im Tiefbau waren es 40 Prozent. Im März lagen die Werte in beiden Sparten noch im einstelligen Bereich.

Die Betriebe müssen die gestiegenen Einkaufspreise bei neuen Aufträgen zumindest teilweise an die Kunden weitergeben. Das könnte wiederum, so Peteranderl, zu einem Auftragsrückgang führen. Bei langfristigen Projekten wurde möglicherweise nämlich noch mit den niedrigeren Kosten der vergangenen Monate kalkuliert. „In diesem Fall zahlen Unternehmen sogar drauf“, befürchtet der Kammerpräsident.

Nach ersten Schätzungen haben die Materialengpässe im 2. Quartal noch zu keinen flächendeckenden Produktionsausfällen geführt. Der BHT geht davon aus, dass im bayerischen Handwerk zwischen April und Juni etwa 31,9 Milliarden Euro umgesetzt wurden. Im Vergleich zum coronabedingt äußerst schwachen Vorjahresquartal ist das ein nominales Plus von zehn Prozent. Inflationsbereinigt wurde im 2. Quartal ein realer Umsatzzuwachs von sieben Prozent verbucht.

Die Beschäftigungsentwicklung konnte im 2. Quartal nicht mit den steigenden Umsätzen mithalten, bedauerte Peteranderl. Nach Schätzungen des BHT waren Ende Juni etwa 955 600 Personen im bayerischen Handwerk tätig, ein Plus von 0,4 Prozent binnen Jahresfrist. Die Investitionsdynamik im Handwerk habe sich im Berichtszeitraum weiter fortgesetzt. Das Volumen der Investitionen im 2. Quartal übertraf das allerdings sehr schwache Vorjahresquartal um satte 22 Prozent. Nach ersten Schätzungen haben die Betriebe im Freistaat etwa 760 Millionen Euro in neue Gebäude, Maschinen, Software und Fahrzeuge investiert, berichtete der BHT-Präsident. Der Anteil lag mit 39 Prozent um vier Punkte über dem Vorjahresniveau. Zur Jahresmitte wurden in Bayern rund 208 000 Handwerksbetriebe gezählt – 1,3 Prozent mehr als noch vor einem Jahr.

„Trotz steigender Umsätze und mehr Optimismus bei den Betrieben steht der Ausblick für das zweite Halbjahr auf wackeligen Beinen. Viel wird davon abhängen, ob es gelingt, eine vierte Infektionswelle zumindest abzuschwächen. Wir setzen darauf, dass eine steigende Impfquote hilft, einen weiteren Lockdown zu verhindern“, betonte Peteranderl. Sollten Baustoffe weiter knapp und teuer bleiben, könnte die begonnene Konjunkturerholung ernsthaft ins Stocken geraten. Die Betriebe füllen ihre Lager – das treibt die Preise und führt zu höheren Kosten.

Trotz dieser Unwägbarkeiten hat der BHT seine Jahresprognose präzisiert und geht für 2021 von einem gewerkeübergreifenden Umsatzplus von nominal 2,6 Prozent aus. Die Zahl der Beschäftigten dürfte in etwa gleich bleiben, das Investitionsvolumen um rund neun Prozent steigen.

Bundesregierung
muss nach der Wahl Wachstumsimpulse setzen

Mit Blick auf die Ende September anstehende Bundestagswahl erklärte Peteranderl: „Die neue Bundesregierung steht ab dem Spätherbst vor der großen Aufgabe, die Pandemie zu kontrollieren und Wachstumsimpulse zu setzen. Gleichzeitig dürfen die Klimaziele nicht aus den Augen verloren werden.“ Das bayerische Handwerk habe dazu einen Plan mit neun Punkten aufgestellt, die, so der BHT-Präsident, unmittelbar nach der Wahl angegangen werden müssen.

1. Nachfrage stärken: Um die Nachfrage zu beleben, dürfen sich die Maßnahmen nicht nur auf einzelne Industriesektoren beschränken. Auch kleine und mittlere Betriebe müssen erreicht werden, etwa durch verbesserte Konditionen bei der steuerlichen Förderung der energetischen Gebäudesanierung und eine verstärkte öffentliche Auftragsvergabe.

2. In die Zukunft investieren: Deutschland muss seine Verkehrs- und Dateninfrastruktur ausbauen. Städte und Gemeinden brauchen Unterstützung, damit sie trotz rückläufiger Steuereinnahmen ihrer Rolle als öffentlicher Auftraggeber weiter gerecht werden können. Die Rahmenbedingungen für private Investitionen müssen verbessert werden, öffentliche Investitionen dürfen nicht zur Konsolidierung der Haushalte zurückgefahren werden.

3. Abgabenlast senken: Um den Konsum zu stützen und die Voraussetzungen für Investitionen zu verbessern, müssen Steuern und Abgaben sinken. Dafür sollte der Solidaritätszuschlag schnell vollständig abgebaut werden. Die Möglichkeiten der steuerlichen Verlustverrechnung müssen weiter verbessert, der Verlustrücktrag auf mindestens zwei Jahre ausgeweitet werden. Auch die Abschreibungsbedingungen sollten verbessert werden, zum Beispiel durch eine weitere Anhebung der Grenze für geringwertige Wirtschaftsgüter. Besonders wichtig für das arbeitsintensive Handwerk: Die Summe der Sozialversicherungsbeiträge muss unter 40 Prozent bleiben.

4. Bürokratie abbauen: Gerade kleine und mittlere Unternehmen werden durch die Überregulierung in Deutschland vor gravierende Probleme gestellt und in ihrer Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt. Die bürokratischen Lasten müssen auf allen politischen Ebenen reduziert und auf neue Belastungen verzichtet werden. Wo immer möglich, müssen bei Gesetzen und Auflagen Kleinbetriebsregelungen eingeführt werden. Schwellenwerte sollten besonders im Steuer- und Sozialrecht vereinheitlicht und die Digitalisierung der Verwaltung konsequent fortgesetzt werden.

Klimaschutz gelingt
nicht gegen, sondern
nur mit der Wirtschaft

5. Handwerk gezielt fördern: Um das Handwerk mit seinen dezentralen Strukturen zu fördern, dürfen Eigenkapitalanforderungen für Kredite an den Mittelstand nicht verschärft werden. Außerdem sollten Liquiditätskredite mit hoher Haftungsfreistellung beibehalten werden. Ebenso muss das Handwerk im Rahmen der Regionalförderung stärker berücksichtigt werden.

6. Berufliche Bildung zukunftsfähig halten: Handwerksbetriebe, die ihr Ausbildungsengagement auch in der Corona-Krise gehalten oder sogar gesteigert haben, sollten auch über dieses Jahr hinaus unterstützt werden. Berufsorientierungsmaßnahmen in allgemeinbildenden Schulen, auf Informationsmessen und in den Werkstätten des Handwerks müssen ausgebaut werden. Die Überbetriebliche Lehrlingsunterweisung (ÜLU) muss gesichert und verstärkt in digitale Bildungsangebote investiert werden.

7. Auf Wirtschaftlichkeit in der Energie- und Klimapolitik setzen: Erfolgreicher Klimaschutz kann nicht gegen, sondern nur mit der Wirtschaft gelingen. Gerade Handwerksbetriebe können ihre vielfältigen Leistungen nur dann optimal einbringen, wenn auf ihre Interessen Rücksicht genommen wird. Marktkräfte müssen entfaltet werden, um wirtschaftliche und umweltfreundliche Lösungen zu entwickeln. Die Abgabenlast im Energiebereich für Handwerk und Mittelstand muss sinken, etwa durch eine niedrigere EEG-Umlage und Stromsteuer. Außerdem muss die CO2-Bepreisung aufkommensneutral erfolgen.

8. Handwerk vor Ort unterstützen: Die Handwerksbetriebe vor Ort benötigen neben geeigneten Gewerbeflächen einen funktionierenden Wirtschaftsverkehr, bei dem Verkehrsbeschränkungen und Fahrverbote unter allen Umständen verhindert werden müssen. Eine flächendeckende Versorgung mit Breitbandanschlüssen und leistungsfähigem Mobilfunk sollte ebenfalls gesichertsein.

9. Potenzial des Mittelstands entfalten: Das Potenzial des Mittelstands muss innerhalb eines marktwirtschaftlichen Ordnungsrahmens zur Entfaltung gebracht werden. Dabei sollte auf eine zu engmaschige Regulierung und die Vorgabe konkreter technischer Lösungen, mit denen gesellschaftliche Herausforderungen bewältigt werden sollen, soweit wie möglich verzichtet werden

Um vor dem Start des Ausbildungsjahrs den Austausch zwischen Unternehmen und potenzi-ellen Auszubildenden anzukurbeln, organisiert die HWK für München und Oberbayern in den Sommerferien die Aktion „Praktikumswoche München“ (www.praktikumswoche.de/muenchen). In dieser Zeit können junge Leute ab 15 Jahren an fünf Tagen fünf Handwerksunternehmen, auch aus dem Großraum München, kennenlernen.
(Friedrich H. Hettler)

 

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