Wirtschaft

Experten fordern seit Langem, die personellen Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft transparent zu machen. (Foto: dpa)

15.09.2017

Unabhängige Politik: Eine Illusion

Gehört Lobbyismus zur modernen Marktwirtschaft?

Grundsätzlich ist Lobbyismus ein selbstverständlicher Bestandteil einer modernen Marktwirtschaft. Gefährlich wird es jedoch, wenn Lobbyisten zu viel Einfluss auf Entscheidungsprozesse der Politik gewinnen. Und es ist unübersehbar, dass sowohl in Berlin als auch in Brüssel die Zahl der Lobbyisten seit Jahren wächst. Die Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Politik werden immer stärker.

Ein Beispiel dafür ist die Präsenz von Lobbyisten in den Ministerien. Immer öfter wirken Experten aus Unternehmen bei Gesetzesentwürfen mit. So arbeiteten beispielsweise nach Angaben von Lobbypedia, einem lobbykritischen Onlinelexikon, im Bundesverkehrsministerium zeitweise Mitarbeiter von Fraport, dem Flughafen Köln/Bonn und Daimler Chrysler mit. Zwar ist 2008 durch eine Verwaltungsvorschrift der Zugang von externen Mitarbeitern zu den Ministerien beschränkt worden, doch nach Angaben von Lobbypedia gibt es noch genügend Schlupflöcher. Timo Lange, Politologe und Experte für Lobbyregulierung der Organisation Lobby Control sagte dazu dieser Zeitung: „Externe können offiziell als Berater engagiert werden – hier würden wir uns klarere Regeln und mehr Transparenz wünschen… Auch befristete Beschäftigungen werden nicht erfasst.“

Politiker und Beamte wechseln in die Wirtschaft

Ein weiteres Kennzeichen für die zunehmende Verflechtung von Wirtschaft und Politik ist der Wechsel führender Politiker und Beamter in die Wirtschaft. Das ist zwar nicht neu, doch dieser Trend hat sich in den letzten Jahren verschärft. Zwar wurde 2015 eine Verordnung erlassen, dass Regierungsmitglieder und Staatssekretäre frühestens zwölf Monate nach dem Ausscheiden aus dem Amt in die Wirtschaft wechseln können. Allerdings gilt dies nur für Lobbytätigkeiten in Bereichen, in denen sie früher tätig waren. Timo Lange: „An Transparenz mangelt es in den Ministerien noch an vielen Stellen. So bleibt in der Regel unbekannt, welche Interessenvertreter die Ministerialbeamten zu Gesetzentwürfen konsultiert haben.“

In der Vergangenheit gab es viele Wechsel von Politikern in lukrative Lobbyisten Jobs. Die Tätigkeit Exkanzlers Schröder bei Gazprom und sein angekündigter Einstieg bei Rosneft, erregte ebenso Aufmerksamkeit wie die Beschäftigung des ehemaligen Staatsministers von Klaeden als Daimler Cheflobbyist und das Engagement des früheren Chef des Bundeskanzleramts Ronald Pofalla bei der Deutschen Bahn.

Auch in Bayern wechselten Politiker an die gut gefüllten Futtertröge der Wirtschaft. Der bayerische Finanzminister Fahrenschon wurde nach dem Ausscheiden aus dem Amt Präsident des Sparkassenverbandes und Maximilian Schöberl, früher Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Münchner CSU, heuerte als Leiter der Konzernkommunikation bei BMW an. Die CSU hat sich danach mehrfach für die Autoindustrie stark gemacht. Nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung intervenierte die bayerische Landesregierung im Oktober 2015 über das Kanzleramt gegen strengere Abgasregelungen auf europäischer Ebene, nachdem die bayerische Staatskanzlei kurz zuvor ein Positionspapier von BMW zu den EU-Abgasregelungen erhalten hatte. Im Verkehrsministerium arbeitet, nach Angaben von abgeordnetenwatch.de, Nicole Schreiter als persönliche Referentin von CSU-Minister Alexander Dobrindt. Schreiter war zuvor als Lobbyistin für das Unternehmen „Autobahn Tank & Rast“ tätig.

Auch bayerische Unternehmen bedienen sich gerne der Hilfe von Politikern, wenn es darum geht, ihre Interessen zu vertreten. Beispielsweise beim Wechsel vom FDP-Minister Daniel Bahr zur Allianz nur zehn Monate nach dem Ausscheiden aus dem Amt. Als Bundesgesundheitsminister hatte Bahr durch die Einführung einer staatlich bezuschussten Pflegezusatzversicherung, genannt „Pflege-Bahr“, Versicherungen wie der Allianz ein lukratives neues Geschäftsfeld beschert. Und nun ist die Allianz einer der größten Anbieter des „Pflege-Bahr“.

Um die personellen Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft transparent zu machen, fordern Experten seit Langem ein verbindliches Lobbyregister, bei dem alle in Berlin tätigen Lobbyisten aufgeführt werden sollen. Bisher gibt es nur ein freiwilliges Register für Verbände. Doch was in diversen anderen europäischen Ländern längst der Regelfall ist, stößt in der deutschen Politik teilweise auf Skepsis. Grüne und Linke fordern die Einführung eines solchen Registers. Grundsätzlich tut dies auch die SPD, doch hat sie in der ablaufenden Legislaturperiode das Thema in der Regierung nicht voranbringen können. Die Union steht einem Lobbyregister und mehr Transparenz ablehnend gegenüber. FDP Chef Lindner hat sich Ende August ebenfalls dagegen ausgesprochen. Timo Lange warnt: „Staat und Parteien binden private Akteure und Lobbyisten immer enger in Entscheidungsprozesse ein.“

Parteien versuchen kaum, den Einfluss zu verhindern

Dass die Parteien kaum versuchen, den Einfluss der Lobbyisten auf die Politik zu vermindern, zeigt sich bei einem anderen brisanten Thema: der Ausstellung von Zugangsberechtigungen zum Bundestag, die von Parteien in wachsender Zahl an Lobbyisten vergeben werden. Manche Lobbyisten sind dort häufiger zu sehen als einige Abgeordnete. Das Problembewusstsein hierfür ist bei den deutschen Parteien noch entwicklungsfähig. Lobbycontrol fordert sogar eine „legislative Fußspur“, mit der Einflüsse von Lobbyisten auf Gesetzesentwürfe nachvollzogen werden können. Denn während früher vor allem die Verbände Lobbyarbeit betrieben, gibt es nun immer mehr hoch spezialisierte Agenturen, die sehr professionelles Lobbying betreiben. Lobbycontrol sieht die Demokratie in Deutschland durch den wachsenden Lobbyismus gefährdet: „Demokratie droht zu einer leeren Hülle zu werden, in der zwar den formalen Anforderungen an demokratische Entscheidungen entsprochen wird, die Inhalte jedoch abseits davon durch kleine Elitezirkel geprägt werden.“ (Mathias von Hofen)

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