Wirtschaft

Unternehmen müssen nicht zwingend auf der grünen Wiese Neubauten errichten. Das geht auch innerorts auf Brachflächen oder durch Abbruch nicht mehr benötigter Gebäude. (Foto: dpa/Jens Wolf)

19.07.2019

„Unternehmen sollen aufs Land gehen“

Holger Magel, Ehrenpräsident der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum, über Flächensparen, kommunale Planungshoheit und neue Aufgaben für Invest in Bavaria

Den ländlichen Raum zu stärken, ist zentrales Anliegen der Staatsregierung. Wir sprachen mit Holger Magel, emeritierter Professor für Landmanagement der Technischen Universität München und Ehrenpräsident der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum, über neue Möglichkeiten, ökonomische und ökologische Interessen vor dem Hintergrund der Flächensparoffensive und der Gleichwertigkeitsdebatten in Berlin und München unter einen Hut zu bringen.

BSZ: Herr Magel, sind Sie mit der am Dienstag beschlossenen Flächensparoffensive der Staatsregierung zufrieden?
Holger Magel: Ich freue mich über die richtige Richtung der Offensive, natürlich auch über die Lernfähigkeit der Staatsregierung, nachdem sie nach dem Riedbergdesaster nun auch die von mir und Partnern heftigst kritisierte Lockerung des Anbindegebots abgeräumt hat. Dennoch bin ich noch nicht zufrieden. Es fehlte der Mut, den Schritt vom landesweiten 5-Hektar-Ziel weiterzugehen, hin zur konkreten räumlichen Festlegung pro Gemeinde, und zwar als Richtwert und nicht als verbindliche Zahl! Ministerpräsident Markus Söder hält so viel von Leitplanken. Warum sollten wir nicht Leitplanken beim Flächensparen pro Gemeinde errichten, die hilfreich sind beim Ziel nachhaltiger Entwicklung, ähnlich den Leitbildern, die für die Zukunftsentwicklung in Städten oder Dörfern längst unentbehrliche Wegweiser geworden sind.

BSZ: Ist das dann ein Eingriff in die kommunale Planungshoheit?
Magel: Ich kann bei einem Richtwert beim besten Willen kein Verbot oder gar das Aus der kommunalen Planungshoheit und jeglicher kommunaler Entwicklung erkennen. Da wird meines Erachtens viel zu viel Angst geschürt. Ein allen Gemeinderäten und Bürgern bekannter Richtwert kann dagegen vorzüglich dazu dienen, ernsthafte Diskussionen über die wirklich notwendige Inanspruchnahme von Land sowie die innergemeindliche Debatte zu befeuern, wie man noch besser Flächen sparen kann. Dass Richtwerte politisch vermittelbar sind, hat die Diskussion bei unserer Akademieveranstaltung am 26. Juni 2019 gezeigt: Die Abgeordneten aus allen fünf Fraktionen, auch die Vertreter der CSU und der Freien Wähler, haben sich mit Richtwerten pro Gemeinde anfreunden können. Wenn es dagegen nur beim landesweiten 5-Hektar-Ziel bleibt, hat das lediglich Symbolcharakter ohne jeden praktischen Nutzen bei konkreten landbezogenen Entscheidungen.

BSZ: Was macht da eine Kommune, die die einmalige Chance auf Ansiedlung einer großen Firma hat?
Magel: Natürlich zusagen, wenn es dem nachhaltigen Leitbild der Kommune entspricht, solch ein Unternehmen aufzunehmen. Die reine Arbeitsplatzargumentation darf da nicht ausschlaggebend sein. Hier muss mehr „stimmen“. Es muss aber Gemeinde und Bürgern bei einer Ja-Entscheidung klar sein, ob und wie weit der Richtwert der Gemeinde überschritten und wie er in den nächsten Jahren ausgeglichen wird.

BSZ: Den Landtags-Grünen schwebt aber eine starre Regelung vor, weil sie befürchten, dass das 5-Hektar-Ziel sonst nur Makulatur bleibt.
Magel: Wie erläutert bin ich als jahrzehntelanger Freund und Berater der Kommunen ein Anhänger der den Gemeinden entgegenkommenden Richtwert-Lösung, wobei den einzelnen Wert pro Gemeinde durchaus die Regionen partnerschaftlich festlegen könnten. Sie sollten wir nun in der Praxis versuchen. Deshalb werde ich weiter dahingehend informieren und überzeugen, dass die Gemeinden das nicht als Bedrohung, sondern als Chance sehen. Eine gesetzlich verbindliche Obergrenze, womöglich als Ergebnis eines neuerlichen Volksbegehrens, wäre dann eine von niemandem wirklich gewollte Ultima Ratio. So weit sollten wir es nicht kommen lassen. Der Beschluss des Ministerrats vom Dienstag tut aber dafür zu wenig.

BSZ: Vorerst wird also nur gemessen und gemonitort. Lassen sich denn die Gemeinden auf solche Überwachungsinstrumente gerne ein?
Magel: Es bleibt ihnen ja gar nichts anderes übrig, weil man dann auf Faktenbasis nachweisen kann, wie der Flächenverbrauch wirklich ist und wann Flächensparen angesagt ist. Aber Flächen sparen ohne Orientierung, sprich Richtwert? Das ergibt für mich keinen rechten Sinn.

BSZ: In der Wasserversorgung gibt es ja bereits seit Jahren ein Benchmarking, von dem alle Kommunen profitieren.
Magel: Benchmarking kann man natürlich immer machen, aber im Gegensatz zu Wasser, wo wir keinen landesweiten Verbrauchsrichtwert haben, gibt es einen solchen beim Landverbrauch. Es nützt wenig zu sagen, die Gemeinde A verbraucht weniger Fläche als die Gemeinde B – entscheidend sind ihre jeweiligen Kontingente oder Richtwerte. Dann kann ich urteilen und – handeln! Dazu muss die Staatsregierung den Kommunen aber ein wichtiges Instrument zur Verfügung stellen.

„Ämter für ländliche Entwicklung müssen gestärkt werden"


BSZ: Welches?
Magel: Beratung. Unter der Stoiber’schen Spardoktrin wurde beim wichtigsten Partner der ländlichen Kommunen, bei den Ämtern für ländliche Entwicklung, entsetzlich viel Personal abgebaut – obwohl man ständig von Stärkung des ländlichen Raums sprach. Geld allein ist es aber nicht! Ebenso wichtig sind die unterstützenden Institutionen. Jetzt finden die Gemeinden bei den überlasteten Ämtern nicht genügend Intensivberatung beispielsweise bei der flächensparenden, aber hochkomplexen Innenentwicklung, weil schlicht das Personal und damit das Know-how fehlt.

BSZ: Dabei wäre die Revitalisierung innerörtlicher Brachflächen oder leer stehender Gebäude doch besser, als auf die grüne Wiese am Ortsrand einen Supermarkt zu pflastern, den die Senioren nicht erreichen.
Magel: Richtig. Leider ist diese Revitalisierung meist sehr kompliziert. Man muss die oft auch älteren Eigentümer geduldig überzeugen, ihre Immobilie zu sanieren und umzubauen oder zu verkaufen beziehungsweise zu tauschen, damit im Ortskern und nicht draußen etwas Neues, Vitales entstehen kann. Da sind vielfältige systemische Prozesse am Laufen. Vor allem aber muss man virtuos mit Planungs- und Bodenrecht sowie Bodenordnung, schlicht mit Landmanagement umgehen können. Dazu braucht es externen Sachverstand und beratende Betreuung von außen.

BSZ: Kennen Sie Beispiele, wo so etwas gelungen ist?
Magel: Im längst vielfach preisgekrönten Kirchanschöring im Landkreis Traunstein etwa agieren Gemeinde und externe Partner wie vor allem das Amt für Ländliche Entwicklung Oberbayern nach dem Prinzip der Gemeinwohlökonomie und sorgen durch diverse Angebote im Ort für ein lebenswertes Umfeld für Senioren. Oder in Weyarn im Landkreis Miesbach hat man eine neue Ortsmitte gebaut mit Angeboten für Eigentum und Miete. In einer Art Tauschbörse geben Senioren ihre ihnen zu groß gewordenen Häuser auf und ziehen in eine Wohnung im Ortsinnern, junge Familien ziehen dann in deren Einfamilienhäuser ein. Oder die interkommunale Allianz Oberes Werntal in den Landkreisen Schweinfurt und Bad Kissingen: Dort wollen zehn Gemeinden mit 46 Dörfern Flächen sparen und bereits ausgewiesene Baulandflächen rückwidmen (insgesamt über 40 Hektar), sowie trotzdem die wirtschaftliche Entwicklung voranbringen, um den Menschen eine ökonomische Perspektive zu bieten. Das soll über die Unterstützung der heimischen Wirtschaft und die Neuansiedlung von Unternehmen in gemeindeübergreifenden Gewerbestandorten an den Autobahnen A70 und A71 laufen.

„Schnelles Internet und zeitgemäßer Mobilfunkstandard sind nötig"


BSZ: Neuansiedlung von Unternehmen ist ein gutes Stichwort. Müsste nicht die Ansiedlungsagentur Invest in Bavaria des bayerischen Wirtschaftsministeriums viel mehr dafür sorgen, dass Firmen in den ländlichen Raum gehen?
Magel: Dazu hat es ja schon mal eine Schriftliche Anfrage im Landtag gegeben. Das Ergebnis war eher bescheiden. Meines Erachtens müsste – und das habe ich auch Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger direkt gesagt – ein neuer Aufschlag für neue Jobs auf dem Land gemacht werden. Behördenverlagerungen und Hochschulfilialisierungen sind richtige und sehr erfolgreiche Schritte. Doch jetzt geht es ans Eingemachte, an die Firmen mit hochqualifizierten, attraktiven Jobs in größerer Stückzahl, die die bereits vorhandenen kleinen und mittleren Unternehmen und die Hidden Champions verstärken müssen. Bundesinnenminister Horst Seehofer denkt ja in dieselbe Richtung! Invest in Bavaria müsste neben dem Fokus auf Ansiedlung ausländischer Unternehmen im Freistaat, die dann meistens in die Ballungsräume wollen, das Augenmerk auch auf bayerische Unternehmen richten, die bereit und in der Lage sind, oder zum Beispiel vom Wirtschaftsminister persönlich davon überzeugt werden können, von den Ballungsräumen raus aufs Land zu ziehen. In den USA wird das zum Beispiel von global tätigen Unternehmensberatungen wie Bains & Company unter dem Stichwort Rural Jobs und Digitization längst propagiert.

BSZ: Aber für diese Aufgabe bräuchte Invest in Bavaria doch Unterstützung durch die Industrie- und Handelskammern, weil die Agentur des Freistaats sonst nie die willigen Unternehmen findet.
Magel: Das lässt sich doch organisieren. Industrie- und Handelskammern sind doch per se auch ländlich ausgerichtet! Auf jeden Fall hätte man durch die Rural Jobs viele positive Effekte.

BSZ: Welche?
Magel: Man vermeidet beziehungswseise reduziert die endlosen Pendlerströme vom Land in die Stadt und damit CO2-Emissionen. Man schont nicht nur das Klima, sondern die Nerven der Menschen im Auto und in den durchfahrenen Ortschaften. Statt einseitig in Zubringertrassen und -dienste in die Stadt zu investieren, sollte zuallererst ein regional funktionierender ÖPNV aufgebaut werden. Der hilft, Familie und Beruf im ländlichen Raum besser in Übereinstimmung zu bringen. Für die Firmen, die kommen sollen, muss neben gewisser „urbaner“ Infrastruktur und Standortqualität natürlich in erster Linie schnelles Internet und zeitgemäßer Mobilfunkstandard verfügbar sein. Das und vieles mehr, was wir in der Bayerischen Enquetekommission die vier räumlichen Gerechtigkeitsdimensionen genannt haben, darf doch kein ewiger Traum in und für Bayern bleiben, nein, es muss endlich Realität im sogenannten Paradies Bayern werden.
(Interview: Ralph Schweinfurth)

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