Wirtschaft

Blick auf das Werk von Liebherr-Verzahntechnik in Kempten. (Foto: Liebherr-Verzahntechnik)

07.11.2014

Verunsicherung prägt Tarifrunde

Befindet sich Deutschlands Wirtschaft auf dem Weg in die Rezession?

Klagen ohne zu leiden, diese Strategie gehört fasst schon zum festen Bestandteil der Lohnkämpfe. Doch bei den bevorstehenden Tarifgesprächen in der Bayerischen Metall-und Elektroindustrie (M+E) kann man getrost auf dieses Ritual verzichten, denn die Akteure stehen vor einer großen Herausforderung: Mit überzogenen Abschlüssen können sie die Talfahrt beschleunigen oder aufgrund geringerer Kaufkraft die gute Binnenkonjunktur abwürgen.
Für die Arbeitgeber sieht jedenfalls Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer des Verbandes M+E, eine der großen Stützenden des bayerischen Wirtschaftserfolgs, die Lage klar: „Große Sprünge sind nicht möglich.“ Er verweist auf die Lohnsteigerungen der letzten Jahre, die aus Sicht der internationalen Wettbewerbsfähigkeit, sehr großzügig waren. Erschwerend kommt hinzu, niemand kann in die Zukunft blicken. Und die Nachrichten über rückläufige Konjunkturdaten mehren sich. Auch wenn es die Politik nicht wahrhaben will, die Sanktionen gegen Russland waren ein Schuss ins eigene Knie. So hat sich unser Nachbarland Österreich – mit dem Hinweis auf die in der Verfassung verankerte immer währende Neutralität – aus dem Sanktionszirkus verabschiedet. Frisch und fröhlich laufen die Geldgeschäfte mit Putin ungehindert über Wien. Und Indien liefert schneller und preiswerter alles, was es an bester Technologie, vor allem im IT-Bereich gibt, gerne an ihren vertraglich verbundenen Partner Russland. Viele Betriebe spüren diesen Auftragsrückgang, der sich laufend verschärft, weil alle Länder, die bisher vom Handel mit Moskau lebten, ebenfalls weniger einkaufen können.

China zieht nicht mehr

Zwar wird der schwächere Euro dem Export helfen, aber viele Betriebe müssen Auftragseinbußen von über zehn Prozent hinnehmen. Hinzu kommt die große Gefahr, dass die Volksrepublik China, die Beschlüsse ihres jüngsten Parteitags umsetzt: Die Binnenkonjunktur in ländlichen Räumen, die keine Luxusautos brauchten, soll gefördert werden und ausländische Partner werden immer mehr bedrängt, ihre Produkte in China komplett herzustellen. Eine Tendenz, die sich in fast allen Schwellenländern bemerkbar macht. Jedenfalls – und darin sind sich alle Ökonomen einig – in Deutschland wird seit Jahren zu wenig investiert. Schmälern Lohnsteigerungen den Ertrag zu stark, dann ist der Abwärtstrend vorgezeichnet. In eindrucksvoller Weise hat dies bei einem Seminar des M+E-Verbands der Geschäftsführer der Liebherr-Verzahntechnik in Kempten, Friedrich Hesemann, dargestellt: Der große Familienkonzern hat bisher jährlich Millionen für neue Investitionen bereitgestellt. Aufgrund der deutlich verschlechterten Auftragslage wird man dazu auf absehbare Zeit nicht mehr in der Lage sein. Die Konsequenz: Arbeitsplätze gehen verloren. Nebenbei: es wäre den öffentlichen Sendern dringend empfohlen, einmal derart kompetente Fachleute wie Friedrich Hesemann, zu Diskussionen einzuladen, die aus der Praxis sprechen und nicht immer nur „Experten“ wie Professor Frasi Drescher.
Nun ist es zu einem unguten Brauch geworden, Lohnrunden mit Nebenforderungen zu garnieren. Auch dazu bezogen die Vertreter des Verbandes Position. So lehnt der Verband insbesondere die tarifvertragliche Festschreibung eines Anspruches auf Bildungsteilzeit für alle Mitarbeiter entschieden ab. vbm Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt: „Die M+E Unternehmen in Bayern investieren jährlich 370 Millionen Euro in Weiterbildung: Mehr als 40 Prozent der Beschäftigten haben 2013 mindestens eine Qualifizierungsmaßnahme absolviert. Die persönliche Weiterbildung muss Sache des Einzelnen bleiben.“ Friedrich Hesemann, Geschäftsführer der Liebherr-Verzahntechnik GmbH in Kempten und vbm Vorstandsmitglied, bestätigte den hohen Einsatz der Unternehmen bei der Weiterbildung: „Die Liebherr-Gruppe bietet umfangreiche Weiterqualifizierungsmaßnahmen an, die von Seminaren über E-Learning-Plattformen und unternehmensfinanzierte Auslandsaufenthalte für Auszubildende bis zu zweiwöchigen Freistellungen zur persönlichen Weiterbildung reichen. Insgesamt wendet Liebherr alleine am Standort Kempten jährlich 218 000 Euro für die Weiterbildung seiner Mitarbeiter auf. Weiterbildungsmaßnahmen müssen aber planbar bleiben. Daher lehnen wir es ab, Ansprüche tarifvertraglich zu fixieren. Angesichts der Wettbewerbssituation, in der wir uns als international aufgestelltes Unternehmen befinden, ist jede Erhöhung struktureller Kosten zu vermeiden.“

Keine neuen Belastungen

Bezüglich der Altersteilzeit verwies Brossardt darauf, dass 90 Prozent der Mitgliedsunternehmen Altersteilzeit auch künftig anbieten möchten. „Aufgrund der ‚Rente mit 63’ läuft die bisherige tarifvertragliche Regelung aber aus. Die Altersteilzeittarifverträge müssen daher neu verhandelt werden. Klar ist dabei: Es dürfen keine zusätzlichen Belastungen entstehen. Für die bestehenden betrieblichen Regelungen muss es einen Bestandsschutz geben.“ Hesemann betonte, dass Altersteilzeit auch bei Liebherr ein wichtiges Personalinstrument ist: „Altersteilzeit kann in unserem Unternehmen entsprechend den betrieblichen und sozialen Belangen genommen werden. Dieses Instrument hat uns in der Vergangenheit geholfen, die Altersstruktur im Unternehmen flexibel zu gestalten und dem demografischen Wandel anzupassen. So soll es auch künftig sein. Aber auch hier ist entscheidend, dass den Unternehmen keine zusätzliche Belastungen aufgebürdet werden.“
(Karl Jörg Wohlhüter)

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