Wirtschaft

Südafrikanischen Wein aus der Gegend der Drakensteiner Berge gibt es im „Eine Welt Laden“ in Neumarkt/Opf. (Foto: dpa/Hans Dieter Kley)

22.11.2019

Wenn Kommunen nachhaltig beschaffen

Das Thema Fairtrade stand im Mittelpunkt der Afrikakonferenz der Europäischen Metropolregion Nürnberg

Wir beginnen uns endlich mit Afrika zu beschäftigen“, sagte Ulrich Maly (SPD), Oberbürgermeister der Stadt Nürnberg bei der Konferenz „Agenda 2030 – Sechs afrikanische Kommunen und die Europäische Metropolregion Nürnberg“, die vor Kurzem in der Frankenmetropole stattfand. Sie gilt als größte bundesweite deutsch-afrikanische Modellkonferenz zur internationalen Zusammenarbeit im Rahmen der Agenda 2030 der Vereinten Nationen mit ihren 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung.
Die Konferenz wurde in Kooperation mit der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt von Engagement Global mit Mitteln des Bundesentwicklungsministeriums (BMZ) durchgeführt. Initiiert wurde die Tagung vom Amt für internationale Beziehungen der Stadt Nürnberg in Kooperation mit den Städten Neumarkt, Schwabach und Fürth, die Projektpartnerschaften mit afrikanischen Kommunen pflegen. Es gehe dabei nicht nur darum, die Kolonialgeschichte aufzuarbeiten, sondern auch um die Klärung der Frage: „Wie fair sind wir in unserem Beschaffungsverhalten“, so Maly. Städtepartnerschaften hätten Tradition. Demokratische lokale Selbstverwaltungsstrukturen zu schaffen, wirke sich positiv auf die Politik aus. Dafür sei das Prinzip der Begegnung auf gleicher Augenhöhe Grundbedingung.

Neumarkt in der Oberpfalz ist „Hauptstadt des Fairen Handels 2019“

„Fairtrade hat in der Metropolregion Nürnberg einen festen Platz“, sagte Dirk Schwenzfeier, Unterabteilungsleiter im BMZ. 37 Kommunen hätten den „Pakt zur nachhaltigen Beschaffung in den Kommunen der Europäischen Metropolregion Nürnberg“ unterzeichnet und richteten ihre Beschaffung verstärkt nach Nachhaltigkeitskriterien aus. Die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) sei als „Fairtrade University“ ausgezeichnet worden und Studenten hätten sich dem Netzwerk für Wirtschafts- und Unternehmensethik (sneep) angeschlossen.

Zudem sei Nürnberg dabei, die Stiftung „Fair Toy“ zu gründen. „Hauptstadt des Fairen Handels 2019“ ist Neumarkt in der Oberpfalz. Die Kommune konnte sich gegen 99 Städte und Gemeinden durchsetzen. Nürnberg konnte den 3. Platz für sich verbuchen. „Nachhaltigkeit ist auf lokaler Ebene angekommen“, so Schwenzfeier. Die Kommunen seien zunehmend motiviert, Partnerschaften mit Afrika einzugehen, um gemeinsame Lösungsansätze zu finden. Das zeige sich auch mit der Unterzeichnung der Musterresolution des Deutschen Städtetags (DST) und der Deutschen Sektion des Rats der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE) mit dem Titel „2030-Agenda für Nachhaltige Entwicklung: Nachhaltigkeit auf kommunaler Ebene gestalten“.

„Wir begleiten seit 2017 die Klinikpartnerschaft des Klinikums Nürnberg mit dem Krankenhaus in Bassar in Togo“, berichtete Dina Barbian, Leiterin des Instituts für Nachhaltigkeit und Lehrbeauftragte an der FAU. Sie arbeite viel mit Projekten im westafrikanischen Togo. Dabei gehe es um kleine Dinge, wie neue Toiletten für eine Schule oder eine Pflanzenkläranlage. Aber auch ein Upcycling-Projekt für Plastikmüll wurde in Bassar umgesetzt. Aus Wasserbeuteln wurden Federmäppchen und Schulranzen genäht.

Wichtig sei, dass die Wertschöpfung in der Region bleibt. Togo habe einen Nachhaltigkeitsplan von 2018 bis 2022 festgelegt, der neben der Stärkung der sozialen Basis unter Berücksichtigung der ländlichen Bevölkerung, den Ausbau der Infrastruktur und Digitalisierung vorsieht. Zwei Städte in Togo würden zudem bereits erneuerbare Energie fördern.

Dürre bietet auch Vorteile: Sie sensibilisiert für den Klimaschutz

„Der Klimawandel betrifft alle afrikanischen Länder. Senegal habe ein heißes Klima, kaum Regen, Dürre und Versteppung des Bodens, Heuschreckenplagen, Versalzung der Brunnen und viele Menschen, die nicht lesen und schreiben können“, sagte Madiagne Seck, Bürgermeister der Stadt Gossas im Senegal.

Von den 17 Zielen sei für ihn die Bildung am wichtigsten. Es gebe ein Abfallproblem in Afrika, eine fehlende Abfallverarbeitung und -beseitigung in den Kommunen. Man habe begonnen, in Gossas Müllwagen in der Innenstadt einzuführen, sei aber auf Elektromofas umgestiegen. In den Vierteln müssten die Menschen die Müllabholung selbst finanzieren. Die Deponierung des Mülls erfolge auf wilden Deponien. Deswegen habe man mit der Partnerschaft Schwabach ein Projekt zur Abfallverarbeitung ins Leben gerufen. Neben Projekten wie dem Bauen von Vorratshäusern und Brunnen, dem Kaufen von Vieh, dem Anlegen von Gärten für Obst und Gemüse, der Verbesserung der medizinischen und hygienischen Bedingungen, dem Errichten von Schulen, Internaten und einem Kindergarten wurden Unterrichtsmaterialien angeschafft, eine Computerausstattung ermöglicht, Alphabetisierungskurse für Frauen organisiert, eine Nähschule mit Nähmaschinen ausgestattet
Auch habe eine im Senegal tätige Solarfirma den Kindergarten und die Schule in Gossas mit Solarmodulen auf den Dächern ausgestattet. Die nationale Politik unterstütze die Beteiligung an der Wiederaufforstung, so Seck. Der Erdnussanbau sei eine gute Möglichkeit, sich zu engagieren. Die Verarbeitung im eigenen Land sei das Ziel, nachdem sich Chinesen und Franzosen zurückgezogen hätten.

„Für Südafrika sind Biodiversität, Klimaschutz und fairer Handel wichtige Themen“, sagte Lauren Waring, Executive Director Planing & Development der Gemeinde Drakenstein. Südafrika habe 2018 die größte Dürre seit 200 Jahren erlebt. Man verfügte noch über 11 Prozent Wasserkapazität. Bei 10 Prozent reiche das Wasser der Staudämme nicht mehr zur Versorgung der Menschen aus. Der Vorteil dieser Dürre läge in der Bildung des Bewusstseins. Man sei in Schulen gegangen und habe über den Klimawandel informiert. Es gebe einen nationalen Entwicklungsplan, der die 17 Ziele als Grundlage habe. Frauen verdienten die gleichen Löhne wie Männer. Doch das Bildungsniveau sei nicht gleich. Es würde Fünfjährige geben, die in Toiletten ertrinken. Die Projektpartner Neumarkt und Drakenstein thematisierten die Armutsbekämpfung durch den Vertrieb von Produkten wie Kunsthandwerk und Wein aus fairem Handel im „Eine Welt Laden“ Neumarkt. Die Farmer hätten 2008 eine Genossenschaft gegründet und 60 Prozent der Anteile gekauft. Die 260 Farmer lebten soziale Nachhaltigkeit.

In Tunesien spielt Photovoltaik eine wichtige Rolle

Neumarkt habe sein Abfallmanagement vorgestellt, sei aber auf starken Widerstand gestoßen. Man wolle keine Energie in Abfallwirtschaft stecken. Geplant sei von 2019 bis 2020 die Renaturierung des Bergrivers, der als zentrale Lebensader von Drakenstein gilt, denn die Wein- und Obstfarmen, die von dessen Wasser abhängig sind, stellen über ein Drittel der Arbeitsplätze. Am Ufer des Bergrivers werden eingeschleppte, standortfremde Pflanzen beseitigt und durch natürliche Vegetation ersetzt.

Darüber hinaus sind langfristig die Errichtung von Reinigungsbecken an den Zuflüssen geplant, um das Abwasser aus den sogenannten informellen Siedlungen, die meist aus Wellblechhütten ohne sanitäre Einrichtungen bestehen, zu säubern. Ziel insgesamt sei die Stabilisierung des Ökosystems, die Verhinderung beziehungsweise Abschwächung von Überflutungen durch standortgerechte Vegetation sowie die Steigerung der Versorgungssicherheit der Landwirtschaft mit sauberem Wasser.

„In Tunesien spielt Photovoltaik eine wichtige Rolle, erläuterte Ahlem Ben Thayer, erste Stellvertreterin des Bürgermeisters von Midoun, der Partnerstadt von Fürth. Weitere Schwerpunkte seien Abfallbeseitigung, die Stärkung von Verwaltungsstrukturen und die Vermittlung der Kultur in die Welt. Fürth unterstütze ein Theaterprojekt in Midoun auf der Insel Djerba. Ein Exportgut seien Oliven und Olivenöl. Studenten würden angehalten, für ihre Abschlussarbeit ein Umweltthema zu wählen.

„Eine Gesellschaft entwickelt sich zurück ohne Energie“, resümierte Tchanile Ouro-Gbele, Bürgermeister der Stadt Sokodé in Togo. Viele Menschen hätten keinen Zugang zu konventionellen Energiequellen, die Beleuchtung des öffentlichen Raums sei eine wichtige Aufgabe. Ein Projekt mit Nürnberg sei das Installieren von Solarpanelen auf dem Krankenhaus und öffentlichen Gebäuden. Auch Sokodé habe ein Müllproblem. Da er nicht täglich abgeholt werde, könnte das Krankenhaus nicht immer arbeiten. Die Kanalisation werde aus Unkenntnis für das Entsorgen von Hausmüll genutzt. Hier gebe es ein Musterprojekt, in dem Schulkinder den Müll trennen. Ein Abfallhof und eine Müllbeseitigungsanlage seien vorhanden. Ein weiterführendes Projekt sei erwünscht. Damit die Kinder dem Unterricht satt folgen könnten und in der Schule bleiben würden, habe man eine Schulspeisung eingerichtet. Ein zentraler Punkt sei nicht nur die Förderung von Photovoltaiktechnik in Sokodé und Aného, sondern auch die berufliche Bildung und kommunaler Fachaustausch. Die Yamswurzel sei ein landwirtschaftliches Produkt, das im Gebiet Bassar angebaut werde. Aného liege am Meer und sei für die Fischerei von Bedeutung.

Deutschland ist ein zuverlässiger Handelspartner

„Wir haben neben Baumwolle, Kaffee, Kakao, Phosphat, Platin und Marmor einen sichere Meereszone und einen Hafen mit 16 Meter Tiefe für Containerschiffe. Wir haben die zwei sichersten Flughäfen in Westafrika mit einer eigenen Fluglinie, 675 Kilometer Autobahn“, ergänzte Germain Essohouna Meba, Präsident der IHK Lomé. Deutsche Produkte seien in Togo ganz automatisch zertifiziert. Andersherum leider nicht. Deutschland sei ein zuverlässiger Handelspartner. Auch sei Deutschland Vorbild bei der Berufsausbildung. Bei den oft sehr leistungsstarken deutschen Familienunternehmen sei von Interesse, wie das Wissen von dem Vater auf den Sohn übertragen werde. In Togo seien Familienunternehmen oft fremdgeführt. Ein Memorandum für die Grundlagen der Zusammenarbeit mit den deutschen IHK’s werde erbeten.

Wegen des Kolonialismus bleibt ein Grundmisstrauen gegenüber Europäern
„Wir teilen uns die Welt, es gibt keine individuellen Probleme. Wir brauchen eine gemeinsame Menschlichkeit. Die Menschen aus Afrika brauchen Solidarität. Sie wollen wissen, dass man aus der Geschichte der Kolonialisierung gelernt hat. Das Grundmisstrauen bleibt“, mahnte Elísio Macamo, Leiter des Zentrums für Afrikawissenschaften an der Universität Bremen. Auf der Agenda stehe Beseitigung von Armut und Hunger.

Es gebe aber keine Definition für Armut in der Agenda. Das Streben nach Reichtum sei das Problem, gestützt durch das neoliberale Weltwirtschaftssystem. Es sei eine neue Wirtschaftsordnung nötig. „Nicht Afrika ist das Problem, sondern die Welt. Ich würde Afrika empfehlen, die Agenda 2030 abzulehnen. ‚Gib einem Mann einen Fisch und du ernährst ihn für einen Tag. Lehre einen Mann zu fischen und du ernährst ihn für sein Leben’“, zitierte Macamo den chinesischen Gelehrten Konfuzius.
(Antje Schweinfurth)

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