Wirtschaft

Dieter Kempf vermisst hierzulande die Steuergerechtigkeit. (Foto: Schweinfurth)

10.09.2010

„Wettbewerb um Einwohner wird nicht stattfinden“

Datev-Vorstandschef Dieter Kempf macht sich für eine Reform der Gewerbesteuer nach dem Modell der Stiftung Neue Soziale Marktwirtschaft stark

Der Gewerbesteuer droht die Abschaffung. Derzeit bringen Gegner und Befürworter dieser Steuerart ihre Geschütze in Stellung und munitionieren sich mit Argumenten. Nachdem die Staatszeitung bereits ausführlich die Position der Kommunen, die die Gewerbesteuer unbedingt erhalten wollen, dargestellt hat, widmen wir uns nun mit Datev-Vorstandschef Dieter Kempf – einem wichtigen Meinungsbildner in Deutschland, wenn es um Steuerfachfragen geht – den Thesen der Gegner. „Ich bin ein Anhänger des Modells der Stiftung Neue Soziale Marktwirtschaft“, macht Kempf im Gespräch mit der Staatszeitung klar. Denn die jetzige Form der Gewerbesteuer mit ihren substanzbesteuernden Elementen von Unternehmen sei gerade für Kleinbetriebe und kleine Mittelständler nicht tragbar. „Wenn es denen einmal wirtschaftlich schlecht geht, kriegen sie durch die Gewerbesteuer, bei der Anteile der Miet- und Pachtzinsen in die Bemessungsgrundlage einfließen, zusätzliche Bürden aufgelastet“, so der Vorstandsvorsitzende.
Fadenscheinige Argumente
Kempf entlarvt viele Argumente der kommunalen Seite bei genauer Betrachtung als fadenscheinig. Denn würde man, wie das Modell der Stiftung vorsieht, den Kommunen zum Ausgleich des Wegfalls der Gewerbesteuer ein Hebesatzrecht auf die Einkommensteuer und eine Erhöhung ihres Anteils bei den Umsatzsteuereinnahmen zubilligen, wäre die Angelegenheit für alle Seiten gerechter. Die von Kommunalpolitikern ins Spiel gebrachte Befürchtung, dass dann alle Unternehmer „fluchtartig“ eine Stadt verlassen und ins Umland ziehen würden, weil dort der Hebesatz auf ihre Einkommensteuer geringer wäre, mag laut Kempf bei einigen wenigen Einzelfällen zutreffen. Doch eine Massenbewegung könne er beim besten Willen daraus nicht ableiten. „Erstens trifft dieser Effekt nur bei Personengesellschaften also OHGs oder Einzelunternehmen zu, weil diese nach dem Sitz des Unternehmers besteuert werden. Kapitalgesellschaften wie GmbHs oder AGs sind nicht betroffen, weil bei ihnen nach dem Sitz des Unternehmens besteuert wird“, so Kempf. Außerdem würden Bäcker, Metzger oder Wirtsleute, die traditionell gleich neben ihrem Betrieb wohnen, nicht wegziehen, nur weil sie an einem anderen Ort ein paar Euro Steuern sparen können. „Bei Handelsunternehmen, die mit vielen Filialen unterwegs sind, trifft der negative Effekt schon zu. Aber hier kann man auch nur die kritische Frage stellen, ob denn die Strukturpolitik der Städte in den vergangenen Jahren so richtig war, dass in allen Einkaufzonen die gleichen Filialisten sitzen“, meint Kempf.
Er als Steuerbürger Dieter Kempf mit seinem Haus am Stadtrand von Nürnberg, aber noch auf dem Gebiet der Stadt Nürnberg, würde jedenfalls nicht wegziehen, nur weil es demnächst vielleicht in Schwabach günstiger ist. Denn aufgrund seiner kleineren Größe müsse die Nachbarstadt weniger kommunale Infrastruktur vorhalten und käme so mit einem geringeren Hebesatz auf die Einkommensteuer aus als Nürnberg. Der ruinöse Wettbewerb um Einwohner, den die Städte fürchten, wird laut Kempf nicht stattfinden. „Was passiert denn, wenn ich in so einer Situation mein Haus verkaufe? Es ist weniger wert. Ich mache einen Verlust. Das werden ähnlich gestrickte Menschen des Typs homo oeconomicus wie Dieter Kempf auch so sehen“, so der Datev-Chef. Die Betroffenen würden schlicht das Rechnen anfangen, ob sich so ein Unterfangen lohne. Denn am neuen Wohnort müsste man ja dann mehr für eine Immobilie hinlegen, da dieser Ort mit günstigeren Hebesetzen aufwarten könne und damit attraktiver wäre. Bei Mietern wäre es ebenfalls ein Rechenexempel, ob die höheren Fahrtkosten fürs Pendeln zur Arbeitsstelle den finanziellen Vorteil von niedrigeren Hebesätzen bei der Einkommensteuer Wett machen würden. Obwohl Kempf jetzt gegen seine eigene Klientel der Steuerberater argumentiert, fragt er sich im Sinne der Steuergerechtigkeit, wieso Freiberufler, zu denen Steuerberater zählen, nicht in gleicher Weise wie Gewerbetreibende zur Finanzierung öffentlicher Infrastruktur herangezogen werden. „Dass sie nicht ins Gewerbesteuersystem gehören, weil sie keinen Gewerbebetrieb haben, ist plausibel. Sie aber freizustellen von Steuerzahlungen für den Betrieb kommunaler Einrichtungen, die sie ja auch nutzen, erschließt sich mir nicht“, so Kempf. Dies lasse eine Systemänderung schon gerecht erscheinen.
Und hier kommt der Datev-Chef an den entscheidenden Punkt. Wollte man wirklich eine für alle Seiten gerechte Sache stricken, komme man an einer großen Steuerreform nicht vorbei. „In diesem Fall darf man aber nicht auf die Lobbyisten hören. In der Finanzverwaltung, mit der wir ja aufgrund unserer Datev-Geschäftstätigkeit einen intensiven Kontakt haben, gibt es gute Ideen für ein konsistentes und faires Steuersystem in Deutschland“, betont Kempf. Es scheitere immer nur am politischen Teil. „Wobei man den Politikern nicht die Schuld geben darf. Denn diese sind nur Empfänger des Wählerwillens“, betont Kempf. Wollte man in Deutschland ein gerechteres Steuersystem, müsste sich jeder Bürger an die eigene Nase fassen und damit leben, dass die unzähligen Ausnahmetatbestände, von denen er momentan in unterschiedlichster Form profitiere, abgeschafft würden. Deshalb gibt es natürlich neben energiepolitischen Argumenten auch enorme wirtschaftliche Argumente für und wider eine Verlängerung der Laufzeit von Kernkraftwerken. Wenn es richtig ist, dass die Kernkraftwerke, insbesondere wegen der weitgehend erfolgten Anlagenabschreibung täglich Millionengewinne erwirtschaften, dann ist es klar, dass die Kernkraftwerksbetreiber diesen Gewinn ungern mit einer zusätzlichen Steuer belastet sehen wollen. Sie wären schlechte Vertreter ihrer unternehmerischen Interessen, wenn sie sich hiergegen nicht wehren würden. Zuweisungsmechanismus reformieren
Bei einer großen Steuerreform müsste aber auch der Zuweisungsmechanismus reformiert werden, so Kempf. Denn derzeit bekämen zum Beispiel die Bundesländer die Einnahmen aus der Kraftfahrzeugsteuer und der Bund die Einnahmen aus der Mineralölsteuer. Sinnvoller wäre es aber, nur eine Steuer auf den Energieträger – also Benzin, Diesel oder Strom – zu erheben. „Dann erwischt man auch alle ausländischen Autofahrer, die Deutschland nur als Transitland benutzen. Sie trügen auf diese Weise ihren Teil zur Finanzierung der deutschen Straßeninfrastruktur bei. Derzeit tun das ja nur die LKW-Fahrer via Maut“, erläutert der Datev-Chef.
Insgesamt müssten sich die Politiker von einer Illusion befreien, so Kempf. Nämlich, dass die Bereitschaft, Steuern zu zahlen merklich steigt, wenn die Steuersätze nur niedrig genug seien. „Selbst wenn die Steuerbelastung nur noch bei 20 Prozent läge, würden die Menschen nach Möglichkeiten suchen, Steuern zu sparen“, so der Datev-Chef.
(Ralph Schweinfurth)

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