Wirtschaft

Erneuerbare Energien auf dem Vormarsch: Hier spielen Wind, Sonne und Biomasse perfekt zusammen. (Foto: dpa/Thomas Frey)

06.09.2022

Wie die Bundesregierung die Energiekrise anfacht

Gesetzgeber bremst erneuerbare Energien aus: Allein 2021 wurden 5,8 Terrawattstunden Wind- und Sonnenstrom abgeregelt

Die akute Energiekrise erfordert nachhaltige Lösungen. Fossile und atomare Energieträger lassen die Preise an den europäischen Börsen explodieren – mit erheblichen Folgekosten für Verbraucher*innen und Unternehmen. Einzig die erneuerbaren Energien werden die Energieversorgung zuverlässig und bezahlbar sichern. Sie tragen heute schon signifikant zur Kostendämpfung auf den Märkten bei.

„Die Lösungsansätze der Bundesregierung, fossile Brücken und die atomare Reserve zu verlängern, wird neue Probleme bringen. Zumal das Kosten-Nutzen-Verhältnis gerade bei Atomstrom durch das Sicherheitsrisiko fraglich ist. Wir brauchen stattdessen ein erneuerbares Befreiungspaket“, sagte Simone Peter, Präsidentin vom Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) aus Berlin am Dienstag beim hybriden Pressegespräch. Kohle- und Kernkraftwerke würden eigentlich nicht benötigt. Es werde zu Netzüberlastungen durch diese konventionellen Kraftwerke kommen. Sinnvoller sei daher die Herausnahme großer fossiler Kraftwerke, denn die erneuerbaren Energien seien im Gegensatz flexibel steuerbar. So sei kein Abregeln mehr nötig.

Kurzfristig nutzbar

Potenziale, auch kurzfristig nutzbare, seien bei den erneuerbaren Energien vorhanden. Sie müssten nun entfesselt werden. Zur kurzfristigen Entlastung der Endkunden sei es möglich, die EEG-Umlage von 17 Milliarden Euro an die Verbraucher zurückzuführen. Das könne in Form einer Einmalzahlung an alle EEG-umlagepflichtigen Haushalte geschehen. Bei knapp 42 Millionen Haushalten entlasteten die erneuerbaren Energien die Haushalte in der „fossilen Preiskrise“ um circa 400 Euro.

Die erneuerbaren Energien würden die Strompreise signifikant senken. Das könne man vor allem in der Krise nutzen. Doch das erfordere einen schnelleren Ausbau. Das Osterpaket der Bundesregierung habe ambitionierte Zielsetzungen. Doch die Streichung der 100-prozentigen Klimaneutralität bis 2035 sei genauso kontraproduktiv, wie die fehlenden Ausbaupfade für Wind- und Solarstrom.
Kurzfristige Potenziale für diesen Winter würden sich vor allem im Zuge der geplanten Novelle des Energiesicherungsgesetzes heben lassen. So könnten im Bereich der Bioenergie durch die Entdeckelung und die befristete Anpassung von Genehmigungsrecht ad hoc 19 Terrawattstunden mehr zur Verfügung stehen.

Im Bereich der Photovoltaik müssten Anlagenzertifikate vereinfacht und vor allem der Netzanschluss beschleunigt werden. Netzanschluss-Zertifikaten sollten nur noch für leistungsstarke Anlagen notwendig sein.

Bei Windenergie sei die unmittelbare Leistungssteigerung im Bestand durch das Aussetzen von Abschaltungen möglich. Von nöten sei ein Genehmigungsbeschleunigungsgesetz. „10.000 Megawatt fertig geplante Windenergie-Projekte hängen aktuell in der Genehmigung und in den nächsten drei Jahren können durch Repowering 45.000 Megawatt Leistung ans Netz gebracht werden“, verdeutlichte Peter.
Für eine Entspannung im Wärmesektor könnten die Erleichterung von Netzanschlüssen für Wärmepumpen und die schnellere Genehmigung für kleine Geothermie-Erdwärmepumpen sorgen. Allein sieben Gigawatt Solarwärme würden sich zudem in den nächsten drei Jahren durch einen Solarbooster gewinnen lassen. Die Förderprogramme der Bundesregierung seien unzureichend und sollten aufgestockt werden. Auch bei der Holzenergie sehe der BEE noch Luft nach oben.

Bürokratische Hindernisse abbauen

„Dafür brauchen wir LNG-Geschwindigkeit bei den Genehmigungsverfahren auch bei den Erneuerbaren“, mahnte Peter. Der Vorrang der erneuerbaren Energien sei zusätzlich in den Fachgesetzen zu verankern. Gesetze müssten bei den Ländern und Kommunen ankommen, da dort die Genehmigungspflicht liege. Flächen seien schnellstmöglich bereitzustellen, Reformstau und bürokratische Hindernisse schnellstmöglich zu beseitigen. „Wir brauchen alle kleinen dezentralen Anlagen und die Elektrolyseure im Norden“, so Peter.

Gleichzeitig müsse der Strommarkt entkoppelt werden. Kurzfristige Änderungen im Marktrahmen beziehungsweise im Preisfindungsmechanismus bringe oft unerwünschte Effekte – auch hemmende Wirkungen auf die Erneuerbaren. So führe eine Kappung des Preissignals zu höherem Stromverbrauch und somit unter anderem zu höherer Gasverstromung. Strommarktdesign, Marktwerte und steuernde Maßnahmen müssten somit im Kontext beleuchtet werden, um Fehlsteuerungen zu vermeiden. Allein im Jahr 2021 seien 5,8 Terrawattstunden Wind- und Sonnenstrom abgeregelt worden. „Das ist ökonomisch und ökologisch unsinnig“, verdeutlichte Peter.

Die Bundesregierung müsse noch in diesem Jahr die Plattform „Klimaneutrales Strommarktdesign“ einsetzen, um ein flexibel steuerbares dezentrales Back-up im Strommarkt zu schaffen. Vorschläge, wie der Strommarkt der Zukunft aussehen kann, habe der BEE bereits im letzten Jahr in einer Studie gemacht.

Im Einklang mit den Ausbauzielen

Kurzfristige Eingriffe, wie jetzt von der EU geplant, seien aufgrund der negativen Erfahrungen mit nationalen Eingriffen wie in Spanien, wo eine verstärkte angereizte Erdgasverstromung aufgrund von Preisdeckeln den Einsparungsbemühungen im Stromsektor entgegenstehen würden, grundsätzlich zu begrüßen. Sie müssten aber im Einklang mit den Ausbauzielen stehen. Die Maßnahmen dürften auf keinen Fall die Akteure der Erneuerbaren-Energien-Branche treffen, die aufgrund von Lieferengpässen, steigenden Materialpreisen und anderen Hürden mit Mehrkosten zu kämpfen haben. Ausschreibungen seien nach wie vor unterzeichnet, Genehmigungen und Flächen fehlten weiterhin, Produktionsstätten gingen immer noch verloren.

„In der Biogasbranche herrsche großes Unverständnis, dass die Gesetze zur Deregulierung nicht kommen. Zumal die geschätzten 19 Terawattstunden Potenzial das Flüssiggasterminal in Ludwigshafen ersetzen könnten“, merkte Horst Seidel, Präsident des Fachverbandes Biogas an. Jeder zweite Biogasbetreiber brauche fünf Jahre, bis er das Gas ins Netz einspeisen könne. Notwendig sei eine Verkürzung auf zwei Jahre mit dem Ziel, 20 bis 30 Gigawatt flexibel an- und abzuschalten. Dazu solle Biogas im großen Stil unter Hauben und auch im Gasnetz „geparkt“ werden. Und erst im Bedarfsfall würden viele kleinere, dezentrale Blockheizkraftwerke passgenau den jeweils fehlenden Strom produzieren.

Strompreis schwankt

Anders als die Kosten schwanke der Strompreis im Tagesverlauf. Der Preis könne morgens um 8 Uhr bei 22 Ct/kWh liegen, in der Phase des höchsten Verbrauchs am Abend aber bei 60 Ct/kWh. Biogasbetreiber würden deshalb auf den Preis-Spot zwischen 19 und 20 Uhr schauen, um rentabel arbeiten zu können. Mit der geplanten Deckelung der Auszahlung sei diese Flexibilität weg.

Die Gasumlage sei eine Gefahr für die Biomethanerzeuger. Mit dem 1. Oktober würden alle Umlagen zusammengerechnet etwa vier Cent betragen. Bei einem Preis von sieben Cent pro Kilowattstunde sei das eine Menge. Da die Festpreisverträge nicht anpassbar seien, sei zu befürchten, dass viele Erzeuger Insolvenz anmelden müssen.

„Der Stau bei Netzanschlüssen liegt bei einem Jahr“, verdeutlichte Carsten Körnig, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Solarwirtschaft. Schuld seien die kostenintensiven Zertifikate, dass das Netz nicht unnötig belastet werde. Das Wichtigste sei, die Bagatellgrenze hochzusetzen, wie in der EU schon geschehen. Alles andere schrecke Investoren ab. Die Netzwerkbetreiber müssten ihren Widerstand aufgeben. „Die Anlagen stehen auf den Dächern und können ans Netz“, so Körnig. Zertifizierungen könne man eventuell nachreichen.

Für große solarthermische Kraftwerke seien für eine Genehmigung ebenfalls umfassende unnötige Machbarkeitsstudien nötig. Die Technik sei bekannt. Sinnvoll sei die Nachrüstung von Geothermieanlagen für Haushalte, um die frühere Fokussierung auf Gas auszugleichen. „Wir würden gerne zur Klimawende beitragen, wenn wir denn dürften“, endete Körnig.
(Antje Schweinfurth)

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