Wirtschaft

Bertram Brossardt glaubt, dass Langzeitarbeitslose durch Zeitarbeit wieder ins Berufsleben zurückkehren können. (Foto: vbw)

21.05.2010

„Wir haben einen verkrusteten Arbeitsmarkt“

vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt erläutert die Vorteile von Zeitarbeit für Arbeitgeber und Arbeitnehmer

Unternehmer lieben Zeitarbeit, Gewerkschaften und Arbeitnehmer verteufeln sie – soweit die Klischees. Wir sprachen mit Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V., über Sinn und Zweck von Zeitarbeit.
BSZ Warum brauchen wir Zeitarbeit? BROSSARDT Weil wir auf dem Arbeitsmarkt ein verkrustetes System haben.
BSZ Das heißt?
BROSSARDT Wir brauchen einen atmenden Arbeitsmarkt, damit die Unternehmen die nötige Flexibilität beim Personaleinsatz haben.
BSZ Was schätzen denn die Unternehmer so an Zeitarbeitskräften?
BROSSARDT Mit Zeitarbeitern lassen sich Auftragsspitzen besser bewältigen, kurzfristige Personalausfälle kompensieren und ganz allgemein die Personalplanung besser gestalten. Laut unserer Umfrage wollen nur etwa 10 Prozent der Betriebe in der bayerischen Metall- und Elektroindustrie durch Zeitarbeit Kosten senken.
BSZ Und was haben die Arbeitnehmer davon?
BROSSARDT Zeitarbeit ist für sie eine Möglichkeit, sich wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. 70 Prozent der Zeitarbeitnehmer kommen aus der Arbeitslosigkeit. Somit ist Zeitarbeit eine Chance für sie, ein Sprungbrett in den Arbeitsmarkt.
BSZ Viele Arbeitnehmer sehen die Zeitarbeit aber kritisch. Für sie stellt Zeitarbeit kein reguläres Arbeitsverhältnis dar.
BROSSARDT Zeitarbeitsplätze sind reguläre Arbeitsverhältnisse. Für sie gelten tarifvertragliche und gesetzliche Regularien wie für jeden anderen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz. Die Entlohnung durch eine Zeitarbeitsfirma ist etwas geringer, aber die Zeitarbeitsfirma trägt ja auch die Risiken.
BSZ Welche Risiken denn?
BROSSARDT Sie trägt das Krankheitsrisiko und kommt für den Urlaub auf. Das sind die wesentlichen Kostenblöcke.
BSZ Zeitarbeit hat ja auch geholfen, Menschen aus Langzeitarbeitslosigkeit zu befreien.
BROSSARDT Ja, weil sie dem Betroffenen Wege eröffnet, sich wieder an regelmäßige Arbeit zu gewöhnen und neue Qualifikationen zu erwerben.
BSZ Wenn mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt auch mehr Beschäftigung bedeutet, was müssten die Politiker dann anpacken?
BROSSARDT Die vbw will einen flexiblen Arbeitsmarkt mit verändertem Kündigungsschutz und längeren Befristungsmöglichkeiten für Arbeitsverhältnisse. Auf der anderen Seite der Medaille steht dann eine deutlich verbesserte Vermittlung von Arbeitskräften. Dadurch sinkt insgesamt die Beschäftigungsschwelle und Schwächere erhalten besser als bisher eine Chance auf eine Festanstellung. Doch leider ist die Bereitschaft zu solchen Reformen in der Mehrheit der Parteien derzeit nicht vorhanden. Wir bedauern das sehr.
BSZ Wie lange werden denn Zeitarbeitskräfte in den Firmen in der Regel eingesetzt?
BROSSARDT Zeitarbeit beschränkt sich in der Regel auf eine Dauer bis zu zwei Jahren. Laut unserer Umfrage in der bayerischen Metall- und Elektrobranche setzen 38,3 Prozent unserer Mitgliedsbetriebe Zeitarbeiter für eine Periode von sechs bis zwölf Monaten ein, 27 Prozent für drei bis sechs Monate und 15,4 Prozent für bis zu drei Monate. Nur 16,4 Prozent beschäftigen Zeitarbeiter für ein bis zwei Jahre und nur 2,5 Prozent länger als zwei Jahre.
BSZ Wie viele der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze in Bayern sind denn eigentlich mit Zeitarbeitskräften besetzt?
BROSSARDT In Bayern waren es laut jüngsten Zahlen vom Oktober 2009 etwa 1,8 Prozent – auf Bundesebene etwa 2 Prozent.
BSZ Das ist ja erstaunlich wenig. Warum hat Zeitarbeit dann so ein schlechtes Image?
BROSSARDT Weil wir seitens der Gewerkschaften leider eine intensive Diffamierungskampagne gegen die Zeitarbeit erleben. Denn an einem Tag unterschreiben sie die tarifvertraglichen Regelwerke für Zeitarbeit und am nächsten Tag wettern sie dagegen.
BSZ Aber jetzt in der Krise hat es die Zeitarbeiter als erste erwischt.
BROSSARDT Ja, das liegt in der Natur der Sache. Aber viele Zeitarbeitsunternehmen haben versucht, die Zeitarbeitnehmer zu halten und sind sehr verantwortungsvoll mit ihnen umgegangen. So sank die Zahl der Zeitarbeitnehmer in Deutschland in der Krise nur von 820 000 auf 530 000.
BSZ Zeitarbeit ist also dringend notwendig.
BROSSARDT Ja. Und jeder politische Versuch, sie für die Unternehmen zu verteuern, wird zur Auslagerung von Teilen der Produktion führen. Auch das ist ein Ergebnis unserer Umfrage. Zeitarbeit ist ein wichtiger Faktor, um Wertschöpfung in Deutschland zu halten. Ohne Zeitarbeit sind wir für den Weltmarkt zu unflexibel und zu teuer. (Interview: Ralph Schweinfurth)

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