Wirtschaft

Fabrik in China. (Foto: dpa9

08.03.2019

Wirtschaftsforscher: „Die Privatisierung war ein riesiger Fehler"

„Die Privatisierung war ein riesiger Fehler“: Wissenschaftler nennen Wirtschaftsschwäche in Südeuropa oder Frankreich als Beleg

Helfen wirklich „Tauschgeschäfte gegen Globalisierungsangst“, wie sie die ABC All Business Company aus Wien schon seit 2007 propagiert? Diese Frage stellt sich Heiner Flassbeck gar nicht erst. Denn für ihn steht schon lange fest: „Die Globalisierung ist gescheitert.“ Auch wenn sie für ihn „eine wunderbare Idee war, nachdem die politische Spaltung in Ost und West überwunden war“.

Mit diesem Zwiespalt leiten Flassbeck und sein Mit-Autor Paul Steinhardt in ihr 2018 erschienenes Buch Gescheiterte Globalisierung ein. Darin fordern sie das Gegenteil der vom letzten und aktuellen Bundes-Finanzminister beschworenen „Schwarzen Null“, nämlich: „Wir müssen in Deutschland Schulden machen. Nur deshalb haben wir diese Spannungen in Europa.“ 

Denn: „Wirtschaftliche Entwicklung besteht immer aus einem Zusammenspiel von Kräften wie denen der Globalisierung und Automatisierung auf der einen Seite. Und Gegenreaktionen, die aus menschlichem Handeln einschließlich der von den Menschen gemachten Wirtschaftspolitik bestehen, auf der anderen Seite.“ Doch:“ Es gibt keine Modelle, die das einfangen, was wir wirtschaftliche Dynamik nennen.“

Fundamental versagt

Diese Überzeugung geben die beiden in ihrem wirtschaftspolitischen Magazin Makroskop wie auch in ihren öffentlichen Auftritten weiter. So kürzlich am „Ohm“, der Technischen Hochschule Nürnberg. Aus Sicht von Flassbeck und Steinhardt haben bei der Bankenschuldenkrise 2009 die politisch Führenden der Welt „fundamental versagt“. Denn danach ging die Arbeitslosenquote nur in Deutschland, Japan und – für viele völlig neu – den USA nach unten. Dagegen ist besonders der Rest Europas von steigender Arbeitslosenzahl gezeichnet – Flassbeck zeigt aktuell nach Frankreich mit seinen Gelbwesten-Protesten. 

Noch schlimmer sei das Verhältnis der großen zu den kleineren Volkswirtschaften: „Angesichts der fortschreitenden Globalisierung, der immer stärkeren Integration der Weltwirtschaft, können kleinere Nationen – unabhängig vom Währungssystem – immer weniger eine eigenständige Wirtschaftspolitik betreiben“, wissen die Referenten. 

Professor Flassbeck, der bis 2012 Chefvolkswirt der Welthandels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen (UNCTAD) war, prangert an: „Wir haben die Arbeitslosen exportiert.“ Und Schuld daran trügen nicht nur die Politiker um Ex-Kanzler Schröder: Die Vorgabe in dessen Agenda 2010, „dass die Reallöhne nicht mehr so stark steigen durften wie die Produktivität, haben auch die Gewerkschaften unterschrieben“, stellt er klar. In Frankreich stiegen dagegen die Reallöhne – und parallel dazu die Arbeitslosigkeit. 

Unsere „Neoklassische Arbeitsmarkttheorie“ stecke dahinter, vorgeschlagen vom Sachverständigenrat und strikt befolgt von der Bundesregierung, sagt Flassbeck. „Schröder und Kollegen haben von denen denken lassen und daran geglaubt: ,Wenn der Preis für Arbeit runtergeht, geht die Nachfrage hoch.’ Doch das Gegenteil ist passiert, beispielsweise in Griechenland.“ Hellas hat bekanntlich bis heute Finanz- und Arbeitsmarkt-Probleme. 

Heiner Flassbeck gibt in einem Punkt sogar US-Präsident Trump recht, wenn der sage „Germans are bad“. „Auch ein Depp kann mal etwas Richtiges sagen. Denn unser Merkantilismus bedeutet: Überschüsse aufhäufen, Nachbarn vernichten.“ Allein das US-Finanzministerium habe diese deutsche Strategie richtig beschrieben. „Daraus Konsequenzen zu ziehen, wäre absolut richtig.“ Doch hierzulande passiere nichts dergleichen.

Stattdessen mache die deutsche Regierung eigentlich schon lange das, was sie an „America first“ oder „Italien zuerst“ kritisiere, ergänzt Paul Steinhardt: Sie schaue nur auf die eigene Wirtschaft. „Im Freihandel darf niemand absolute Vorteile haben“, lautet beider Wissenschaftler Kritik an der deutschen Wirtschaftspolitik. Und Steinhardt schiebt noch nach: „Die Schuldengrenze aus dem Grundgesetz nehmen. Rekommunalisierung. Geld für eine funktionierende Bahn. Denn die brauchen wir, wenn wir eine wirkliche Verkehrswende wollen.“

Im Buch werden die beiden noch deutlicher. „Alle wichtigen Institutionen, die mit der Zukunftsvorsorge einer Volkswirtschaft zu tun haben, sollten auf der Ebene des Nationalstaates angesiedelt sein. Das gilt in ganz besonderem Maße natürlich für die öffentliche Daseinsvorsorge.“ 

Damit stellen sie die erfolgte Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme genauso infrage wie jene bei Luftverkehr, Bahn, Post oder Telekommunikation. Als das Tafelsilber zu Geld gemacht wurde, sprach man bekanntlich von „Zeiten knapper Kassen“. Das war auch beim Verkauf der Energieversorgung um die Jahrtausendwende der Fall.

Diese sogenannte „Liberalisierung der Energiewirtschaft“ sehen die Autoren als sehr „problematisch“ an. Zumal sie oft nur „formal“ passiert sei: „Hier hat man Kommunen gesetzlich gezwungen, den Wettbewerb zwischen unterschiedlichen Anbietern zu ermöglichen. Dadurch konnte in manchen Kommunen eine ressourcen- und umweltschonende Energieversorgung nicht mehr gewährleistet werden.“ Das Gegenteil dessen also, was unsere Erde nach einhelliger Vereinbarung des Pariser Klimaschutzabkommens braucht.

Deutsche Vorreiterrolle

Deshalb bekennen sich Flassbeck und Steinhardt in ihrem Buch ausdrücklich zur deutschen Vorreiterrolle: „Vor diesem Hintergrund ist das Beste, was sich aus einer globalen Perspektive bisher zur deutschen Energiewende sagen lässt: Es kann sehr wichtig sein, dass ein Land zeigt, dass eine solche Energiewende möglich ist – ein bedeutendes Argument, das nicht kleingeredet werden sollte. Dafür in einem reichen Land sehr viel Geld in die Hand zu nehmen, kann sich durchaus lohnen.“ Dennoch könne „das Umweltproblem nur global und auf der Ebene der Politik gelöst werden“.

Am „Ohm“ können die beiden Wirtschaftswissenschaftler die gut 300 Zuhörer von ihrer völlig anderen Wirtschaftstheorie überzeugen. In Frankreich, wo er seit 20 Jahren lebt, bekommt Flassbeck ebenfalls „sehr positive Reaktionen“. Doch bei den politisch Verantwortlichen in Deutschland „ist unsere Überzeugung ein absolutes Tabu, sie dringt nicht durch". (Heinz Wraneschitz)

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