Wirtschaft

Ein Sprach- und Integrationskurs kostet 1365 Euro je Teilnehmer. Die meisten Flüchtlinge müssen ihn nicht selbst bezahlen. (Foto: dpa/Franziska Kaufmann)

04.10.2019

Zwischen Motivation und Frustration

Mehr als eine Million Flüchtlinge haben seit 2015 Sprachkurse des BAMF besucht – nur eine Minderheit erreichte ein Level, das für eine qualifizierte Berufsausbildung reicht

Vor einem Jahr sorgten Zahlen aus dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) für Aufsehen. Demnach schafften mehr als die Hälfte der Teilnehmer von Deutsch-Sprachkursen nicht den angestrebten Abschluss B1. Eine Nachfrage der Staatszeitung beim BAMF in Nürnberg ergab, dass es heuer nicht viel besser ausschaut. Allerdings relativiert die Behörde die aktuellen Ergebnisse.

„Je früher Menschen, die wahrscheinlich bleiben werden, die deutsche Sprache lernen und arbeiten können, desto besser für uns alle. Sonst riskieren wir, dass aus Frust und Langeweile Gewalt und Kriminalität werden oder politischer und religiöser Extremismus gedeihen kann“, warnte unlängst der frühere Bundespräsident Joachim Gauck.

Doch was genau bedeutet für Flüchtlinge, die deutsche Sprache zu lernen? Der Integrationskurs gilt als das Regelangebot des Bundes für den Spracherwerb und vermittelt darüber hinaus in einem Orientierungskurs Wissen zu Geschichte, Rechtsordnung und Werten in Deutschland. Jeder Kurs besteht aus einem Sprachkurs mit 600 Unterrichtseinheiten und einem sogenannten Orientierungskurs mit 100 Unterrichtseinheiten. Das BAMF ist laut Paragraf 43 des Aufenthaltsgesetzes für die Koordinierung und Durchführung zuständig, die praktische Umsetzung wird privaten und öffentlichen Trägern überlassen. „Wir legen die inhaltlichen Anforderungen und Curricula fest“, erläutert BAMF-Sprecherin Edith Avram.

Bestehen oder durchfallen


Integrationskurse, so Avram weiter, schließen mit der skalierten Sprachprüfung „Deutsch-Test für Zuwanderer“ ab, die nicht zwischen „bestehen“ oder „durchfallen“ unterscheide, sondern „ein Sprachniveau abbildet, das die einzelnen Teilnehmer jeweils individuell erreicht haben“.

Diese dienen dem Ziel, die Flüchtlinge soweit in die Gesellschaft und vor allem in den Arbeitsmarkt zu integrieren, dass sie für ihren Lebensunterhalt selbst aufkommen können. Momentan leben nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit noch mehr als 900.000 anerkannte Flüchtlinge von Hartz IV.

Laut Angaben des BAMF haben zuletzt 52 Prozent der Teilnehmer das Sprachniveau B1 erreicht – eine leichte Verbesserung gegenüber dem Vorjahr und „kein schlechtes Ergebnis, sondern ein richtig gutes“, wie Edith Avram betont. Das entspräche in etwa dem Niveau, das deutsche Schüler nach dem Abschluss der zehnten Klasse in Englisch erreichen sollen.

Bundesrechnungshof: Eine große Zahl schwänzt


Nur müssen diese Schüler ihre anschließende Berufsausbildung eben nicht in Englisch absolvieren. Das Sprachlevel B1, ergab eine Umfrage der FAZ unter Berufsschullehrern, „genügt, um im Alltag in Deutschland schriftlich und mündlich klarzukommen; für einen qualifizierten Beruf reicht es meist nicht“.

Dafür bräuchte es mindestens das Level B2. Doch landen eben weiterhin 48 Prozent der Teilnehmer der Sprachkurse sogar unter B1 – was ihre beruflichen Aussichten zunächst bestenfalls auf Tätigkeiten als ungelernte Hilfskräfte begrenzt. Die braucht es aber in der Zukunft immer weniger, was gesucht ist auf dem deutschen Arbeitsmarkt, sind primär (hoch-)qualifizierte Fachkräfte.

Hinzu kommt: Nicht alle Teilnehmer eines Integrationskurses melden sich am Ende auch für den Sprachtest an. Im Jahr 2017 beispielsweise besuchten knapp 340.000 Menschen den Kurs, nur 290.000 von ihnen meldeten sich zum Schluss auch beim Sprachtest an. Ob es Sanktionen für die Abbrecher gibt – unklar.

Viele schwänzen


Denn es schwänzt eine große Zahl von Flüchtlingen zu viele Stunden, wie ein Prüfbericht des Bundesrechnungshofs ergab. Die Beamten hatten Sprachkurse der Bundesagentur für Arbeit kontrolliert und kamen zu einem desaströsen Ergebnis: „Es ist davon auszugehen, dass ein großer Teil der eingesetzten Mittel verpuffte, weil die Kurse von schwindenden Teilnehmerzahlen geprägt waren“, heißt es in dem Bericht an die Bundesagentur für Arbeit. Konkret seien „bei fast allen 528 untersuchten Kursen mit der Zeit immer mehr Teilnehmer ferngeblieben“.

Das ist auch deshalb schlecht, weil der Kurs nicht ganz billig ist, 1365 Euro sind aktuell dafür zu bezahlen. Wer Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe bezieht, ist davon befreit, ebenso, „wenn die Zahlung des Kostenbeitrags aufgrund der wirtschaftlichen oder persönlichen Situation besonders schwerfällt“, so das BAMF. Das trifft auf die Mehrzahl der Flüchtlinge zu. Seit 2015 hätten sich mehr als eine Million Menschen für einen solchen Kurs eingeschrieben. Pro Jahr gibt die Bundesregierung dafür mehr als eine halbe Milliarde Euro aus.

Für Stephan Dünnwald, den Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrats, ist dieses Problem gut erklärbar. Es säßen nicht selten Akademiker mit Analphabeten zusammen in einem Kurs. Die einen würden sich dann wegen Unter-, die anderen wegen Überforderung langweilen und beide Gruppen seien gleichermaßen frustriert, so Dünnwald zur Staatszeitung.

Flüchtlingsrat: Zu viele sind traumatisiert oder belastet


Außerdem hätten viele Flüchtlinge noch eine Menge anderer Dinge um die Ohren: ihr Asylverfahren oder den Wechsel vom Leistungsgesetz ins Sozialgesetz. Viele seien traumatisiert oder anderweitig belastet. „Und die meisten leben immer noch in den Sammelunterkünften, da finden sie kaum genug Ruhe zum Lernen“, erläutert der Sprecher des Flüchtlingsrats.

Im bayerischen Innenministerium gibt man sich auf Nachfrage trotz allem optimistisch. Aufgrund des starken Anteils an Alphabetisierungskursen sei „bereits das Erreichen der Niveaustufe A2 als erster und wichtiger Erfolg zu bewerten“. Trotzdem sieht das Ministerium noch Verbesserungsbedarf. Frauen mit kleinen Kindern beispielsweise sollen nicht wegen fehlender Betreuung an der Teilnahme scheitern, auch einen Abbruch aufgrund einer inadäquaten ÖPNV-Anbindung sei zu verhindern. Aus Sicht der Hauses von Ressortchef Joachim Herrmann (CSU) gelte es, „noch mehr auf das Wissen der Kommunen vor Ort zu setzen“. Auf Antrag Bayerns habe die Integrationsministerkonferenz beschlossen, Landkreise und kreisfreie Städte mit dem BAMF und den Kursträgern „an einen Tisch zu bringen“.

Und wie wertet die Wirtschaft die Zahlen? Auf Nachfrage sagt Sprecher Hendrik Steffens von der vbw – Vereinigung der bayerischen Wirtschaft: „Die Zahlen sind ausbaufähig. Spracherwerb braucht Zeit. Um auch bei geringeren Sprachkenntnissen und Vorqualifikationen frühzeitig den Weg in eine Ausbildung zu ebnen, müssen wir die Teilqualifizierung von Un- und Angelernten noch stärker nutzen: Vor allem flankiert durch die Angebote der Agentur für Arbeit wie etwa ausbildungsbegleitende Hilfen und assistierte Ausbildung oder durch Zusatzangebote der Berufsschulen. Der Metall-plus-Elektro-Berufseignungstest und der Kompetenzcheck seien nur zwei Projekte von vielen im Rahmen des Großprojekts IdA – Integration durch Ausbildung und Arbeit, das die vbw 2015 mit der Staatsregierung, den Kammern und der Regionaldirektion Bayern der Bundesagentur für Arbeit initiiert haben.
(André Paul)

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