Wissenschaft

Ein Stück des Panzers einer urzeitlichen Landschildkröte. 8Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbran)

09.09.2020

"Wie im Sand spielen"

Nach fast einem Jahr Pause suchen Forscher in der Allgäuer Tongrube "Hammerschmiede" wieder nach Fossilien. Während sie mit Spachteln und Pinseln Knochensplitter freilegen, sind nebenan Bagger und Lastwagen am Werk. Nicht nur die Wissenschaftler sind an dem Ton interessiert.

"Wir möchten beTONen, hier gibt es nichts zu sehen" steht auf dem Transparent am Bauzaun, der den Weg in das matschige Gebiet versperrt. Hinein darf nur, wer angemeldet ist - als Forscher oder als Bauarbeiter. Die einen suchen in der Tongrube "Hammerschmiede" nach Millionen Jahre alten Fossilien, die das Verständnis der Evolution verändern könnten. Die anderen transportieren die Sedimente mit Baggern und Lastwagen ab.

Melanie Lex sitzt mit Spachtel und Pinsel auf "Niveau vier" - einem der beiden Plateaus, an dem das Forscherteam der Universität Tübingen den Ton untersucht. "Es ist wie im Sand zu spielen", sagt die 26-Jährige. "Aber es kann alles passieren." Ob Schildkrötenpanzer-Splitter, Zähne oder ganze Knochen: Die Sedimente der "Hammerschmiede" im Allgäu, einer ehemaligen Auenlandschaft, stecken voller Fossilien.

Teile eines Skeletts machten die unscheinbare Tongrube bei Pforzen im vergangenen Jahr international bekannt. Menschenaffe "Udo" zeigt den Paläontologen zufolge, dass sich der aufrechte Gang schon deutlich früher entwickelt hat als zuvor angenommen - vor 11,62 Millionen Jahren. Vor dem Fund in der "Hammerschmiede" waren die ältesten Belege für den aufrechten Gang etwa sechs Millionen Jahre alt und stammten aus Kenia und von Kreta.

"Komplexe haftungsrechtliche Probleme"

Mit Blick auf weitere Grabungen mussten sich die Forscher um Paläontologin Madelaine Böhme aber gedulden. Die Corona-Pandemie und Verhandlungen über eine neue Grabungsgenehmigung und das Wetter führten zu Verzögerungen. Als Vertragspartner sind nun auch die Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns beteiligt, weil der Freistaat für die Grabungen selbst Mitarbeiter anstellt.

Bei den Verhandlungen sei es um "komplexe haftungsrechtliche Probleme" gegangen, sagt Gernot Beer von der Unternehmensgruppe Geiger. Die Oberstdorfer Firma liefert seit vielen Jahren Ton aus der "Hammerschmiede" an Ziegeleien und arbeitet während der Grabungen weiter auf dem Gelände. Dabei müsse man die Verkehrssicherheit gewährleisten, sagt Beer. "Wir wollen die Grabungen aber ermöglichen und haben sie auch schon mit Maschinen unterstützt." Bürgergrabungen sind mit dem neuen Regelwerk jedoch nicht möglich. 

Während Paläontologin Madelaine Böhme und ihr Team jeden Knochensplitter in Plastikboxen sammeln, zerstört der Bagger der Baufirma wenige Meter weiter also möglicherweise gerade andere Fossilien. "Daran können wir nichts ändern", sagt Böhme. "Wir müssen das Beste draus machen." Der Abbau laufe trotz der Funde weiter, betont Geiger-Geschäftsleiter Beer. Die Tongrube sei als Vorranggebiet zur Rohstoffgewinnung überregional von Bedeutung.

Hobby-Forscher sollen ferngehalten werden

Deshalb versucht die Baufirma, Hobby-Forscher von der Tongrube fernzuhalten. "Ein Spaziergang während des Abbaubetriebs hier ist viel zu gefährlich", sagt Betriebsleiter Manfred Hatt. "Wir werden während der Grabungen deshalb zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen ergreifen." Die Schranke am Eingang wurde durch einen Zaun ersetzt, im Wald weisen Schilder auf ein "absolutes Betretungsverbot" hin. "Man kann da nicht aus Versehen reingeraten", sagt Hatt.

Dass zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen nötig sind, bestätigt die Miteigentümerin der Tongrube, Antonie Hartmann: "Überall tauchen jetzt Leute auf und fragen, wo's zum Udo geht." Der Fund der Skelett-Teile habe sie überrascht, sagt sie: "Ich war davor eher von ein paar Muscheln ausgegangen." Nun kämen aber oft Ausflügler in die 2300-Einwohner-Gemeinde, um nach der Grabungsstätte zu suchen: "Die Menschen haben oft eine falsche Vorstellung und denken, da werden ganze Skelette geborgen."

115 verschiedene Arten

Dabei sei es schon etwas Besonderes, einen kompletten Knochen zu finden, sagt Grabungshelferin Melanie Lex. "Dann rennt man gleich zu den anderen, um das zu zeigen." Am häufigsten finde sie Knochensplitter, die sich zunächst oft nicht zuordnen lassen, später aber von Bedeutung sein können. Wie die Stücke eines Halswirbels von einem Ur-Biber, sagt Lex. "Du bist dann der erste Mensch, der das nach elf Millionen Jahren in den Händen hält."

Bis Anfang Oktober will das Forscher-Team in der Tongrube neben Baggern und Lastwagen nach weiteren Zeitgenossen von "Udo" suchen, sofern das Wetter es zulässt. Mehr als 115 Arten haben die Wissenschaftler in der Tongrube schon gefunden. Ein spezielles Ziel gebe es bei der aktuellen Suche nicht, sagt Paläontologin Böhme. "Hauptsache ist, dass das Puzzle wieder kompletter werden kann. Wir graben aus, was kommt - und das ist alles wichtig." (dpa, Frederick Mersi)

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