Kultur

03.12.2010

Der Held ist kein besserer Mensch

Henrik Ibsens „Ein Volksfeind“ am Münchner Volkstheater

Henrik Ibsens Ein Volksfeind, uraufgeführt im Jahr 1883, ist ein Lehrstück über Politik jenseits aller zeithistorischen Bezüge. Im Münchner Volkstheater erhöht Regisseurin Bettina Bruinier des Norwegers grantige Analyse der Manipulationsmöglichkeiten der öffentlichen Meinung zum Mahnmal für eine Demokratie als offenes System.
Im Zentrum steht eine Rede des Kurarztes Tomas Stockmann, die er nicht so sehr an sein fiktives Publikum auf der Bühne, sondern an die Zuschauer in der Volksbühne richtet: Eine Demokratie funktioniert gerade dann nicht, wenn die Bürger alle Verantwortung an die Gewählten abgeben, um sich danach mit Lösungen gesellschaftlicher Probleme nicht mehr belasten zu müssen. Auf diese Weise wird das politische System zunehmend nach oben hin geschlossen, lobbyistisch und postdemokratisch.
Das Theater als Ort des Nachdenkens über gesellschaftliche Entwicklungen: Dafür eignen sich die hellhörigen Ibsen-Texte immer gut. Sie sind seismografische Apparaturen zum Erspüren der Lage. Der Volksfeind handelt von besagtem Kurarzt, der im Kurbad seines Heimatortes krankheitserregende Keime findet. Doch er verschweigt diese Entdeckung nicht zum Wohle der Vaterstadt und ihrer öffentlichen Finanzen, nein, sondern posaunt sie laut hinaus. Das aber wird ihm und den Seinen zum Verhängnis: Der Mann, der die Wahrheit kennt und nicht verschweigt, wird zum Nestbeschmutzer, eben zum Volksfeind, und nach allen Regeln der Kunst von der öffentlichen Meinung fertiggemacht. Die Bürger wollen keine Änderung, weil das teuer ist und unangenehm und das Selbstbild beschädigt. Wichtiger ist Ruhe nach innen und ein intaktes Image nach außen.
Regisseurin Bruinier zeigt die Instrumente, welche die Demokratie hat, um Mehrheiten zu schaffen, vorneweg die Manipulation der Öffentlichkeit. Als Medienvertreter fährt sie den Redakteur Hovstad auf, von Jean-Luc Bubert dargestellt als prinzipienlose und geschmeidig-schmierige Marionette der Macht. Xenia Tilling wiederum gibt die Mittelstandsvertreterin Ruth Aslaksen als graue Maus im Dienst der ökonomischen Selbstsucht, Robin Sondermann den asketischen, durch und durch unterkühlten Bürgermeister als fleischgewordenen Vertreter eines Systems, dem vor nichts mehr graut als vor Veränderungen. Da sind, zeigen die Unterwasser-Videos der Schauspieler (von Kerstin Polte) auf den verschiebbaren Wänden der Bühne (von Markus Karner), alle längst im Blubberwasser der Verhältnisse untergegangen und tun dort unten fortan fröhlich so, als lebten sie in freier Luft.
Dass der Theaterabend dennoch nicht im schlichten Gut-Böse-Konstrukt haften bleibt, dafür sorgt Friedrich Mücke als Tomas Stockmann: Er kommt nämlich nicht als strahlender Held der Wahrheit zum Liebhaben, sondern als eitler Rechthaber, als Querulant daher. Wer im Recht ist, ist deshalb noch kein besserer Mensch. Und der Besitz der Wahrheit macht nicht zwangsläufig sympathisch. (Christian Muggenthaler)

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