Entweder werden charakteristische Lautbildungen von Tieren nachgeahmt, ihre typischen Bewegungen in Rhythmen umgesetzt oder menschliche Eigenschaften wie auf das „schlaue Füchslein“ übertragen – die Komponisten, die so etwas taten, hießen Camille Saint-Saëns, Joseph Haydn oder Leo(s) Janá(c)ek. Wer sich mit der Beziehung „Tier und Mensch“ in der Musik intensiv beschäftigt, ist Martin Ullrich an der Musikhochschule Nürnberg – er ist dort Professor für „Human-Animal Studies“ und stellt fest: „Der deutschsprachige Diskurs zu Mensch-Tier-Verhältnissen in der Musik ist unheimlich vorangekommen.“ „Biomusicology“ oder „interspecies music“ seien längst in die europäische Wissenschaftsszene eingewandert, es haben weltweit „minding animals conferences“ stattgefunden, und an der Musikhochschule Nürnberg gibt es einen Masterstudiengang mit der interdisziplinären Verbindung von Human-Animal Studies und Artificial Intelligence.
Zudem ist das Thema der musikähnlichen Lautäußerungen von Tieren über den „Tierwohl-Cent“, die Diskussion um die Tötung von Pavianen im Nürnberger Zoo oder über solche Artikel wie „Was die Ziege denkt“ (Süddeutsche Zeitung) dem Alltag auf den Pelz gerückt. Das Thema hat mehr gesellschaftliche Aktualität und praktische Relevanz denn je: Lässt man die Tauben auf das Fensterbrett koten oder versucht man, sie zu verstehen? Oder kann man noch Kalbsschnitzel essen, wenn man weiß, was die Laute des Tieres auf dem Weg zum Schlachthof bedeuten? Ullrich ist über solche Gedanken Veganer geworden.
Die Wahrnehmung von Tieren als ästhetische Subjekte, so bemerkt der Forscher, ist von Vögeln auch auf andere Tierarten übergesprungen: „Bioakustik gibt Tieren, die man bisher für stumm gehalten hat, eine Stimme.“ Und die technischen Mittel seien heute so weit gediehen, dass man unter Verwendung einer höheren Hertz-Zahl auch das Singen von Mäusen hören und es in Vogelgesang transkribieren kann.
Was Ullrich im Moment schwerpunktmäßig interessiert, ist die Rolle von „blue humanities“: Er meint damit nicht nur Wale und Delfine (da ist die Forschung schon weit voran), sondern auch andere Meeresbewohner. „Stumm wie ein Fisch, das gilt heute nicht mehr“, sagt er, und man könne heute „sound scapes“ hören, in denen diese maritimen Tiere leben. „Wenn man in angegriffene Korallenriffe den Klang von gesunden einspielt, lockt man die Fische wieder an und trägt zur Gesundung des Riffs bei“, erklärt Ullrich.
Folgen für die Umwelt
Er rückt damit auch seine eigene wissenschaftliche Tätigkeit zurecht: „Ich sehe mich im Umfeld des Interdisziplinären. Es geht mir nicht nur um ästhetische Reize, sondern auch um die Konsequenzen für den Zustand unserer Umwelt.“ Deshalb hat er im vergangenen Jahr bei der Tagung „Künstlerisches Handeln in Krisenzeiten“ (Essen) mit seiner Kollegin Susanne Heiter über „Musik und Klimawandel“ im Rahmen des Diskurses über Nachhaltigkeit referiert. Ullrich und die Nürnberger Musikhochschule bewegen sich „stark in diesem Bereich“, sagt er – auch praktisch bei einem wöchentlichen Jour fixe mit Studierenden und der Verwaltung zu alltäglichen Nachhaltigkeitsfragen.
An der Nürnberger Hochschule läuft der kombinierte Studiengang Human-Animal Studies und künstliche Intelligenz komplett in Englisch, ist weitgehend online studierbar und hat durch den pandemiebedingten Lockdown einen Schub auch beim Interesse der Bachelorstudent*innen erfahren. Und so kümmert sich Ullrich derzeit auch um solch praktische Fragen wie das neue Promotionsrecht, die Online-Studienkonferenzen und Lernplattformen.
In seiner Forschungsarbeit geht es aktuell beispielsweise um eine wissenschaftliche Untersuchung des (bekannten) Problems: „Geben Kühe bei Musik mehr Milch?“ So plakativ einfach, wie man meint, ist das Thema nämlich nicht, es tut sich ein Kosmos an Fragen auf: Welche Rolle spielen zusätzliche Hintergrundgeräusche, wie oft muss man Musik vorspielen, welche Instrumente hören Kühe besonders gut?
Und es steht die spannende Frage im Raum: Ist Musik wirklich etwas exklusiv Menschliches, oder können andere Wesen auch „ästhetisch“ produzieren? Ansätze zu diesem Spezialaspekt gibt es gerade im Bereich „blue humanities“ und in Verbindung zur künstlichen Intelligenz als wissenschaftlichem Werkzeug: Man diskutiert nicht mehr, ob Wale überhaupt sprechen, sondern wie man „Walisch“ sprechen lernt, um zu einer Interaktion zu kommen. Ullrich: „Sie können singen, pfeifen und ihre Namen artikulieren.“
Meistens aber werde bei den Tieren, die einem sympathischer erscheinen geforscht, bei den Tieren aus der industriellen Massenhierhaltung“ höre man dagegen weniger gerne hin. „Ich glaube, dass der stärker werdende Wissenschaftstrend, den Tieren zuzuhören, dazu beitragen kann, dass sich die Lebensverhältnisse von Tieren verbessern.“ Dabei betont Martin Ullrich, dass er mit seinen Untersuchungen keinesfalls als Redner auf Parteitagen auftreten will, sondern Musik- und Naturwissenschaften immer mehr verzahnen möchte, dass er sich vornehmlich mit Tieren als „Produzenten von Ästhetik und Musik“ und darüber hinaus mit den gemeinsamen Ursprüngen menschlichen und tierischen Musizierverhaltens beschäftigt. (Uwe Mitsching)
Abbildung: Wenn es um die Mensch-Tier-Beziehungen geht, setzt Martin Ullrich vor allem auf interdisziplinäre Forschung. (Foto: Elisabeth Thoma/LEONARDO)
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