Politik

Selbstständige sollen künftig eine „armutsfeste Altersvorsorge“ nachweisen müssen, fordert Thomas Goppel, Landesvorsitzender der Senioren-Union (CSU). (Foto: dpa)

22.07.2016

Die Lasten der Allgemeinheit

Es herrscht Einigkeit: Eine Rentenpflicht für Selbstständige muss her – aber wie soll diese aussehen?

Eigentlich sind sich alle wunderbar einig. Auch Selbstständige sollen künftig verpflichtet werden, fürs Alter vorzusorgen. Mit ihrem jüngsten Vorstoß in diese Richtung rennen die Experten von CDU/CSU nicht nur bei Gewerkschaften und Arbeitgebern offene Türen ein, sondern sogar bei der FDP: „Selbstständige sind genauso von Altersarmut bedroht wie abhängig Beschäftigte. Sie sollten deshalb verpflichtet werden, für ihr Alter vorzusorgen“, sagt FDP-Landeschef Albert Duin. Doch wie so eine Vorsorge aussehen könnte, ist noch längst nicht ausgemacht. Selbstständige sollten in keinem Fall in die gesetzliche Rentenkasse einzahlen müssen, sondern die Form ihrer Altersvorsorge selbst wählen können, betont Duin. Und um Unternehmensgründungen nicht zu erschweren, „sollen Gründer für die ersten fünf Jahre von der Vorsorgepflicht befreit werden“. Der Bund der Selbstständigen sieht das ähnlich. „Selbstständige müssen auch bei der Wahl ihrer Altersvorsorge selbstständig bleiben dürfen“, mahnt Marco Altinger, bayerischer BDS-Präsident: „Wieder eine neue gesetzliche Grundlage und damit mehr Bürokratie brauchen wir nicht.“ Es sei aber ohne Zweifel auch für Selbstständige sinnvoll, fürs Alter vorzusorgen. Um dies zu fördern, fordert Altinger Steuererleichterungen.

Sollen Selbstständige in die gesetzliche Kasse einzahlen?

Auch die Rentenexperten von CDU/CSU wollen den Selbstständigen zwar die Wahl lassen, ob sie in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen oder privat vorsorgen. In jedem Fall sollen sie aber eine „armutsfeste Altersvorsorge“ künftig nachweisen müssen. Das hält auch Thomas Goppel (CSU), Landesvorsitzender der Senioren-Union, für sinnvoll: „Es darf nicht sein, dass Selbstständige während des Erwerbslebens nicht für das Alter vorsorgen und dann später dem Staat auf der Tasche liegen. Dies wäre eine nicht zu rechtfertigende Ungerechtigkeit gegenüber den gesetzlich Versicherten.“ Das Solidaritätsprinzip bedroht sieht auch Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft. „Das muss mit einer entsprechenden Regelung unterbunden werden“, fordert er.

Für Matthias Jena, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Bayern kommt hinzu, dass es künftig mehr Selbstständige geben wird: „Es ist zu vermuten, dass die viel zitierte Digitalisierung zu einer Ausweitung dieser Beschäftigungsformen führt“, betont er. Jena lässt dabei aber durchaus durchblicken, dass er die gesetzliche Rentenversicherung ohne weitere Wahlmöglichkeiten vorziehen würde. Die Erfahrungen mit privatwirtschaftlicher Absicherung, zum Beispiel der Riester-Rente, seien eher negativ gewesen: „Intransparente Produkte, hohe Kosten und wenig Rendite.“ Und dies werde in Zeiten des Niedrigzinses nicht besser.

Ein wenig differenzierter sehen das die Grünen. Kerstin Celina, arbeitsmarktpolitische Sprecherin ihrer Landtagsfraktion, plädiert dafür, „mindestens all die, die nicht dauerhaft und ausreichend in eigene Vorsorge investieren können, verpflichtend in der gesetzlichen Rentenversicherung zu versichern“. Es greife allerdings zu kurz, sagt Celina, nur auf die Rente der Selbstständigen zu schauen. „Rentenpolitik hängt immer auch mit Arbeitsmarktpolitik zusammen. Das darf man in der jetzigen Debatte nicht aus den Augen verlieren.“

Selbstständige in die gesetzliche Rentenversicherung zu zwingen – davor warnt die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) dagegen ausdrücklich – auch wenn sie für eine Vorsorgepflicht ist. „Dadurch würden neue Finanzierungslasten für die gesetzliche Rentenversicherung geschaffen, obwohl deren Finanzierungsbasis angesichts der demografischen Entwicklung schrumpfen wird“, sagt ein BDA-Sprecher der Staatszeitung. Zu befürchten sei, „dass die zusätzlichen Einnahmen sofort wieder für Leistungsausweitungen verwendet werden, obwohl diesen Ansprüchen langfristig zusätzliche Leistungsansprüche entgegenstehen.“ Damit würde die nachhaltige Finanzierbarkeit der gesetzlichen Rentenversicherung sogar geschwächt.

Ringen werden Politik und Wirtschaft also nicht mehr darum, ob Millionen Selbstständige künftig vorsorgen sollen – sondern wie und in welcher Höhe. Wandern die zusätzlichen Beiträge in die Kassen der gesetzlichen Rentenversicherung oder in die der Versicherungswirtschaft? Oder in beide? Und was muss eine „armutsfeste“ Altersvorsorge jenseits der gesetzlichen Rentenversicherung eigentlich erfüllen? Darüber lässt sich jetzt trefflich streiten. (Jan Dermietzel)

Kommentare (2)

  1. Nobbi am 22.07.2016
    Nicht nur Selbständige sollten Sozialbeiträge zahlen, auch Arbeitgeber und vor allem Beamte müssten in die Sozialsysteme mit einzahlen und vergleichbare Pensionen (nicht mehr 71% vom LETZTEN Gehalt) wie die Arbeitnehmer Rente bekommen! Dann ist das Problem für die nächsten Generationen gelöst und die Renten werden wieder sicher! --> also junge Bürger, ran an den Speck und nicht nur "Pokemon Go" spielen!
  2. Gunter am 22.07.2016
    Eine sehr informative, nüchterne Übersicht über die Positionen und eine realistische Einschätzung, dass es jetzt um Gestaltungsfragen geht. - So was liest man heute selten! DANKE!
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