Ausschreibung und Vergabe

Rund 200 Teilnehmer aus öffentlichen Einrichtungen sowie der Wirtschaft kamen zum vierten Vergabetag Bayern. (Foto: ABZ)

26.08.2016

Die E-Vergabe: Ein heißes Eisen

Vierter Vergabetag 2016 des Auftragsberatungszentrums Bayern

Mit dem Ziel, das europäische Vergaberecht zu vereinfachen und zu verschlanken, hat die EU-Kommission im Jahr 2014 Richtlinien zur Modernisierung der vorhandenen Vergaberichtlinien sowie eine neue “Konzessionsrichtlinie“ erlassen. Die EU-Mitgliedstaaten hatten zwei Jahre Zeit, die Richtlinien in nationales Recht umzusetzen. Am 18. April dieses Jahres ist in Deutschland das reformierte Vergaberecht in Kraft getreten. Aus diesem Anlass fand früher als üblich bereits am 6. Juli 2016 in München der vierte Vergabetag Bayern statt. Organisiert wurde die Veranstaltung vom Auftragsberatungszentrum Bayern e. V. (ABZ) in Kooperation mit der Bayerischen Architektenkammer und der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau. Rund 200 Teilnehmer aus öffentlichen Einrichtungen sowie der Wirtschaft waren zugegen, um sich im Rahmen von Vorträgen sowie Kurz- und Intensivworkshops über die neuesten Änderungen im Vergaberecht im Bereich oberhalb der EU-Schwellenwerte zu informieren.

Geschichtliche Entwicklung der Vergaberechtsreform


In seiner Begrüßung ging Joachim Burk, Geschäftsführer des ABZ Bayern, auf die geschichtliche Entwicklung sowie die wesentlichen Punkte der Vergaberechtsreform ein. Deutschland sei einer der wenigen Mitgliedstaaten, welche die EU-Vergaberichtlinien pünktlich umgesetzt hätten. Es handele sich dabei um die umfassendste Reform des Vergaberechts in den letzten zehn Jahren. Die Regelungen zur Vergabe öffentlicher Aufträge seien hierfür grundlegend überarbeitet worden.
Gleich zu Beginn der Veranstaltung informierten Vertreter der Bundesministerien die Teilnehmer über den Prozess der Umsetzung der EU-Richtlinien in nationales Recht.

„Eins-zu-Eins-Umsetzung“ der Richtlinien


Regierungsdirektorin Daniela Hein-Dittrich vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie erläuterte in ihrem Vortrag „Das neue EU-Vergaberecht in Deutschland“, dass sich die Änderung der vergaberechtlichen Regelungen im Oberschwellenbereich grundsätzlich an dem Ziel einer „Eins-zu-Eins-Umsetzung“ der Richtlinien orientiere. Durch das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts sei der Teil 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) im Hinblick auf Struktur und Inhalte umfassend überarbeitet, mit der Verordnung zur Modernisierung des Vergaberechts die Vergabeverordnung (VgV) völlig neu konzipiert, die Sektorenverordnung geändert und eine neue Konzessionsvergabeverordnung sowie Vergabestatistikverordnung eingeführt worden. Der neue Teil 4 des GWB umfasse die wesentlichen Vorgaben zur Vergabe von öffentlichen Aufträgen und von Konzessionen. Um die praktische Anwendung des Gesetzes zu erleichtern, werde der Ablauf des Vergabeverfahrens erstmals im Gesetz von der Leistungsbeschreibung über die Prüfung von Ausschlussgründen, die Eignungsprüfung, den Zuschlag bis hin zu den Bedingungen für die Ausführung des Auftrags vorgezeichnet. Die Einzelheiten zum Vergabeverfahren und die Ausgestaltung der im GWB angelegten Begriffe fänden sich auf der Verordnungsebene. Der 2. Abschnitt des Teils A der Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen und die Vergabeordnung für freiberufliche Dienstleistungen seien weggefallen und umfänglich in die VgV integriert worden. Eine wichtige Konsequenz daraus: die VgV wird zum Hauptregelungswerk für Auftraggeber bei der Vorbereitung und Durchführung von EU-weiten Vergaben im Liefer- und Dienstleistungsbereich. Im Ergebnis schafft die Modernisierung des Vergaberechts bedeutend mehr Rechtssicherheit, sorgt für mehr Effizienz im Vergabeprozess und stärkt die strategische Beschaffung.

Ministerialrat Reinhard Janssen, Leiter des Referats Recht des Bauwesens und Öffentliches Auftragswesen im Bundesumweltministerium, referierte sodann zu den „Neuerungen und Änderungen bei europaweiten Ausschreibungen von Bau- und Planungsleistungen“. Anders als bei Ausschreibungen im Liefer- und Dienstleistungsbereich habe man im Baubereich die VOB/A in Gänze beibehalten. Der 2. Abschnitt der VOB/A wurde umfassend geändert und an die Anforderungen der EU-Richtlinien angepasst, teilweise durch eigene Regelungen in der VOB/A, teilweise durch wortgetreue Wiedergabe der Bestimmungen im GWB oder der VgV, teilweise durch Verweis auf dortige Regelungen. Der 1. Abschnitt sei hinsichtlich seiner Struktur ebenfalls geändert und an die neue Struktur des 2. Abschnitts angepasst worden, um insbesondere systematische Widersprüche zu vermeiden. Auf einige Besonderheiten ging Janssen explizit ein, wie etwa eine teilweise Rückkehr zum Selbstausführungsgebot sowie die Möglichkeit, Nebenangebote auch bei reinen Preiswettbewerben zu akzeptieren. Zudem gab er einen Ausblick auf die möglichen und auch notwendigen Änderungen im Unterschwellenbereich.

Auseinanderdriften bei Vergaben


„Vergaben unterhalb der Schwellenwerte – Gibt es ein Auseinanderdriften bei nationalen und EU-weiten Vergaben“ – den Titel seines Vortrags stellte Ministerialrat Stefan Gerbracht vom Bayerischen Wirtschaftsministerium gleich zu Beginn richtig. Sinnvoller sei es, von einer „Angleichung“ bei nationalen und EU-weiten Vergaben zu sprechen. Da das Gros der Ausschreibungen nach wie vor im Unterschwellenbereich stattfindet (rund 86 Prozent aller Auftragsvergaben), müsse dringend eine Angleichung der Regelungen erfolgen. Soeben von einer Sitzung des informellen Expertenkreises beim BMWi zurückgekehrt, berichtete Gerbracht, dass nun bundeseinheitliche Regelungen angestrebt würden, die sich an der Struktur der VgV orientieren und im Bereich der Liefer- und Dienstleistungen den 1. Abschnitt der VOL/A ersetzen sollen. Sodann würden auch die bayerischen Regelungen angepasst. Zu klären sei insbesondere noch, ob die Begrifflichkeiten aus der VOL/A beibehalten werden, ob es eine Wahlfreiheit zwischen öffentlicher Ausschreibung und beschränkter Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb geben wird, ob verbindliche Vorgaben zur elektronischen Kommunikation kommen, ob die Ausnahmen aus dem GWB insbesondere für öffentlich – öffentliche Zusammenarbeit übernommen werden sowie, ob es Sonderregelungen für freiberufliche Leistungen und soziale Dienstleistungen gibt.

„Seltsame Blüten“ im neuen Vergaberecht


Zu „neuen Grenzen des und innerhalb des Vergaberechts“ referierte im Folgenden Professor Martin Burgi von der Forschungsstelle für Vergaberecht und Verwaltungskooperationen an der LMU München. In seinem Vortrag befasste er sich unter anderem mit einigen „seltsamen Blüten“, die das neue Vergaberecht treibt, wie etwa die Frage, ob die Vergabe von Standplätzen auf Märkten neuerdings dem Vergaberecht unterfällt. So werde neuerdings behauptet, mit Inkrafttreten der KonzVgV sei die Vergabe von Standplätzen auf Märkten in bestimmten Fällen eine ausschreibungspflichtige Konzessionsvergabe. Eine These, die von Burgi in seinem Vortrag bestritten wurde.

Norbert Portz, Beigeordneter beim Deutscher Städte- und Gemeindebund, war eigens von Bonn nach München gereist, um in seinem Vortrag „Inhouse-Vergaben, interkommunale Zusammenarbeit und gemeinsame Beschaffung“ über die Neuerungen zu sprechen, die sich in diesem Bereich durch die Vergaberechtsreform ergeben haben. Wichtigste Aussage: Die bislang nur durch die Rechtsprechung des EuGH bestätigte Möglichkeit der Innerstate-Vergabe durch Inhouse-Geschäfte oder öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit ist erstmalig durch Regelungen in § 108 GWB vergaberechtlich kodifiziert worden und trägt damit zu mehr Klarheit und Rechtssicherheit für die öffentliche Hand bei.
Im Rahmen von fünf Kurz-Workshops hatten die Teilnehmer Gelegenheit, sich mit einzelnen Aspekten der Vergaberechtsreform im Detail auseinanderzusetzen.

Innovative Aspekte berücksichtigen


Rechtsanwalt Tobias Schneider berichtete in seinem Workshop „Innovationswettbewerb statt Preiskampf – Die Berücksichtigung innovativer Aspekte nach neuem Vergaberecht“ insbesondere über das neue Instrument der Innovationspartnerschaft, wenn es um die Entwicklung eines innovativen Produkts beziehungsweise einer innovativen Dienst- oder Bauleistung und den anschließenden Erwerb der daraus hervorgehenden Lieferungen, Dienst- oder Bauleistungen geht. Die Teilnehmer erfuhren Details zum Ablauf des Verfahrens, insbesondere zu Themen wie „Geheimhaltungsgrundsatz“, „Mehrstufigkeit“ oder „Bewerberauswahl“.

Wie man durch die Einrichtung einer zentralen Vergabestelle fachliche Kompetenzen bündeln und Vergabeverfahren einfacher und kosteneffektiver durchführen kann, war Teil eines Kurzworkshops zum „Aufbau einer Zentralen Vergabestelle“, den Elke Lienke vom Bayerischen Landesamt für Umwelt bestritt. Mit mehreren Checklisten wurden die Teilnehmer für die Aspekte der Zuständigkeit, der Personalauswahl, der Organisation sowie der erforderlichen Instrumente und Werkzeuge für den Aufbau und Betrieb einer zentralen Vergabestelle sowie diesbezügliche Probleme und Erfolgsfaktoren sensibilisiert.

Neu geregelt: Vergabe von Dienstleistungskonzessionen


Eine absolute Neuerung im Vergaberecht ist die Einführung vergaberechtlicher Regelungen zur Vergabe von Dienstleistungskonzessionen. Insofern lag es auf der Hand, einen Kurzworkshop zum Thema „Die Vergabe von Konzessionen nach der neuen Konzessionsverordnung (KonzVgV)“ durchzuführen. Rechtsanwalt Felix Siebler nahm sich dabei insbesondere dem Anwendungsbereich für Dienstleistungskonzessionen anhand von Beispielen, der Legaldefinition der Dienstleitungskonzession sowie der Abgrenzung zwischen Dienstleistungskonzession und Dienstleistungsauftrag an. Eingegangen wurde dabei insbesondere auf die Übernahme eines Betriebsrisikos durch den Konzessionsnehmer. Auch Spielräume bei der Durchführung des Vergabeverfahrens sowie der auf die Dienstleistungskonzessionen erweiterte Rechtsschutz wurden thematisiert.

Berücksichtigt wurde die Vergaberechtsreform auch bei der Überarbeitung der einschlägigen Vergabehandbücher und Musterformulare des Freistaats. Gisela Karl, Bauoberrätin bei der Obersten Baubehörde im Bayerischen Innenministerium, erläuterte anhand einer Auswahl von Formblättern die „Neuerungen und Anwendungsbereiche bei den Formblättern des Vergabehandbuchs Bayern für Bauleistungen“. Hervorzuheben ist der wichtige Hinweis von Gisela Karl, bei der Nutzung der Formblätter die jeweils gültige ZIP-Datei, welche auf der Webseite des Innenministeriums bereitgestellt wird, zu verwenden, um die Aktualität der Formblätter sicherzustellen. Wer immer up-to-date sein will, dem sei ein Abonnement des Newsletters empfohlen, mit dem regelmäßig über Neuerungen in den Handbüchern und Formularen hingewiesen wird.

Gründe für die Aufhebung eines Verfahrens nennen


Angelika Höß, stellvertretende Geschäftsführerin des ABZ Bayern, informierte die Teilnehmer ihres Kurzworkshops über „EEE, e-Notices (EU-Standardformulare) und e-Certis“. Eine Änderung im Vergleich zu früher ist beispielsweise, dass die Aufhebung eines Vergabeverfahrens jetzt mit Angabe der Gründe über das Formular „Bekanntmachung über vergebene Aufträge“ zu veröffentlichen ist.

Ein für besonders intensive Diskussionen prädestinierter Aspekt der Vergaberechtsreform ist die schrittweise Einführung einer vollelektronischen Vergabe bis Oktober 2018. Spätestens ab diesem Zeitpunkt müssen sämtliche Verfahren oberhalb der EU-Schwellenwerte von Anfang bis Ende elektronisch durchgeführt werden. Diesem „heißen Eisen“ widmeten sich Rechtsanwalt Alik Dörn sowie Bauoberrätin Gisela Karl in ihrem Vortrag „Rechtliche und technische Aspekte der E-Vergabe“. Während Dörn insbesondere auf die rechtlichen Anforderungen im Hinblick auf den einzuhaltenden Zeitplan, den Umfang der Bereitstellung der Unterlagen sowie auf das Thema E-Vergabe und Nachprüfungsverfahren einging, widmete sich Elke Karl den praktischen Aspekten der E-Vergabe und der Frage, welche Maßnahmen öffentliche Auftraggeber ergreifen müssen, um den rechtlichen Anforderungen an elektronische Verfahrensabläufe gerecht zu werden.

Rege Diskussionen um die elektronische Vergabe


Ein Thema, das bei den vorherigen Beiträgen bereits zu regen Diskussionen führte, war die vollständige und unentgeltliche Bereitstellung der Vergabeunterlagen in elektronischer Form. So war es naheliegend, auch im Rahmen der Podiumsdiskussion mit den Diskutanten über die Folgen dieser Neuerung zu sprechen. Rechtsanwalt Mathias Mantler führte die Idee ein, zukünftig – sofern möglich – verstärkt von dem neuen sogenannten „Interessenbekundungsverfahren“ Gebrauch zu machen, um insbesondere bei Vergabeunterlagen mit sensiblen Inhalten die Pflicht zur Offenlegung an alle zu umgehen. Ein solches Verfahren ist möglich, sofern der Auftraggeber eine Vorinformation veröffentlicht hat und dort bereits interessierte Firmen zur Abgabe von Interessenbekundungen aufgerufen hat. Der Auftraggeber kann im Folgenden nur diejenigen zur Abgabe von Bewerbungen im Teilnahmewettbewerb auffordern, die im Vorfeld ihr Interesse bekundet haben. Dieses Verfahren ist allerdings nur bei nicht offenen Verfahren und Verhandlungsverfahren möglich. Auch die Einrichtung einer zentralen Vergabestelle war Thema der Podiumsdiskussion.

Unterstützerin und Kontrolleurin zugleich


Elke Lienke vom Bayerischen Landesamt für Umwelt berichtete aus ihren Erfahrungen und davon, was es heißt, Unterstützerin bei vergaberechtlichen Problemen und Kontrolleurin zugleich zu sein. Kerstin Stuber, Direktorin beim Bayerischen Gemeindetag, nannte einige Aspekte des neuen Vergaberechts, die bei kommunalen Auftraggebern derzeit zu Rechtsunsicherheiten führen, wie etwa die vergaberechtliche Behandlung von Dienstleistungskonzessionen, wo insbesondere die Ermittlung des Auftragswertes für die Frage, ob der Schwellenwert erreicht ist, Kopfzerbrechen bereitet oder aber auch die Ermittlung derjenigen Leistungen, die zukünftig als soziale oder andere besondere Dienstleistungen einem Sonderregime unterfallen. Die Frage, ob er denn schon ein Nachprüfungsverfahren nach „neuem Vergaberecht“ auf den Tisch bekommen habe, verneinte Matthias Steck, Vorsitzender der Vergabekammer Südbayern. Er warte aber schon mit Spannung darauf. Befragt wurde Steck auch zu möglichen Unsicherheiten in Bezug auf die neue Rügefrist in § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB, wonach eine Rüge nicht mehr „unverzüglich“ sondern innerhalb einer Frist von zehn Kalendertagen erfolgen muss. Hier bestünde zwar nach wie vor eine gewisse Ungewissheit im Hinblick auf den Zeitpunkt der Kenntnis, an diesen Zeitpunkt seien aber ohnehin keine zu hohen Anforderungen zu stellen.

Der 5. Vergabetag Bayern wird voraussichtlich im Sommer 2017 stattfinden.

(Anna Schlange-Schöningen)

(Die Autorin ist Projektleiterin im Auftragsberatungszentrum Bayern e. V.)

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