Bauen

Das neue Kulturzentrum. (Foto: Ursula Wiegand)

20.01.2017

Die Messlatte liegt hoch

Athen: Von der Antike zur Moderne

Der erste Blick hinauf zur Akropolis packt die Betrachter sofort. Der Parthenon dort oben übertrifft alle Erwartungen. Dass jedoch intensiv an diesem mehr als 2500 Jahre alten Juwel gewerkelt wird, ist schon von unten zu sehen, mindert aber nicht den großartigen Gesamteindruck. Zu verdanken ist dieser der Göttin Pallas Athene geweihte Tempel dem Staatsmann Perikles. Bauleiter war der Bildhauer Phidias, für Planung und Statik waren die Architekten Iktinos und Kallikrates verantwortlich. Durch den Einsatz zahlloser Arbeitskräfte wurde der 447 v. Chr. begonnene Bau in nur neun Jahren fertig und diente bald nicht nur dem Beten, sondern auch der Verwahrung des Staatsschatzes. Für den Aufstieg lohnt sich der kleine Umweg durch das Beulé-Tor und die Propyläen. Beim Parthenon angekommen zeigt sich, wie viel noch zu tun ist. Titan soll die Tragfähigkeit der 42 dorischen Marmorsäulen sichern. Bei heutigen Restaurierungsarbeiten bleiben die Ausbesserungen und Einfügungen jedoch erkennbar. Und unvorstellbar wäre es, man würde alles anpinseln, waren doch die antiken Bauten und Skulpturen ursprünglich bunt. Ein Schmuckstück ist das von 421 bis 406 v. Chr. erbaute Erechtheion gegenüber vom Parthenon. Schon wegen der Korenhalle mit den eleganten Damen. Das Knie unterm faltenreichen Gewand leicht angewinkelt, tragen die Schönen, Karyatiden genannt, leger das Hallendach. Die jetzigen sind allerdings Repliken. Die Originale wurden nach der 1986 beendeten Restaurierung ins Akropolis-Museum gebracht, um sie vor weiterem Verfall zu schützen. Dass das Erechtheion im 7. Jahrhundert zur Kirche und im Osmanischen Reich zum Harem umfunktioniert wurde, hat diese antike Kostbarkeit gerettet. Auch dem Hephaistos-Tempel aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. drunten auf der Agora, dem antiken Marktplatz, kam die spätere Nutzung als Kirche zugute. Nun ist er der besterhaltene ganz Griechenlands. Seine 34 dorischen Säulen zeigen wenig Flickstellen. Auf der Rückseite ist drinnen noch ein Fries über einem Portal zu sehen. Der robuste Turm der Winde (1. Jahrhundert v.Chr.) hat ebenfalls den Zeiten getrotzt, während vom jüngeren Zeus-Tempel nur noch einige Säulen emporragen.
Wenn in der Altstadt gegraben wird, kommen fast immer Relikte zum Vorschein. Dass die Bahn darüber wegrattert, wundert niemanden. Das große historische Erbe ist für die Athener kein totes Gestein. Die 115 Meter lange Stoa im Westteil des Markts wurde komplett wieder aufgebaut, beherbergt ein Museum und wird bei Staatsanlässen genutzt. Und höchst beliebt sind die sommerlichen Open-Air-Aufführungen im Odeon des Herodes Atticus (161 n.Chr.), das Geschenk eines reichen Bürgers an seine Stadt. Die antiken Bauten begeisterten auch den bayerischen Prinzen Otto, den das Parlament zum ersten König Griechenlands wählte. In seiner Regierungszeit (1832 bis 1862) ließ er 1842 die Universität errichten und 1856 die Akademie. 1891 entstand die Nationalbibliothek. Alle drei Gebäude – stolz „Athener Trilogie“ genannt – wurden aus Pentelischem Marmor errichtet wie die Bauten auf der Akropolis. Architekten waren die dänischen Brüder Hans Christian und Theophil Hansen sowie der Österreicher Erich Ziller, die unter anderem bei Karl Friedrich Schinkel studiert hatten.
Stolz sind die Griechen auch auf ihre alten Gotteshäuser und schützen sie vor dem Abriss. Unverdrossen steht die ehemalige orthodoxe Kathedrale, die kleine Mitropolis aus dem 13. Jahrhundert, neben der 1862 geweihten (und gerade frisch restaurierten) großen Kathedrale Mariä Verkündigung. Das Kirchlein Agia Dinami aus dem 17. Jahrhundert duckt sich nun zwischen den Stelzen eines hohen Gebäudes. Auf Stelzen stellte der Architekt Bernard Tschumi auch das neue Akropolis Museum, sollte es doch wegen weiterer Grabungen den Erdboden nicht berühren. Was gefunden wurde, lässt sich unter dem Museum betrachten. Der Clou ist jedoch ein anderer. In der von außen dunkel wirkenden Verglasung spiegelt sich der Parthenon droben auf dem Berg. Das sehend seien Bernard Tschumi bei der Eröffnung des lange umstrittenen Baus die Tränen übers Gesicht gelaufen, berichtet Rena aus Ruhpolding, die seit 27 Jahren in Athen lebt. Inzwischen schätzen die zunächst fremdelnden Athener dieses moderne, exakt „durchkomponierte“ Museum, das ihre große Vergangenheit exemplarisch vor Augen führt und zahllose internationale Besucher anlockt. Durch die Glasfront können alle von drinnen hinauf zum Parthenon blicken. Tschumi ist diese Verzahnung gelungen. Im Parthenon-Saal sind die Marmor-Skulpturen zu sehen, die einst diesen Tempel schmückten. Leere Stellen und weiße Gips-Repliken erinnern an die Originale, die Lord Elgin – Botschafter im damaligen Osmanischen Reich – mit einer weit ausgelegten Erlaubnis von Sultan Selim III. rüde vom Parthenon abschlagen ließ und von 1801 bis 1805 nach England verschiffte. 1816 verkaufte er sie an das British Museum in London, wo sie seither zu den größten Schätzen gehören. Vergeblich hat Athen bisher die Rückgabe gefordert.

Aus Vision wurde Realität


Für heutige Architekten liegt angesichts der antiken Bauten die Messlatte in Athen hoch. Doch genau wie Bernard Tschumi hat der Pritzker-Preisträger Renzo Piano – Gewinner eines internationalen Wettbewerbs – diese Hürde mit seinem Entwurf für das neue Kulturzentrum der Stavros Niarchos Foundation (SNFCC) bestens genommen. 2006 begannen die Planungen für das rund 18 Hektar große Gelände im Stadtteil Kallithea. „Das war zur Müllhalde geworden“, erzählt Elpidoforos Pappas, Deputy Project Director, der dann als Bau-Manager fungierte. Dieser Anblick schockierte Renzo Piano jedoch nicht. „Lasst uns den schönen Anblick wiedergewinnen und das Meer hierhin zurückbringen“, war seine Vision und die ist zur Realität geworden. Ein Hügel wurde aufgeschüttet und von den Landschaftsdesignern Deborah Nevins & Associates ein Park mit Mittelmeerflora angelegt. Der führt zum Kulturzentrum, dessen Dach aus dieser Perspektive zu schweben scheint und an Mies van der Rohes Neue Nationalgalerie in Berlin erinnert. Beim frontalen Blick über den von Renzo Piano projektierten 400 Meter langen, segeltauglichen Meerwasser-Kanal fallen die großzügigen Glasfronten des dreiteiligen Baus auf. Sie leiten Athens Sonne ins Gebäude und gestatten von drinnen einen Blick in den blauen Himmel.
Das erdbebensichere Kulturzentrum wird Standort der neuen Nationalbibliothek und der neuen Nationaloper. Als Kontrast zur weiß schimmernden Fassade dominieren innen starke Farben. Im großen Opernsaal mit seinen fünf Rängen ist es leuchtendes Rot, in den Lese- und Aufenthaltsräumen sind es bunte Sitzgelegenheiten vor den braunen Regalen. Das mit Solarzellen gepickte Dach macht das Kulturzentrum, von besonderen Events abgesehen, zum Strom-Selbstversorger. Eine beim Flugzeugbau ersonnene Technik sorgt dafür, dass die offene Dachterrasse mitsamt dem Dach allen Stürmen standhält, erklärt die Führerin. Von dort oben geht der Blick auf das Beach-Volley-Stadion und eine zierliche, von Santiago Calatrava konzipierte Fußgängerbrücke. Das Kulturzentrum wird schon für Ausstellungen, Bildungsaktivitäten und diverse Veranstaltungen genutzt, doch wann werden die ersten Opern erklingen? „Irgendwann in 2017“, lautet die Antwort. Die Gesamtkosten von gut 600 Millionen Euro trägt die Stavros Niarchos Foundation, eine nach dem Tod des steinreichen griechischen Reeders gegründete gemeinnützige Stiftung. Das neue Kulturzentrum ist ihr bisher größtes Projekt und erntet bereits Architektur- und Umweltpreise. In diesem Jahr wird es dem griechischen Staat übergeben. Doch schon jetzt hat der Renzo-Piano-Bau den Stadtteil Kallithea aufgewertet und Arbeitsplätze geschaffen. Ein willkommener Mutmacher in schwierigen Zeiten, der durch den erhofften Besucherzustrom zur Konjunktur-Lokomotive für Athen und ganz Griechenland werden soll. (Ursula Wiegand) (Blick auf die Akropolis mit dem Parthenon; die kleine Mitropolis aus dem 13. Jahrhundert; das neue Akropolis-Museum und die Nationalbibliothek - Fotos: Ursula Wiegand)

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