Freizeit und Reise

Freeriden: Spuren in unberührte Hänge ziehen. (Foto: Sepp Mallaun)

19.02.2018

Im Rausch des Tiefschnees

Freeriden an den Schneehängen von Serfaus-Fiss-Ladis

Es war vor einem Jahr, 14. Februar 2017. Valentinstag. Ich hatte den Frühstückstisch mit einem riesigen Blumenstrauß für meine Frau drapiert, als das Telefon meinem Treiben jäh ein Ende bereitete. Unsere gemeinsame Freundin Alexandra war ganz aufgeregt am Hörer: „Frank, ihr müsst kommen. Seit drei Tagen schneit es hier oben auf dem Plateau von Serfaus-Fiss-Ladis unablässig. Und morgen reißt es auf. Ich garantier’s Euch.“ Alexandra und ihren Mann Gregor haben wir vor gut zehn Jahren in einer Heli-Lodge in den Kanadischen Rockies kennengelernt. Seitdem sind sie quasi unsere „privaten“ Powder-Scouts. Wann immer es ihnen möglich ist, sind sie wie die Trüffelschweine in den Alpen unterwegs, auf der Suche nach dem optimalen Pulverschnee zum Freeriden.
„Hallo? Wo bist Du? In Serfaus-Fiss-Ladis? Alex, das sind doch die drei Dörfer in Tirol wo Murmli und Berta die Kinder bespaßen und die sich auf den perfekten Familien Skiurlaub spezialisiert haben. Und da soll man gut Freeriden können?“ Vehement schreitet Alexandra am Handy ein: „Frank, du Banause, die Hänge oberhalb des Hochplateaus sind noch einige der wenigen verbliebenen ’Secret Pearls’ – europaweit. Ein absoluter Geheimtipp in der Freerider Szene. Auf geht’s, wir sehen uns nachher.“ „Schatz, die Blumen verwelken nicht die nächsten Tage“, rufe ich ins Badezimmer. Schnell haben wir uns in Schale geworfen. Aber nicht in Sakko, Krawatte und adrette Pumps, sondern in Skiklamotten. Urplötzlich war es wieder da, mein Lebensmotto: „Ski now – work later.“ Zwei Stunden 30 Minuten später kommen wir von München aus auf dem Parkplatz vor den Toren von Serfaus an. Der Ort auf 1427 Metern über dem Meeresspiegel ist verkehrsberuhigt. Aber es sind nur wenige Schritte bis zur U-Bahnstation „Parkplatz“.

Ein Grinsen im Gesicht

Unglaublich, mitten in den Bergen eine U-Bahn. Und obendrein die kleinste und höchstgelegene der Welt. Mit dieser Dorfbahn fahren wir unterirdisch bis zur Talstation der Seilbahnen Komperdell, wo uns Alexandra und Gregor wie kleine Schneemännchen begrüßen – über und über beträufelt mit feinstem Pulverschnee. Im Skiverleih Check-In geht’s ruckizucki. Zwei Allround-Carver sind schnell gefunden und angepasst. Natürlich nur zum Einfahren – auf der Piste. Trotz des heftigen Schneefalls sind die Hänge perfekt manikürt. Die Sicht lässt etwas zu wünschen übrig. Von daher erst einmal Finger weg von den Varianten, den Tiefschneehängen, die man durch den leichten Schleier des leise rieselnden Schnees erspähen kann. Ein wenig genüssliches Einfahren ist angesagt, um die Knochen schon mal tiefschneegerecht vorzuformen. Rote, blaue und schwarze Pisten – soweit das Auge reicht. Geschwindigkeit ist keine Hexerei. Deshalb geben wir mal so richtig Kante und transformieren uns in einen Rausch der Fliehkräfte. Zwischendurch genehmigen wir uns allerdings mit Alex und Gregor den allseits beliebten und obligatorischen Einkehrschwung. Alex entledigt sich ihres stylischen Kopfschmucks in Form eines mattschwarzen Skihelms. Kann dieses Köpfchen mit den leuchtenden braunen Augen und den leicht geröteten Wangen jemals die Unwahrheit sagen? Sie bemerkt meine Zweifel. „Glaube mir Frank, ich habe für morgen noch mal eine extra große Portion Pulver bestellt. Der Schneegott wird Überstunden und eine ausgedehnte Nachtschicht einlegen. Dann können wir es uns morgen mal wieder richtig Piste-Off geben.“ Alle meine Zweifel gehören abrupt der Vergangenheit an, als sich Alex siegessicher die letzten Kakaoreste von der Oberlippe leckt. Après-ski? No way. Ein deftiges Abendessen aus der Tiroler Küche. Das war’s. Und dann getreu dem Motto meines Vaters gefolgt: „Early to bed and early to rise makes a man healthy, wealthy and wise.“
Der Blick am nächsten Morgen aus dem Hotelzimmer-Fenster jagt uns ein Grinsen ins Gesicht, aus dem im Laufe des Tages noch ein Doppel-Dauergrinsen werden sollte. Alexandra muss zwei heiße Drähte nach da ganz oben haben. Zum Schneemacher im Himmel, der noch mal eine richtige Ladung Powder abgelegt hat – und zum Wettergott. Die Sonne zerreißt uns nämlich fast die Bindehaut. Und die Berggiganten der Samnaun-Gruppe thronen über dieser schon fast kitschigen Bilderbuch-Schneekulisse und durchbohren regelrecht mit ihren höchsten Ausläufern die Himmelspforte. Bewaffnet mit unseren jetzt irrsinnig breiten Tiefschneebrettern begrüßen uns Alex, Gregor und Urs schon scharrend mit den Skistiefeln. Urs, seines Zeichens Ski- und Bergführer der Skischule Fiss-Ladis übergibt jedem ein LVS (Lawinenverschütteten-Suchgerät) und erteilt uns den obligatorischen Einführungs-Lehrgang. Ohne geht nämlich in Tirols Ski-Dimension gar nichts in Sachen Freeriden – zumindest nicht für eine geführte Gruppe. Da wird das Thema Sicherheit ganz groß geschrieben.
Kein Anstehen an der Bahn. Die „Helping Hands“ an der Talstation schieben mit einem galanten Lächeln unsere Tiefschnee-Teile mit den ausladenden Enden in die Skihalte-Vorrichtungen der Gondel und wünschen uns noch einen satten Powder-Tag.

Auf zur „Powder Nose“

Oben genehmigen wir uns noch eine kurze Rundum-Ausschau über die riesige Schneeschüssel von Serfaus-Fiss-Ladis. „Urs“, sage ich vor Freude jauchzend, „da braucht man eigentlich keinen Heli mehr zum Heliskiing.“ Allgemeines, großes Gelächter. Wir sind in unserem Element. Doch Schluss mit philosophieren. Ein Blick auf eine der Freeride-Tafeln im Skigebiet weist uns die schnellsten Einstiegswege, um „Kamikaze-Route“, „Powder Nose“ und „Old Sattel“ zu entern.
Wir fixieren unsere Helme. Ein kurzes „Auf gehts!“ von Urs in gelerntem Österreichisch-Räthoromanischen Dialekt. Sagt’s, dreht ab und schon taucht er in den gut ein Meter tiefen Powder, den es die letzten Tage hier oben abgelegt hat. Die unberührte Südflanke glitzert vor uns wie ein Meer von Diamanten im Gegenlicht. Das ist unser Claim. Wir sind richtig begierig darauf, dem Hang mit unseren breiten Brettern einen ersten Stempel aufzudrücken. Wir stürzen uns in dieses weiße, weiche Niemandsland jenseits der Verpistungen, reihen einen Turn an den anderen. Zöpfchen flechten war einmal zu Alberto Tomba’s Zeiten. Flüssiges Gleiten ist heutzutage angesagt. Scheinbar ohne festen Untergrund surfen wir die leichten Geländewellen ab. Wie ein Astronaut tauchen wir in den Zustand der Schwerelosigkeit ein. Sanft heben sich die breiten Dinger an unseren Füßen aus dem Schnee, wir fliegen und erleben die Welt um uns in Slowmotion oder besser gesagt in Snowmotion. Der Planet Erde mutiert vom harten Gesteinsbrocken zum Softball. Im kuschelweichen Pulver wird unsere Beziehung zu dem Berg immer intimer. Wir traktieren ihn ja auch nicht mit dem gnadenlosen Druck der Stahlkanten, sondern streicheln nur sanft über seine weiten Flanken. Kuscheleinheiten, die jeder Freerider so ganz nebenbei gerne austeilt. Es ist der pure Wahnsinn.
Zzzisch, zzzisch. Der Schnee stiebt über unsere Skibrillen. Wir müssen nach Luft schnappen, sind versunken in eine weiße, heile Welt, in der man sich so wohlig fühlt, wie ein Baby in der Wiege. Jetzt lassen wir die Bretter unter unseren Skistiefeln gehen wie ein zügelloses Pferd. Die feine Gischt im Rücken wird länger und länger. Angst zu stürzen? Weiß Gott nicht. Dann rotiert man halt mal in dem weichen Mikrokosmos wie in der Waschmaschine, nur sind es statt der 60 Grad diesmal wohlige drei Grad. Selten genug hat man die Gelegenheit, die Grenzen seines Fahrkönnens mit weniger Risiko auszuloten als in so einem tiefen Schnee. Und für den Fall der Fälle haben wir ja Urs und unsere Lawinenpiepser dabei.

Brennende Oberschenkel

Die Oberschenkel fangen jetzt langsam an zu brennen. Urs macht eine kleine Pause. Gott sei Dank. Noch vier, fünf Schwünge und wir bleiben neben ihm stehen. Urs nickt anerkennend und freut sich narrisch, dass wir ihm seine Spur nicht kaputt gemacht haben. In weiten Radien wurde der Berg verziert wie eine Sahnetorte. Dieser Ritt war garantiert der Beste, den wir seit Langem in unserem Skifahrerleben absolviert haben. Und wir sind schon vielen den Buckel runtergerutscht. Selbstredend, dass wir das Spiel mit diesem pulvrigen Element noch unzählige Male vollzogen haben.
„Und morgen schlagen wir uns im hinteren Masner Skigebiet ins Abseits. Da könnts auch wieder Heliskiing ohne Heli machen“, schlägt uns Urs beim Abschied noch vor. „Geht nicht. Wir müssen den Blumen frisches Wasser geben und die Arbeit macht sich auch nicht von alleine.“ „Ah geh weider, Frank. „Ski now – work later.“ Und da mussten wir erneut wieder richtig herzhaft lachen. Alexandra druckst noch ein wenig herum – und zieht dann ein weiteres schlagendes Argument für eine kurze Verlängerung aus ihrem Rucksack. Und was für eines. „Morgen stößt noch unser Freund Marc Girardelli zu unserer kleinen wilden Truppe und will sich mit uns ins Abseits schlagen.“ Dass das gesessen hat, kann sich ja wohl jeder denken, oder? Über den Wahnsinns-Freeride-Tag mit einem der besten Skifahrer aller Zeiten werde ich jedoch zu einem anderen Zeitpunkt berichten.
Übrigens, ein Blick auf die neue Freeride-Seite www.feelfree-sfl.at hätte uns schon zu Hause aller Zweifel entledigt, dass Serfaus-Fiss-Ladis nicht nur ein Top-Familienskigebiet, sondern Freeriden definitiv ein großes und neues Thema geworden ist. (Frank Heinzl) (Unterwegs auf den Freeride-Hängen von Serfaus-Fiss-Ladis und ein Info-Point - Fotos: Marco Freudenreich QParks)

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