Freizeit und Reise

Verantwortlich für das bizarre Bild der 150 Jahre alten Bäume des Gespensterwalds von Nienhagen sind der starke Wind und die Meeresluft. (Foto: dpa)

08.09.2017

Vom Gespensterwald zum Riesen-Strandkorb

Noch sind weite Teile der mecklenburgischen Festlandsküste, anders als die Inseln, vom Massentourismus verschont geblieben – aber die Bedrohung wächst

In den Usedomer Kaiserbädern treten sich die Badegäste im Sommer fast gegenseitig platt und auch die Insel Rügen ist inzwischen völlig überlaufen. Doch gibt es entlang der Festlandküste von Mecklenburg-Vorpommern durchaus noch eher unberührte Landstriche. Doch auch sie werden immer stärker vom Massentourismus bedroht. Im kleinen Tante-Emma-Laden des auch nicht sonderlich großen Seebads Nienhagen verkaufen sie sogar einen Krimi-Schmöker rund um dieses eigenartige Stück Forst entlang der Küste westlich von Rostock: Mörder im Gespensterwald heißt das Taschenbuch und der Tat- und Handlungsorte befindet sich nur wenige Gehminuten entfernt. Im hellen Leuchten des wolkenfreien Tags mag der Begriff noch ein wenig marketingtechnisch überhöht wirken. Aber wenn die Sonne hinter dem Horizont im Meer versinkt und sich ein dunkles, von violetten Schatten durchdrungenes Licht über den Landstrich entlang der Ostseeküste legt – dann bekommt der Name durchaus seine Berechtigung: Gruselig und unnahbar wirkt der „Gespensterwald“ dann auf den Betrachter. Erstarrt scheinen die Bäume, die dürren Äste anklagend in die heraufziehende Nacht empor gestreckt. Und obwohl am Tage der hindurchführende Fahrrad- wie auch der Wanderweg stark frequentiert ist, mag man ihn nun lieber von weitem anschauen.

Gegen Luxus-Bauprojekte

Verantwortlich für das bizarre Bild der 150 Jahre alten Bäume des Gespensterwalds, informiert eine Schautafel am Beginn, seien vor allem der starke Wind und die Meeresluft mit ihrem hohen Salzgehalt – harte Lebensbedingungen also für die Bäume. Und auch der Lebensraum ist bedroht, teilt die Schautafel am Waldrand mit: Bis zu 16 Zentimeter trägt der Wind von der Nienhagener Steilküste alljährlich ab. Im Tante-Emma-Laden hat ein Witzbold der älteren Betreiberin mal vorgerechnet, in wie vielen hundert Jahren sie spätestens zusperren müsste. Aber noch steht sie ja, die Küste, und der besagte Radweg geht auch nach dem Gespensterwald weiter, immer am Meer entlang – ein beeindruckender Ausblick und wohl eine der schönste Radlstrecken in ganz Mecklenburg. Der Weg macht einige Biegungen und ab und zu sind am Horizont für den Radler bereits die weißen Villen von Heiligendamm zu erkennen. Vorher führt die Tour aber durch das Seebad Börgerende-Rethwisch. Das ist ebenfalls kein großer Ort. Aber die dortigen Gemeinderäte schaffen es trotzdem, so richtig viel falsch und ihr hübsches Dorf am Meer ästhetisch kaputtzumachen. Unter anderem klotzen sie fünfgeschossige Apartmenthochhäuser an den jahrzehntelang unberührten Strand. Bauherr ist ein Konzern aus den Niederlanden. Die neuen Häuser sind keiner irgendwie gearteten regionalen Architektur verpflichtet, am ehesten noch dem Stil des Brutalismus, nicht schön, aber wenigstens schön teuer, die einzelne Wohnung kostet ab 300 000 Euro aufwärts. Liliputhaft wirkt der Widerstand der Einheimischen mit ihrem Schild, das fordert, kein Hochhaus zu bauen. Man sollte denken, dass nach dem erfolgreichen baulichen Verschandeln von Westerland durch die Sylter die Küstenpolitiker Deutschlands gelernt hätten, aber hier zeigt der Osten, dass er es mit dem Aufholen durchaus ernst meinen kann – koste es, was es wolle. In den Seebädern selbst sind die Strände in der Hochsaison ganz gut voll – dankenswerterweise beschränken sich die Menschen meist auf Strandkörbe oder gar blanke Decken. Die grässlichen Strandschirm-Kohorten haben es noch nicht bis hierher geschafft. Und außerhalb der Ortschaften findet man durchaus nahezu einsame Abschnitte. Nur der Sand ist dort halt nicht ganz so schön und es wird auch nichts bewacht. Aber das Wasser ist überall gleich sauber und lädt zum Schwimmen ein. Die ersten 50 Meter meint man übrigens, es werde überhaupt nicht tief – praktisch für Familien mit kleinen Kindern –, aber plötzlich fällt der Boden dann doch ab. Wer allerdings als nicht ganz so geübter Schwimmer innerhalb der Wellenbrecher bleibt, kann nichts falsch machen. Trotzdem passierten an dieser Küste früher immer wieder private Tragödien. Verantwortlich dafür war die Nähe zur freien Welt: Die internationalen Schifffahrtslinien verlaufen nur acht Kilometer von der Küste entfernt und die holsteinische Insel Fehmarn ist nicht weit entfernt. Das bewog in Zeiten der DDR viele, vor allem junge Menschen, auf diese Weise ihr Glück bei der streng verbotenen „Republikflucht“ zu versuchen. Es war hoch riskant – aber eben nicht ganz so aussichtslos wie die Überwindung der Mauer auf dem Festland. Wenige schafften es, einige ertranken, die meisten wurden von der Stasi und den Grenztruppen vorher geschnappt. An einen von ihnen, einen jungen Erfurter, erinnert eine Tafel am ziemlich gut erhaltenen DDR-Grenzturm von Börgerende-Rethwisch – einem von einst 26 an der ostdeutschen Küste. Fast 16 Stunden trieb der Mann bereits in der kalten Ostsee, als ihn die Behörden am Abend des 17. September 1989 aus dem Wasser zogen. Im zu Bad Doberan gehörenden Heiligendamm, das ein durchschnittlich konditionierter Radler von Nienhagen aus nach einer knappen dreiviertel Stunde erreicht und alle anderen, so sie mögen, mit dem Auto oder einer putzigen historischen Schmalspurbahn, stehen übrigens noch keine solchen Apartmentklötze. Das muss auch nicht sein. Denn dort, im ältesten Seebad an der mecklenburgischen Ostsee – der kranke Herzog Friedrich Franz badetet hier erstmals anno 1793 auf Anraten seines Leibarztes und genas – warten noch viele halb verfallene, wunderschöne Villen darauf, saniert zu werden. Das Ergebnis könnte vielversprechend sein, wenn man den Mittelpunkt des Seebads, das Grand Hotel, als Maßstab nimmt.
Das strahlend weiße Gebäude wurde einer größeren Öffentlichkeit durch den G8-Gipfel von 2007 bekannt, als die Regierungschefs gemeinsam in einem riesigen Strandkorb Platz nahmen. Das Foto ist im Ort präsent und dass seither zehn Jahre vergangen sind, merkt man auch daran, dass von den sitzenden Regierenden außer Angela Merkel und Wladimir Putin längst keiner mehr im Amt ist. Der Mega-Strandkorb mag auch eine Sehenswürdigkeit sein, aber direkt bestaunen dürfen ihn nur die Grand Hotel-Gäste. Alle anderen Neugierigen nerven nämlich inzwischen die Leitung des Hotels – weshalb diese das Areal erfolgreich mit Zäunen abgeschirmt hat. Ungehindert hineingehen darf man jedoch in die beiden kleinen Waldkirchen von Heiligendamm, eine katholische und eine evangelische. Eigentlich sind es eher Kapellen und im besten Zustand sind sie auch nicht. Für eine Generalsanierung, werden die Besucher informiert, habe es leider auch 28 Jahre nach der Wende finanziell noch nicht gereicht, weswegen eine Spende sehr willkommen wäre. Ach, wenn sich nur der bauliche Zustand der Kirchen mit jenem der niederländischen Apartmenthochhäuser tauschen ließe. (André Paul) Abbildung:
Im Jahr 2007 war Bundeskanzlerin Angela Merkel Gastgeberin des G8-Gipfels, der damals im ältesten Seebad Mecklenburgs, in Heiligendamm, ausgetragen wurde. Zum Abschied nahmen alle Regierungschefs in einem speziell montierten Riesen-Strandkorb Platz.    (Foto: dpa)

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