Kommunales

"Vorfahrt beachten!": Markus Dieret von der Polizeiinspektion Zirndorf versucht Syrern, Irakern und Afghanen die Grundregeln der Straßenverkehrsordnung zu vermitteln. (Foto: dpa)

15.01.2018

"Das ist ein Zebrastreifen, kein Zebra"

Wie Asylbewerber in Stadt und Landkreis Fürth fit gemacht werden für den deutschen Straßenverkehr

Zebrastreifen, Vorfahrt achten, rechts vor links - viele Flüchtlinge kennen verbindliche Verkehrsregeln aus ihrer Heimat nicht. Das kann gefährlich werden. Polizisten aus dem Kreis Fürth haben daher ein Projekt gestartet, das bayernweit buchstäblich Schule machen soll.


Markus Dieret blickt in fragende Gesichter. Der Polizist steht mit zwölf jungen Flüchtlingen an einer Kreuzung. "Wer hat denn in Deutschland Vorfahrt, wenn wie hier keine Verkehrszeichen vorhanden sind?", will er von der Gruppe wissen. Die meisten zucken mit den Schultern. "Vielleicht alle auf einmal?", tippt schließlich ein Junge. "Das wäre ja katastrophal", meint Dieret und schmunzelt.

Dieret ist Verkehrserzieher bei der Polizeiinspektion Zirndorf im Landkreis Fürth. Mit seinem Kollegen Bernd Klaski bildet er Schülerlotsen aus und erklärt Grundschülern, wie sie sicher mit dem Rad zur Schule kommen. In ihrer Freizeit haben sie ein bayernweit einmaliges Projekt ins Leben gerufen: Sie bringen Flüchtlingen Verkehrsregeln bei und entwickelten für Schulen, an denen es spezielle Klassen für Flüchtlinge gibt, eine Übungsbox - die "Ü-Box".

"Rechts vor links? Nie gehört!"


Von der Regel Rechts vor links haben die zwölf Flüchtlinge im Alter zwischen zwölf und 18 Jahren, mit denen Dieret heute unterwegs ist, noch nie etwas gehört. Sie stammen aus dem Irak, aus Indien, Syrien und Afrika. Hierzulande selbstverständliche Dinge wie Gehsteige oder Fußgängerüberquerungen kennen viele aus ihrer Heimat nicht - schon gar nicht verbindliche Verkehrsregeln. "Wir haben immer wieder Meldungen erhalten, dass gerade junge Flüchtlinge kreuz und quer mit gespendeten Fahrrädern durch die Straßen fahren - zum Glück ist aber nichts passiert", sagt Dieret. Das Problem: Verursacht ein Flüchtling einen Unfall, bleiben die Geschädigten in der Regel auf den Kosten sitzen, weil Flüchtlinge meistens nicht versichert sind.

Mit finanzieller Unterstützung eines Fördervereins und der örtlichen Verkehrswacht haben Dieret und Klaski ein ganzes Bündel an Materialien für den Schulunterricht zusammengestellt und in eine Box gepackt. Darunter eigens für das Projekt angefertigte Verkehrsschilder, die man in der Hand halten kann. In der "Ü-Box" sind auch Übungsaufgaben und mehrsprachige Informationen zu Menschenrechten, Jugendschutz und das Polizeigesetz in Auszügen enthalten.

"Zum Start des Projekts erhielten alle Schulen im Landkreis Fürth und in der Stadt Fürth, die Übergangsklassen für Flüchtlinge haben, jeweils eine "Ü-Box" von uns", erklärt Klaski. Die Materialien verwenden Lehrer im Unterricht. Wenn es die Zeit zulässt, kommen die zwei Polizisten aber auch selbst in die Klassen. An diesem Tag läuft Dieret mit Flüchtlingen einer Übergangsklasse der Mittelschule Zirndorf durch die Altstadt der mittelfränkischen Stadt. "Das ist eine Ampel", sagt er und erklärt den Jugendlichen dann geduldig, was die Farben Rot, Grün und Gelb bedeuten. "Zügig gehen, wenn es grün ist, aber trotzdem auf die Autos schauen", bläut der Polizist seinen Schülern ein, die brav mit dem Kopf nicken.

"Bei uns läuft man einfach so über die Straße"



"Kommt man in Deutschland ins Gefängnis, wenn man einen Unfall baut?", will einer der Flüchtlinge von ihm wissen. "Es gibt eine Strafe, aber ins Gefängnis kommt man nur, wenn man etwas ganz Schlimmes gemacht hat", erklärt Dieret. Klaski hat festgestellt, dass nicht wenige Flüchtlinge von der Polizei ein ziemlich falsches Bild haben. "Viele bekommen erst einmal ein Angstgefühl, wenn sie uns sehen, weil etliche in ihren Heimatländern Polizeigewalt erlebt haben." Der Unterricht mit den Kindern und Jugendlichen sei deshalb mehr als nur Verkehrszeichen-Erklären, betont Klaski. "Es soll auch ein Vertrauensverhältnis zur Polizei aufgebaut werden."

Der 16 Jahre alte Vishavjeet findet es ziemlich komisch, dass in Deutschland Autos tatsächlich bei Rot an der Ampel stehenbleiben. "Bei uns in Indien gibt es zwar viele Ampeln und Schilder, aber es hält sich keiner dran", erzählt er. Sein Kumpel Ali ist verblüfft, wie geordnet der Straßenverkehr in Deutschland abläuft. Aus dem Irak ist der 18-Jährige ganz anderes gewohnt: "Die Menschen laufen eben einfach auf der Straße kreuz und quer. Da ist oft Chaos."

"Unsere "Ü-Boxen" werden mittlerweile sogar von Schulen bestellt, die gar keine Übergangsklassen haben, sowie von kirchlichen Einrichtungen", sagt Klaski, der gerade wieder Nachschub geordert hat. Und jetzt soll das Projekt sogar bayernweit Schule machen: Die Landesverkehrswacht will in wenigen Tagen ähnliche Boxen anbieten. "Es gibt inzwischen zwar schon viele Materialien zur Verkehrserziehung von Flüchtlingen, aber die "Ü-Boxen" enthalten eben alles gesammelt, das ist ein großer Vorteil", sagt Geschäftsführer Manfred Raubold. Die Verkehrswacht will die Boxen an Ortsverbände im Freistaat ausleihen. Gestartet werde zunächst mit 20 Stück.

In der Zirndorfer Altstadt wartet auf die jungen Flüchtlinge noch eine letzte knifflige Aufgabe: An einem Fußgängerüberweg zeigt Dieret auf die weiße Straßen-Markierung. "Wie nennt man denn das?", will er wissen. Es dauert ein wenig. Dann hebt ein Mädchen die Hand und sagt: "Das ist ein Zebra." Dieret schmunzelt wieder und korrigiert: "Zebrastreifen, aber schon fast richtig". (Roland Beck, dpa)

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