Kommunales

Flüchtlinge werden in Passau registriert. (Foto: dpa)

31.07.2015

Der Flüchtlingszustrom überfordert alle Behörden

Die Mitarbeiter von Polizei und kommunalen Stellen sind am Limit ihrer Arbeitskraft angelangt

Der wachsende Zustrom von Migranten und unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen nach Bayern überfordert in den Grenzbezirken Polizei- und Jugendbehörden. Die Landräte Franz Meyer (Landkreis Passau), Michael Adam (Landkreis Regen) und Christian Bernreiter (Landkreis Deggendorf) schlagen Alarm, die Polizeigewerkschaft warnt vor Eskalation und Bürgermeister kämpfen um Mithilfe ihrer Gemeinden. „Bei uns an der Grenze“, sagt der Landrat von Passau, Franz Meyer (CSU), „arbeiten alle an der äußersten Grenze ihrer Kraft!“ Das sieht man nicht allen an, die in der „X-Point Halle“ auf dem Passauer Messegelände ruhig, freundlich, aber in kontrollierter Ordnung angelieferte fremde Menschen in Empfang nehmen. Im normalen Leben der Dreiflüsse-Stadt werden in der Halle Tanzfeste, Kabaretts, Tagungen und Ausstellungen veranstaltet. Aber das normale Leben findet derzeit hier nicht statt.

Halle gleicht einem Gefangenenlager

Auf den ersten Rundblick könnte man die schmucklose 800 Quadratmeter-Halle für ein Gefangenenlager halten: Die von der Stadt angemietete Notunterkunft ist von der Polizei nach außen mit hohen Absperrgittern abgeschlossen und mit diesen im Inneren wie in „Menschen-Gehege“ gut übersichtlich vier Bereiche unterteilt: Außerhalb sitzen an langen Tischen Beamte der Bundespolizei und Jugendämter; in zwei inneren „Gehegen“ sitzen oder liegen auf Stühlen und Feldbetten vorwiegend dunkelhäutige illegale Zuwanderer, die registriert, sortiert, bewacht und beschützt werden.
In einem dieser Bereiche sind erwachsene Migranten oder Familien mit kleinen Kindern. Im anderen sind unbegleitete Minderjährige im Alter von 15 bis 20 Jahren beisammen: meist Burschen, einige Muslim-Mädchen mit Kopftuch und viele ohne Papiere. Die Beamten müssen dann nach Augenschein und Erfahrung schätzen, ob die wirklich unter oder über 18 sind; somit ob sie ins Jugendheim gebracht werden oder in die Erstaufnahme für erwachsene Zuwanderer.
Franz Prügl, der Leiter des Kreisjugendamts Passau, bedauert die Polizisten wie seine Leute: „Alle hier sind am Limit ihrer Arbeitskraft angelangt.“ Die Zahl unbegleiteter Minderjähriger hat sich hier von knapp 200 Aufgriffen im ganzen Jahr 2014 auf rund 1800 allein bis Juli 2015 erhöht: pro Monat etwa 350 bis 780 Jugendliche. „Die bringen wir von hier in ein ehemaliges Feriendorf, wo sie versorgt und betreut werden“, erklärt Prügl. „Von dort werden sie auf andere bayerische Landkreise verteilt, die sie uns freiwillig abnehmen.“ Ab Schulbeginn geht dann die Überforderung wieder bei Lehrern, Psychologen und Dolmetschern weiter.

Kaum jemand aus dem Balkan ist dabei


Unter den in und um Passau aufgegriffenen Migranten ist kaum jemand aus dem Balkan dabei; die reisen weiter ins Landesinnere ein. Derzeit kommen die meisten aus Afghanistan, Syrien und Irak. Blau uniformierte Bundespolizei mit Pistolen im Halfter teilt sie am Eingang der Halle auf. Wie die Polizisten sitzen getrennt davon Beamte der Jugendämter von Stadt und Landkreis an langen Tischen und rufen ihre „Kunden“ einzeln an die „Schalter“ – je nachdem, wo sie gefunden wurden.
Die von der Landpolizei per Bus neu hergebrachten Erwachsenen und Familien mit kleinen Kindern im größeren „Gehege“ wirken zwar erschöpft, müde und lethargisch, aber doch gelassen und entspannt: Sie haben ihr Ziel erreicht und fühlen sich in Sicherheit. Der weitere Ablauf ist Bürokratie auf Englisch oder (mit Dolmetschern) auf Arabisch und Afghanisch: zeitaufwändig, mühsam, aber als erste Maßnahme notwendig.
„Unsere Beamten lesen die Leute am Bahnhof, in der Stadt oder in Grenznähe am Straßenrand auf, wo die Schleuser sie absetzen oder gestoppt werden, und bringen sie hierher“, erläutert Polizeioberrat Thomas Lang, Leiter der Bundespolizei-Inspektion Freyung: „Sie werden hier registriert und sortiert: Erwachsene und Familien werden in die Erstaufnahmestelle nach Deggendorf gebracht zur Verteilung in Unterkünfte; unbegleitete Minderjährige werden von den Jugendämtern vorerst in Obhut genommen.“
Einer der Bundespolizisten, der die Leute aus ihrem Warteraum holt und zurückbringt, ergänzt: „Wir müssen alle einzeln befragen, ob sie Papiere oder Einreisevisa haben, ob sie Flüchtlinge sind oder Asylbewerber und ob sie sich für minderjährig erklären.“ Dann wird jeder der Eingereisten mit Lichtbild und Fingerabdruck registriert. Lang: „Dabei prüfen wir auch, ob jemand bereits zur Fahndung ausgeschrieben ist. Aber ob ein Afghane oder Syrer von den Taliban und IS geschickt ist oder vor denen geflohen, das sehen wir keinem an.“

Auch Schleuser hat die Polizei festgenommen


Inzwischen liefert die grüne Landpolizei neue „Aufgriffe“ an, darunter Jugendliche. Auch zirka 500 Schleuser hat die Polizei heuer bereits festgenommen. Aber verurteilt können sie nur werden, wenn sich Migranten finden, die gegen die Mafia auszusagen wagen. Schleuser überfordern dann auch die Staatsanwälte, Gerichte und überfüllten Justizvollzugsanstalten.
Landrat Meyer hatte auch im bayerischen Sozialministerium mit Aufnahmestopp gedroht und zumindest erreicht, dass die jugendlichen Migranten auf bayerische Landkreise aufgeteilt werden. Meyer: „Ich bin meinen Kollegen sehr dankbar. Aber ich fordere vom Bund: Bereits im Vorgriff zu einem neuen Gesetz muss eine bundesweite Aufteilung erfolgen. Freiwillig nimmt uns doch kein Land welche ab! Die halten starke Reden über Solidarität, kassieren aber nur Länderfinanzausgleich von uns.“
Jugendamtschef Prügl benennt zwei Hauptprobleme: „Erstens kommen wir kaum mehr zu unseren Pflichtaufgaben im Landkreis. Der hat uns bereits zehn neue Sozialarbeiter bewilligt, die sind aber nur schwer zu finden.“ Das zweite Problem Prügls betrifft die vom Bundesverwaltungsamt aufgeteilten und zugewiesenen Kosten für jugendliche Migranten: „Da stellen sich einige Bundesländer taub. Wir haben über 500.000 Euro Außenstände in etwa acht Ländern, am meisten in Nordrhein-Westfalen, Berlin und Chemnitz. Die zahlen nicht, entschuldigen sich nicht und antworten nicht einmal. Es ist doch eine Schande, wenn wegen junger Migranten Bundesländer gegeneinander prozessieren!“ Ein einfacher und praktischer Vorschlag von Meyer und Prügl war leider bisher in München erfolglos: „Zieht doch denen die Außenstände gleich vom Länderfinanzausgleich ab!“
(Hannes Burger)

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