Kommunales

Bürger müssen Steuern zahlen, damit der Staat seine Aufgaben erfüllen kann, betonen Politiker gern. Dass damit alle Tätigkeiten abgedeckt sind, ist aber ein großer Irrtum. Für vieles werden die Menschen von den Behörden noch mal extra zur Kasse gebeten. (Foto: dpa)

13.04.2017

Existenzrisiko Grundstückbesitz

Mit etwas Pech kann man bei einer Bombenräumung plötzlich mit sechsstelligen Zwangsgebühren konfrontiert werden – ohne eigene Schuld

Obwohl eine Rentnerin nichts dafür kann, dass von ihrem Grundstück Bomben entsorgt werden müssen, soll sie die Kosten dafür übernehmen. Warum dürfen Behörden das fordern?

Am vergangenen Montag, 10. April 2017, ist Melitta Meinberger in ihr Haus zurückgekehrt – nach 27 Tagen. Nun ist die Rentnerin aus München nicht etwa im Urlaub gewesen, sondern sie hatte ihr Anwesen in der Kieferngarten-Siedlung im Norden der Landeshauptstadt zwangsweise räumen müssen, genauso wie rund 200 Bewohner der umliegenden Gebäude.

Der Grund für die Sperrzone mit einem Radius von 100 Metern um das Haus von Melitta Meinberger schlummerte unter ihrem Garten und im Nachbargrundstück: ein ehemaliges Löschwasserbecken aus dem Zweiten Weltkrieg, 22 Meter lang, 15 Meter breit, sechs Meter tief – und gefüllt mit einem hochexplosiven Gemisch aus Granaten, Patronen, Panzerfäusten und der Chemikalie Phosphor, mit der sich Brandbomben herstellen lassen. Insgesamt waren es zehn Tonnen Weltkriegsmunition – der bis dato größte Fund seiner Art in München.

Nun würde man meinen, dass Melitta Meinberger heilfroh war, dass jemand dieses Pulverfass, auf dem sie lebte, entschärft hat – doch weit gefehlt. Denn der Rentnerin droht infolge der vierwöchigen Räumungsaktion der finanzielle Ruin, was wiederum mit dem Wörtchen „Zustandsstörer“ zusammenhängt. Damit bezeichnen Juristen den Eigentümer einer Sache – in diesem Fall der Garten Meinbergers – von der eine Beeinträchtigung ausgeht. Hier: die Gefahr durch die gewaltige Menge an Sprengstoff.

„Grundsätzlich ist der Eigentümer eines Grundstücks nach dem öffentlichen Recht als sogenannter Zustandsstörer dafür verantwortlich, Gefahren zu beseitigen, die von seinem Grundstück ausgehen“, erklärt Daniel Pflüger, Rechtsanwalt aus München. Bedeutet im Fall Meinberger: Die Rentnerin müsste die Kosten für die Bergung und Entschärfung des Sprengstoffs bezahlen – schätzungsweise rund 350 000 Euro. Für den Abtransport und die Entsorgung der Munition ist wiederum der Freistaat Bayern zuständig, der hierfür einen sogenannten Kampfmittelbeseitigungsdienst vorhält. Die Kosten hierfür übernimmt dann entweder das Land – sofern es sich um Munition der Alliierten handelt – , oder der Bund, falls der Sprengstoff aus den Beständen der ehemaligen Deutschen Wehrmacht stammt.

Nach den aktuellsten Zahlen des bayerischen Innenministeriums hat der Kampfmittelbeseitigungsdienst 2015 rund 64 Tonnen Weltkriegsmunition entschärft, darunter 139 Spreng- und Splitterbomben der Alliierten. Zumeist werden diese im Zuge von Bauarbeiten entdeckt; vorwiegend in Gegenden, in denen es im Krieg intensive Bombardierungen gab – etwa im Umfeld ehemaliger Rüstungsbetriebe oder in Großstädten wie München. Schätzungsweise zehn bis 20 Prozent der im Zweiten Weltkrieg abgeworfenen Munition ist damals nicht detoniert.

Entsprechend gehen Experten davon aus, dass deutschlandweit noch rund 100 000 Blindgänger im Boden oder in Gewässern liegen. Wie gefährlich diese heute noch sind, zeigt sich immer wieder bei Unfällen. So starb beispielsweise vor gut drei Jahren ein Baggerfahrer in Euskirchen bei Köln, als er mit seiner Schaufel versehentlich die Explosion einer Weltkriegsbombe auslöste. Und auch der 28. August 2012 ist vielen Münchnern noch in Erinnerung: Damals musste eine 250-Kilo-Fliegerbombe in Schwabing kontrolliert gesprengt werden; der Schaden ging in die Millionenhöhe.
In Kieferngarten freilich ist der Fall anders gelagert: Hier war es nicht eine einzelne Bombe, sondern ein Sammelsurium an Munition – sowohl von der Wehrmacht, als auch von den Alliierten. Dieses gefährliche Gemisch lagerte in dem zubetonierten Löschwasserbecken, auf das der Nachbar von Melitta Meinberger stieß, als er 2012 beim Neubau seines Hauses den Keller aushob. Der Nachbar ließ die Entsorgung damals auf eigene Rechnung erledigen; derweil lag der Verdacht nahe, dass im Garten der Rentnerin noch mehr Munition schlummert. Daher habe das Münchner Kreisverwaltungsreferat (KVR) im August 2013 die Entmunitionierung des Grundstücks angeordnet, teilt ein Behördensprecher mit. Nach einem Rechtsstreit zwischen der Rentnerin und der Stadt begann im März dieses Jahres die Räumungsaktion, und schrittweise trat das ganze Ausmaß zutage – sowohl was die Menge angeht, als auch die Bergungskosten.
Ein Verfahren könnte sich über viele Jahre hinziehen
Nach Wochen der Unsicherheit für Melitta Meinberger und ihre Nachbarn hat der Münchner Stadtrat vor einigen Tagen beschlossen, einen Großteil der Folgekosten des Sprengmittelfunds zu übernehmen – mit Verweis auf einen „einmaligen Ausnahmefall“ und um „die betroffenen Eigentümer vor dem finanziellen Ruin zu bewahren“, wie es in einer Mitteilung der Stadt heißt. Auch die rund 350 000 Euro für die Bergung der Munition, die eigentlich der Grundstücksbesitzerin in Rechnung gestellt werden sollten, bezahlt die Kommune – vorerst. Ob und in welcher Höhe die Stadt München noch Geld von Melitta Meinberger einfordern wird, soll der Stadtrat erst entscheiden, nachdem das KVR die Vermögensverhältnisse der Rentnerin geklärt hat, sagt der Behördensprecher.
Geht es nach dem Anwalt von Melitta Meinberger, so wird die 72-Jährige jedoch keinen Euro bezahlen. Vielmehr sieht Florian Englert den Bund in der Pflicht, den der Jurist in diesem Fall als sogenannten Handlungsstörer erachtet. Das bedeutet konkret: Die Bundesrepublik als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reichs sei Eigentümerin der Kampfmittel und mithin für sie und ihre Folgen verantwortlich. Florian Englert, der sich in seiner Doktorarbeit mit dem Thema Kampfmittel-Recht beschäftigt hat, hofft nun auf eine Klage gegen den Bund mit Präzedenzcharakter – „eventuell zusammen mit der Stadt“, wie er sagt. Ein solches Verfahren könnte sich freilich über mehrere Jahre hinziehen. Patrik Stäbler

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