Kommunales

Die Bürger wollen mehr mitbestimmen und das ist auch gut so – unerfahrene Kommunalpolitiker können dabei aber eine Menge falsch machen. (Foto: dpa)

08.04.2016

Mehr Bürgerbeteiligung – aber richtig

Mehr Demokratie: Was Gemeindeoberhäupter beachten sollten

Die Politik wird immer komplizierter. Doch während sich Entscheider in Bund und Ländern teure PR-Berater leisten, um ihre Entscheidungen dem Bürger zu verkaufen, sind die Bürgermeister mit dem Erklären meist auf sich gestellt. Gelingt ihnen das nicht, stressen Wutbürger. „Wutbürger entstehen, wenn es keine Beteiligung gibt“, erläuterte der Politikwissenschaftler Hans J. Lietzmann, Professor an der Bergischen Universität in Wuppertal auf dem Kongress Kommunale Kommunikation im oberpfälzischen Hemau. Das Schlimme am Fall von Stuttgart 21 beispielsweise sei gewesen, dass den Menschen hier zunächst sogar Beteiligung versprochen, dieses Versprechen später aber nicht eingelöst wurde. „Dann explodiert der Topf.“ Auch die Bundesnetzagentur habe im Fall der deutschlandweiten Stromtrassen demonstriert, „wie man es genau nicht machen sollte“. Bis zu extremen Protestbewegungen wie beispielsweise Pegida sei es dann nicht mehr weit, so der Wissenschaftler. Deren Zorn richtet sich zwar primär gegen bundespolitische Entscheidungen, zu spüren kommen die Wut aber in erster Linie die Bürgermeister vor Ort. Und auch die Folgen: In München beispielsweise machen jetzt Geschäftsleute aus der City im Rathaus mobil, weil ihnen aus Angst vor abendlichen Pegida-Märschen die ausländischen Kunden wegbleiben.

80 Prozent der Bürger fühlen sich laut Studie nicht mehr repräsentiert

Hinzu kommt: Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung fühlen sich zirka 80 Prozent der Deutschen nicht mehr repräsentiert von der Politik, gleichzeitig wollen aber 70 Prozent der Menschen gern stärker selbst mitreden. Ein wachsender Akademikeranteil an der Einwohnerschaft hat zur Folge, dass sich auch immer mehr Personen persönlich für kompetent genug halten, bei den verschiedenen Themen mitzureden. In München ist Professor Lietzmann mit seinem Team derzeit im neu entstehenden Stadtteil Freiham aktiv, führt Befragungen zur künftigen Gestaltung des ästhetisch nicht unumstrittenen Viertels durch. „Grundsätzlich ist kein Thema von Bürgerbeteiligung ausgenommen“, ist der Wissenschaftler überzeugt. Gerade in Bayern habe man damit ja besonders intensive Erfahrungen, findet doch nahezu jedes zweite Bürgerbegehren im Freistaat statt – und das, obwohl in Bayern nur rund 15 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung leben. Der Professor setzt allerdings auf klar strukturierte Vorgehensweisen, er nennt das „aufsuchende Beteiligung“. Auf keinen Fall dürften „jene, die immer mit dabei sind, weil sei Zeit und Geld“ die Meinungsführerschaft im Prozess der Beteiligung übernehmen. Und es müsse transparent und fair zugehen, Expertenwissen eingebunden werden. „Im Falle eines Bauprojekts heißt das beispielsweise“, so Lietzmann, „dass darüber informiert wird, welche alternativen Techniken und Materialien es eventuell gibt, ob möglicherweise Gesundheitsrisiken bestehen.“

Die Gemeindeverwaltung - das ist nicht nur der Bürgermeister

Ziemlich genau 25 nach dem Zufallsprinzip im Einwohnermeldeamt ausgewählte Personen sind für Lietzmann eine ideale Größe, „die kann man im Verlauf gut durchmischen zu immer neuen Fünfergruppen – und das bitte stets schön bunt, nicht die Schüler und die Rentner jeweils für sich“. Sollte von diesen Menschen jemand angeben, verhindert zu sein – beispielsweise aufgrund von Kinderbetreuung oder beruflichen Gründen – „dann sorgen Sie auf jeden Fall dafür, dass diese Hindernisse aus dem Weg geräumt werden, auf keinen Fall die Leute austauschen.“ Drei bis vier Tage sollte die Kommune dann schon einplanen für den Beteiligungsprozess, so etwas dürfe auch nicht nur irgendwie nebenbei mitlaufen. Danach soll ein Gutachten mit Stellungnahmen der Bürger verfasst werden. „Und der Auftraggeber muss sich auch auf die Umsetzung verpflichten“, gibt der Professor zu bedenken. „Ein kluger Bürgermeister muss davor aber auch keine Angst haben – denn ein kompetenter Beteiligungsprozess stärkt ihn auch gegenüber den übergeordneten politischen Institutionen.“ Für den Kommunikationsberater Harald Ille, früher tätig in der Presseabteilung der Stadt Frankfurt/M., ist obendrein noch die intensive Einbindung der sozialen Medien wichtig. „Auf Shitstorms im Netz immer schnell reagieren durch Aktivierung der eigenen Anhängerschaft, auf keinen Fall wegducken.“ Auch das klassische Hierarchiedenken bei Bürgeranfragen in den Ämtern sei überholt. „Es darf nicht immer nur der Bürgermeister antworten, sondern jeder Mitarbeiter – denn die Gemeindeverwaltung, das sind alle Beschäftigten, nicht nur einer.“ (André Paul)

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