Kommunales

Fast sinnbildlich fällt ein großer Schatten vor das Alte Rathaus von Regensburg. Noch nie seit Kriegsende ereignete sich in einer bayerischen Stadt ein Skandal solchen Ausmaßes. (Foto: dpa)

03.02.2017

Quo vadis, Regensburg?

Selbstkritik oder der Ruf nach Konsequenzen unterbleiben trotz des Skandals bei den relevanten Akteuren in der oberpfälzischen Kommune

Oberbürgermeister Joachim Joachim Wolbergs bleibt in U-Haft und ist inzwischen seines Amtes enthoben. Die bunte Koalition zerfällt. Die Causa Ex-OB Schaidinger schwelt weiter. Doch die maßgeblichen Akteure aus Politik, Wirtschaft und Kultur gehen lieber auf Tauchstation oder üben sich in Beschwichtigung. Bericht aus einer Kommune am Rande des Selbstbetrugs. In Regensburg steht einiges auf dem Spiel. Noch immer scheint die Stadt unter Schock zu stehen. Die Korruptionsaffäre um den Oberbürgermeister Joachim Wolbergs (SPD) und seinen Vorgänger Hans Schaidiger (CSU) habe „das Vertrauen in die Politik schwer erschüttert“, sagt Bayerns Städtetagsschef Ulrich Maly (SPD). Am Mittwoch, 1. Februar, entschied das Amtsgericht Regensburg: Der inzwischen von der Landesanwaltschaft abgesetzte OB bleibt in U-Haft – auch wegen möglicher Verdunkelungsgefahr, hieß es in einer Erklärung.
Wolbergs neuer Verteidiger meldete sich daraufhin zu Wort und kritisierte erst einmal die Medien. „Unterstellungen und Spekulationen prägten das laufende Verfahren und die aktuelle Berichterstattung“, so Anwalt Peter Witting. In einer schriftlichen Erklärung beschwert er sich, „der Grundsatz der Unschuldsvermutung findet nicht mehr die ihm gebührende Beachtung“. Wolbergs weise die gegen ihn erhoben Vorwürfe unverändert mit aller Entschiedenheit zurück.

„Es geht weiter, als ob der OB in Urlaub wäre“


Das ist das gute Recht eines Angeklagten. Niemand erwartet , dass sich Wolbergs selbst belastet. Doch von ihrer Rathausspitze, von den Akteuren aus Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft, dürfen die Bürger von Regensburg angesichts des schlimmsten Skandals in der oberpfälzischen Metropole und eines der größten in einer deutschen Kommune seit Kriegsende zumindest Signale erwarten, die wieder Vertrauen schaffen.
Die Frau, die derzeit kommissarisch die politische Verantwortung in der knapp 150 000 Einwohner zählenden Kommune trägt, scheint die Situation nicht in ihrer ganzen Tragweite erfassen zu können – oder zu wollen: „In Regensburg geht es weiter, als ob der OB in Urlaub wäre“, erklärt die Zweite Bürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer (SPD).

Bei der Industrie- und Handelskammer versteckt man sich hinter der Floskel, man wolle sich „nicht an Spekulationen beteiligen“. IHK-Sprecher Christian Götz sieht keine Auswirkungen für seinen Verband. „Wir können unseren Unternehmen nur raten, dass sie sich ganz sauber verhalten.“ Alles Weitere sei Aufgabe der Justiz.

Andere hüllen sich gleich ganz in Schweigen, etwa die Regensburger Handwerkskammer. Man werde sich „in den Medien“ nicht zur Affäre äußern, lautet der lapidare Bescheid. Ebenso unbeantwortet blieb eine Anfrage am Lehrstuhl für Politikwissenschaft der örtlichen Universität. Und auch Jens Neundorff von Enzberg, der Intendant des Regensburger Stadt-Theaters, war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Über seine Sprecherin ließ er ausrichten, auf den Theateralltag habe die Korruptionsaffäre keine Auswirkungen. „Die Dinge gehen ihren Gang“, so der Eindruck des Intendanten, dessen Spielstätte sich nach der Kommunalwahl im jahr 2014 über eine deutliche Erhöhung der Bezüge durch den neuen OB Wolbergs freuen durfte.

"Kontrollmechanismen haben nicht funktioniert"


Deutliche Worte findet immerhin der Bezirksgeschäftsführer des VDK Oberpfalz, Christian Eisenried: „Korruption ist das Übelste, dass ein Politiker machen kann.“ Persönlich falle ihm die Einschätzung freilich schwer. „Ich hatte Wolbergs als einen sehr sozialen Menschen kennen gelernt.“ Ähnlich äußert sich der Vorsitzende der Sozialen Initiativen in Regensburg, Reinhard Kellner. „Hier haben einfach die Kontrollmechanismen nicht funktioniert, wahrscheinlich schon auf unterster Ebene im SPD Stadtverband.“ Bei allem Negativen, zeige der Fall aber doch, dass die Demokratie funktioniere. Natürlich steht der Rücktritt des Joachim Wolbergs im Raum – wiewohl seine Genossen vor Ort bangen, das käme „einem Schuldeingeständnis gleich“. Mitnichten, meint dagegen der Verfassungsrechtler Walther Michl von der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. „Wie der OB seinen Rücktritt formuliert, liegt ganz bei ihm. Er könnte ihn damit begründen, dass er Schaden vom Amt abwenden will“, so Professor Michl. Der sei schließlich schon jetzt erheblich, nicht nur für die Verwaltung. „Ein Fall wie in Regensburg ist auch ein verheerender Image-Verlust für ganz Bayern, dem man ohnehin gerne Spez’l-Wirtschaft vorwirft. Allein, dass jemand ins Amt gelangt, bei dem man es versucht, ist schon ein Schaden“, glaubt der Jurist. Natürlich sei auch die Bestechung eine Straftat wie die Bestechlichkeit. „Der Anspruch an öffentliche Amtsträger ist aber noch mal ein anderer.“

Ein Rücktritt – und die damit möglichen schnellen Neuwahlen – wären auch gut, damit die Machtfrage in Regensburg wieder geklärt ist. Denn Vertreter – in diesem Fall die Zweite Bürgermeisterin – haben nach der Bayerischen Gemeindeordnung rechtlich zwar die gleichen Befugnisse wie der Oberbürgermeister. „Politisch aber wird es zum Problem“, sagt Michl.

„Zügige Neuwahlen – sonst wird der Schaden größer“


Den OB wählen die Bürger nun einmal direkt. Ganz gleich wie gut oder schlecht der Stellvertreter seine Arbeit mache, die Koalition halte oder nicht. „Eine politische Legitimation, die Stadt nach außen zu vertreten, hat nur der OB.“ Nur durch einen Rücktritt und Neuwahlen werde die Stadtspitze wieder eine ordentliche Legitimierung bekommen. Je länger sie ohne sei, desto größer der Schaden.

Helmut Brocke nennt dagegen transparente Strukturen und Offenheit als wirksame Mittel gegen Korruption. „Hier geht es nicht um persönliches Misstrauen“, sagt der Leiter des Arbeitskreises Kommunen bei Transparency International (TI). Der einstige OSZE- Wahlbeobachter gehört zu den schärfsten Kritikern, nachlässiger Kommunalaufsicht, auch weil er die Schäden von Korruption und Vetternwirtschaft seit mehr als zehn Jahren erlebt. Brocke fordert deshalb „Transparenz hinsichtlich jeglicher Aktivität in einem öffentlichen Amt. Es muss deutlich werden, in welchen Gremien der Oberbürgermeister sitz und welche Vergütung er erhält. Da sind auch die Ratsgremien gefragt.

Und auch Statussymbole und große Netzwerke sind immer ein Grund, genau hinzuschauen“, sagt Brocke. Der informelle Austausch in solchen Netzwerken kann den Wettbewerb behindern oder verzerren. Am Ende führt das immer zu finanziellen oder technischen Schäden. Mit der Regensburger Korruptionsaffäre könnte für die rund 12 000 deutschen Kommunen „mehr auf dem Spiel stehen, als ein paar Hunderttausend Euro und gescheiterte Politiker-Karrieren“. (Flora Jädicke) Ob und wann der seines Amtes enthobene OB Joachim Wolbergs zurücktritt, bleibt unklar. (Foto: dpa)

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