Kultur

Die erste bildliche Darstellung des Karlsgrabens stammt aus der Würzburger Bischofschronik von Lorenz Fries aus dem 16. Jahrhundert. (Foto: Uni Würzburg)

05.09.2014

Das Phantom wird langsam greifbar

Interdisziplinär gelang Wissenschaftlern der Nachweis, dass es den Karlsgraben tatsächlich gab. Die Suche nach Missing Links geht weiter

Über 1200 Jahre lang rühmten Geschichtsschreiber, Wälle zeugen von Gigantischem. Und doch war der Karlsgraben ein Phantom. Bislang jedenfalls. Denn erst jetzt gelang der wissenschaftliche Nachweis, dass es ihn gegeben hat. Ob er aber je fertig war, ist unklar – noch, jedenfalls. Die Spurensuche läuft auf Hochtouren. Eine Ausstellung setzt einen Zwischenbericht. Eine verlockende Vision: Mit dem Schiff von der Nordsee bis zum Schwarzen Meer durchschippern, schnell den mitunter noch widerborstigen Untertanen im Südosten des Reichs einen – gegebenenfalls von Truppen begleiteten – Kontrollbesuch abstatten, den Handel forcieren, den politischen Anschluss an Byzanz verkehrstechnisch demonstrieren – wenn da nur nicht Europas Hauptwasserscheide im Weg wäre! Wenn man die überwinden könnte! Man müsste dazu nur Altmühl und Rezat in der Gegend von Treuchtlingen verbinden. Allerdings müssten dazu zwölf Höhenmeter bewältigt werden.
Mit so einem Problem hatten sich nicht einmal die gefeierten Kanalbaumeister der Antike herumschlagen müssen. Karl dem Großen kam diese Herausforderung auf seinem schier unaufhaltsamen Weg zur Kaiserkrönung gerade recht: Er ging das schier Unmögliche an. Noch heute sieht man vom nach ihm benannten Karlsgraben bis zu 10 Meter hohe Wälle. Die Begeisterung für dieses technische Bauwerk wurde über 1200 Jahre fortgeschrieben.
Aber der Karlsgraben war nur ein Phantom – wissenschaftlich korrekt betrachtet. „Wir kennen schriftliche Quellen über ihn. Und wir sehen etwas in der Landschaft, das dem Beschriebenen entsprechen könnte“, präzisiert Stefanie Berg-Hobohm das Dilemma. „Doch wer sagt, dass beides tatsächlich zusammengehört?“ Die Archäologin skizziert, welche Zweifel nämlich die Wissenschaft beschäftigen:
Haben die Wälle nahe des mittelfränkischen Ortes Graben und der Damm bei Dettenheim ebenso wie die schon bei früheren Untersuchungen ausgemachte Kanalsohle tatsächlich etwas mit der legendären Fossa Carolina zu tun? Aus welcher Zeit stammt die Anlage überhaupt? Hat Karl dort völlig neu ausgraben lassen, oder hat er ein schon von den Römern begonnenes Bauwerk fortgeführt? Stammt das Ganze gar erst aus spätmittelalterlichen Zeiten?

Ein einziger Flop

Über Jahrhunderte schossen die Spekulationen aus dem Boden  – zwei wichtige Handschriften boten genügend Stoff: Die Fränkischen Reichsannalen berichten ab 790 quasi „live“ zum Zeitgeschehen. In ihnen ist notiert, dass Karl 793 den „großen Graben“ besucht habe. Den verortet die Schrift „inter“ Altmühl und Rednitz – was heißen kann, dass der Graben die beiden Flüsse verband, oder auch nur zwischen ihnen lag. Ob der Kanal je fertig gestellt und gar beschiffbar war, erfährt man aus dieser sehr regierungsnahen Quelle nicht.
Da werden die sogenannten Einhardsannalen konkreter, sie sind eine Überarbeitung der Reichsannalen und wohl kurz nach Karls Tod entstanden, mussten des Kaisers Prestigeprojekt also nicht mehr schmeichlerisch über den grünen Klee loben. Und tatsächlich: Das Ganze war ein Flop, lässt sich aus dieser Chronik herauslesen. Es ging dem Graben nämlich ausgesprochen nass rein: Das Gelände war der reinste Sumpf, und dann war der Herbst 793 auch noch ausgesprochen verregnet. Es muss, der Schilderung zufolge, die reinste Sisyphosarbeit gewesen sein: Der Aushub vom Tag rutschte nachts wieder in die Baugrube.
Verleumdung!, wetterten jene, die an Karls Erfolg glaubten, andere zementierten Thesen vom Misserfolg. Freilich hat man sich vor Ort auf die Suche nach dem Kanal gemacht, auch einige als alt eingeschätzte Funde zutage gefördert, und schon bald festgestellt, dass die Kanalsohle, von der man sich die meisten Antworten erhoffte, bis zu fünf Meter unter dem heutigen Niveau verschüttet ist. Sollte man den gut 2,5 Kilometer langen Kanal, dessen tatsächlicher Verlauf unter der Erde unklar ist, einfach ausgraben? Faszinierend, aber nicht finanzierbar. Auch technisch ein Problem: „Bei den Erdmassen, die bewegt werden müssten, würde schweres Baugerät anrücken, große Stützwände müssten in den Boden gerammt werden“, sagt Stefanie Berg-Hobohm, „da würden wir sicherlich sehr viel zerstören.“

Virtuelle Großbaustelle

Und doch sind Wissenschaftler gerade dabei, Schicht um Schicht der Fossa Carolina abzutragen – überwiegend virtuell jedenfalls. Laserscanning, Magnetometerverfahren, hochempfindlicher supraleitender Quanten-Interferenz-Detektor (SQUID). Vermessung mit Differential-GPS, 14C-Datierung, Korngrößenanalyse, Rammkernbohrung... Da schwirren die Fachbegriffe nur so herum, wenn die Expertin vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege auflistet, welche Register eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Task Force gerade zieht. Neueste geophysikalische Prospektionen versprechen nämlich, den Kanal und die Baustelle, ja die ganze Landschaft darum herum in ihrem Zustand Anno 793 aufzuspüren und gar zu rekonstruieren. Und das zerstörungsfrei – so gut wie, jedenfalls. Denn gut 80 Bohrlöcher und eine Grabung quer zum Kanal mussten doch sein. Allerdings konnten diese punktgenau gesetzt werden, dank der vorausgegangenen geomagnetischen Messungen und geoarchäologischen Bohrungen.
Die Bohrkerne verraten Geschichten: Wie sich die Landschaft und das Erdreich in den vergangenen über 1200 Jahren verändert haben, warum heute zuoberst ist, was einmal unten war und umgekehrt, dass tatsächlich ein hoher Grundwasserpegel von allen Seiten in den Graben eingedrungen sein muss, dass auf jeden Fall ein stehendes Gewässer dort war, dass der Graben nicht von Menschenhand wieder zugeschüttet wurde, sondern allmählich verlandete.
Das Bild verdichtet sich: Da war wirklich ein Kanal! Und zwar genau aus der Zeit Karls des Großen. Den Dendroarchäologen des BLfD gelang die exakte Altersbestimmung von Eichenbohlen, mit denen die Kanalsohle beidseitig abgestützt war. Mit diesem Fund ist auch die Bauweise deutlich geworden: Die Spaltbohlen wurden dich an dicht 1,5 Meter tief in den Boden gerammt – sie mussten ja einiges an Seitendruck aushalten.
Nördlich des Ortes Graben haben die Bauarbeiter vor 1200 Jahren bis zu zwölf Meter tief graben müssen. In dem archäologisch untersuchten Bereich war das eigentliche Kanalbett 5,5 Meter breit – da konnten gut zwei damals übliche flachbodige Flussschiffe aneinander vorbei fahren. Nach oben hin ging die Anlage vermutlich getreppt weiter, die Distanz von Wall zu Wall beträgt gut 100 Meter.
Auch wenn die Forschung nun die Existenz des karolingerzeitlichen Kanals bestätigt, so gilt das aber nur für einen Teilabschnitt. Noch immer gilt es nämlich, eine ganze Reihe von Rätseln zu lösen. Zum Beispiel, ob der Kanal einfach aus einer Aneinanderreihung von (befestigten) Weihern bestand. Und wie man den Höhenunterschied von sechs Metern bewältigt hat. Der Damm bei Dettenheim jedenfalls stammt nämlich erst aus viel jüngerer Zeit.
Auf Hochtouren läuft derzeit die Suche nach zwei Missing Links: Es fehlen noch Nachweise für die Anschlüsse an die Altmühl ebenso wie an die Rezat. Dass sich da selbst mit den modernsten Spürmethoden bisher nichts entdecken lässt, entmutigt die länderübergreifende Arbeitsgruppe keineswegs (an dem DFG-Projekt beteiligt sind auch die Universitäten Jena und Leipzig sowie das Leibnitz-Institut für Photonische Technologie Jena). Denn eines ist klar: Wo und wie die Rezat heute fließt, tat sie es nicht vor 1200 Jahren. Es gilt, die Landschaft von einst zu rekonstruieren.

Modernes Meisterstück

Großbaustelle 793 ist eine Ausstellung im Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege überschrieben, die sich dezidiert nur als Zwischenbericht versteht (Ende des Jahres müssen die Anträge bei der DFG für die nächste Förderetappe gestellt werden). Die Schau und der begleitende Katalog verschränken im Übergriff von 1200 Jahren zwei außergewöhnliche Baustellen: Es geht um die Arbeiten am Kanal anno 793, als Karl der Große dort vorbeischaute und gar einer päpstlichen Delegation sein Großprojekt vorführte. Zum anderen bekommt man einen Überblick über die heutige Baustelle – die recht unscheinbar reale wie die spektakulär virtuelle, an der Wissenschaftler ihr modernes Meisterstück zu vollbringen suchen.
(Karin Dütsch) 5. September bis 10. Oktober. Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, Hofgraben 4, 80539 München. Mo. bis Do. 10 – 18 Uhr, Fr. 10 – 16 Uhr. www.blfd.bayern.de Abbildungen:
Eine der jüngsten Ansichten des Grabens liefert ein Laserscanning. Auch auf dieser Basis ließ sich der optimale Ort für eine Grabung bestimmten. (Foto: BLfD) Stefanie Berg-Hobohm ist Archäologin am Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege und die Expertin aus Bayern, die an dem DFG-Projekt mitwirkt. (Foto: Dütsch)

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