Kultur

Raumgreifend ist die Installation „Overserved“ von Pae White. Sie besteht aus 52 formgeblasenen Glaskuben. (Foto: Andrea Rosetti)

23.03.2018

Den Durchblick schärfen

Die Münchner Alexander-Tutsek-Stiftung stellt Glasarbeiten namhafter Künstler vor – unter dem Motto „Das Andere Sehen“

Die meisten dieser sieben Künstler kommen von der Malerei her, arbeiten in Bronze, Marmor oder mit Holz, machen Videos: Was sie eint, ist, dass sie Glas als Kunst-Stoff für sich entdeckt haben. Als ein Material, mit dem man seine Ideen anders sichtbar machen kann, das Gewohnte anders sieht oder es erzählt. Deswegen heißt die neue Ausstellung der Münchner Alexander-Tutsek-Stiftung in ihren schönen Räumen an der Karl-Theodor-Straße Das Andere Sehen“ und meint damit: Glas sehen, mit und durch Glas sehen – auch als eine neue Sichtweise auf Kunst.

Sterne oder Minen?

Das ehemalige Bildhauer-Jugendstilgebäude vom Beginn des 20. Jahrhunderts, in dem die Galerie der Stiftung beheimatet ist, bietet genügend Raum, intime Kabinette, interessante Durchblicke, um dieses andere Sehen zu verwirklichen. Und auch, um Überraschungen zu ermöglichen: zum Beispiel diese im Raum verstreuten roten Sterne von Kiki Smith, der gebürtigen Nürnbergerin (1954), die heute in New York lebt. Sind das Reste vom letzten Weihnachtsbaum? Oder vom Himmel heruntergestürzte Teile des Kosmos? Vielleicht macht einen der Titel Mine stutzig: Minen, wie zufällig über den Boden verstreut, mit tödlicher Fracht und gefährlich aussehenden Spitzen?
Die Möglichkeiten des anderen Sehens – hier stolpert man geradezu darüber. Und ist dann wahrscheinlich schon eine Weile vor Smith’ bleigefassten Glasfenstern Saint Genevieve and the Deer gestanden, die an die alte Genoveva-Legende erinnern, wie sie auch Robert Schumann vertont hat: die unschuldige Herzogsgattin und ihr Reh, nackte Körperlichkeit und Verletzlichkeit, wie sie Smith schutzlos und zerbrechlich ausstellt: Glas eben. Genauer gesagt: Antikglas, das in der Mayer’schen Hofglasanstalt in München hergestellt wurde.
Kein Neuling in Sachen Glas ist Ki-Ra Kim aus Südkorea: Sie hat die Studioglasbewegung in ihrer Heimat etabliert und dort auch eine Glasklasse aufgemacht: eine Glaspionierin in der weltweiten „Aufwertung von Glas in der zeitgenössischen Kunst“, wie es Eva-Maria Fahrner-Tutsek sieht, die Leiterin der Stiftung und Hüterin des Schatzes von mittlerweile wohl weit über 500 Sammlungsobjekten. Sie ist von der Mythologie zwischen Himmel und Erde fasziniert, zu der in Südkorea besonders der Kranich gehört. Seine Federn bildet Kim zu Tausenden in Glas nach: „Die Glasfedern können eine Tür sein in eine andere Welt“ – besonders wenn sie im Kreis angeordnet sind, in dessen Mitte sich quasi der Zugang zu dieser anderen Welt befindet, eine Tür zur unsichtbaren Welt.

Spiel mit Doppeldeutigem

Vieles in dieser Ausstellung eröffnet neue Sichtweisen, Perspektiven. „Ich möchte Gebrauch machen von Widersprüchen, mit der Doppeldeutigkeit spielen und niemals etwas für das nehmen, was es zu sein scheint“, sagt zum Beispiel die im Libanon geborene Mona Hatoum. In einer kreisförmigen Installation hat sie fragmentarische Glasflaschen nur scheinbar planlos und wie über einen Sandstrand verstreut angeordnet – aber dem Zufall liegt doch ein genauer Plan zugrunde. Diese Frage nach Plan und Zufall stellt sich auch bei einer Installation von Raimund Kummer: drei großformatige Glasaugen, drei marmorne Sitzbänke nehmen einen ganzen Raum ein, genau austariert in ihrem räumlichen Zueinander – eine equilibristische Ordnung, die man nicht stören darf.
In der Regel haben die hier ausstellenden Künstler ihre Werke in Glashütten (auch in Murano) von professionellen Glasmachern herstellen lassen, und man fragt sich, wie diese Handwerker wohl zu den äußerst artifiziellen Produkten stehen, die schließlich ihre Glaswerkstätten auf den Inseln der Lagune verlassen. Tony Cragg etwa gibt den Glaswerkstätten heftige Probleme auf: mit den aufgeschichteten Würfeln, diesen aufgetürmten Quadern seiner unbetitelten Skulptur. Die bleibt ganz im Abstrakten, während die Listeners als Abhörstation aus luzidem Klarglas leicht zu verstehen sind: aufgesperrte Ohren in den Raum hinaus.
Nur einmal geht Glas in dieser Ausstellung eine Symbiose mit anderem Material ein: Kiki Smith hat gläserne Blümchen in einen hölzernen Sarg verpflanzt und das alles dann Ashen genannt – aus Asche oder Esche? Es ist ein Ineinander von Leben und Tod, ein Abschiednehmen im häuslichen Raum. (Uwe Mitsching) Information: Alexander-Tutsek-Stiftung, Karl-Theodor-Straße 27, 80803 München. Di. bis Fr. 14-18 Uhr. www.atutsek-stiftung.de

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