Kultur

Thiemo Strutzenberger begeistert als Orest. (Foto: Sandra Then)

01.03.2024

Diskurs im Planschbecken

Blass und holzschnittartig: Mit „Athena“ rundet das Bayerische Staatsschauspiel die „Orestie“ nach Aischylos ab

Es ist vollbracht. Das Bayerische Staatsschauspiel hat die Orestie nach Aischylos abgeschlossen. Nach Die Fliegen von Jean-Paul Sartre im Cuvilliéstheater, die den Atriden-Elektra-Mythos reflektieren, sowie Agamemnon im Residenztheater hatte im Marstall nun Athena nach Aischylos’ Eumeniden Premiere. Zwei Sieger*innen dieser Orestie stehen darstellerisch klar fest: auf Platz eins Pia Händler. Sie brilliert in Agamemnon als Klytämnestra. Für seinen intensiv durchdrungenen Monolog des Orest in Athena landet Thiemo Strutzenberger auf Platz zwei. Sein Monolog eröffnet Athena, von Robert Borgmann als „musiktheatrale Installation“ inszeniert. Wie dieser Orest seine Verzweiflung und den Muttermord zu erklären versucht, das ist großes Theater. Er hockt, kauert oder steht auf einem Podest, ringt mit sich und seiner Familientragödie.

Po zum Publikum

Um Orest herum Wasser. Für seine Regie hat Borgmann nämlich den Marstall teilgeflutet. In diesem Planschbecken läuft der dreigeteilte Abend ab. Nach der „Klage des Sohnes“ folgt eine „Athena(-kratie)“ mit Max Mayer als Athena. Birgit Bungum lässt ihn in hautenger, bauchbetonter Hülle auftreten, er trägt lange, graue Haare. Am Ende seines Athena-Auftritts reckt er seinen Po in Richtung Publikum und setzt zum Sprung ins Nass an. Das sieht fraglos urkomisch aus, fängt jedoch den -– aktuellen – Ernst der Lage nicht wirklich ein.

Immerhin geht es um die Demokratie, die Aischylos um 458 vor Christus in seiner Orestie entworfen hat. Denn als Göttin möchte Athena in diesem Abgrund nichts mehr entscheiden. Sie überträgt die Verantwortung und die Rechtsprechung auf den Menschen, was dieser freilich stets neu erlernen und leben muss. Damit schaut es gegenwärtig einmal mehr ziemlich düster aus. In den zwei Pausen wird kassandrahaft vor einem Scheitern der Demokratie gewarnt, auch mit Schimpftiraden von Donald Trump.

Im dritten Teil des Abends ist es Franziska Hackl als Kassandra, die den Zustand der Demokratie kommentiert: mit einem furzartigen Geräusch. Zunächst aber hängt sie als Iphigenie an Seilen im Theaterhimmel, wird pausenlos hoch- und runtergefahren, betont redundant sind die Gesten. Ihre Mutter Klytämnestra, bespielt von Juliane Köhler, fuchtelt ähnlich herum.
Generell ist in dieser finalen Familienaufstellung alles auf sich wiederholende Leitmotive getrimmt – sie werden zu Leidmotiven.

Als Orest dümpelt Strutzenberger im roten Schlauchboot herum. Mayer übernimmt jetzt seinen Vater Agamemnon, der von der Mutter geschlachtet wurde und den Orest mit Matrizid rächt. Eine große Tafel steht im Wasser, an diesem Tisch wird das Grauen verhandelt: eine gespenstische Szenerie. Unter dem Tisch hockt bisweilen Felicia Chin-Malenski als Elektra, um mit grotesken Grimassen den Leit- und Leidspruch des Ganzen nachzuäffen: „Ich bin ein Mensch! Ich habe Angst!“ Es ist Agamemnon, der das als Erster sagt, und bald schreien ihn alle heraus.

Das alles generiert zweifellos starke Momente. Weil aber Robert Borgmann dem Theater und dem Narrativ in betonter Postdramatik misstraut, bleibt am Ende nicht viel hängen. Auch seine Musik, die er am Rand der Bühne selber gestaltet, entwickelt kaum eine überzeugende Wirkung, obwohl von „musiktheatraler Installation“ die Rede ist. Da wird entweder elektroakustisch irgendeine Atmosphäre ausgebreitet oder aber in beliebiger Geschwätzigkeit geklimpert. Wie kühn und großartig war dagegen die perkussionsbetonte Musik von Nico van Wersch in Agamemnon: wie ein fataler und fatalistischer Motor des Grauens.

Dass zudem Juliane Köhlers Klytämnestra im Vergleich zu Pia Händlers Interpretation der gleichen Rolle blass blieb, war ebenso der Regie geschuldet. Wer zwanghaft dem Theater das Theater austreiben möchte, riskiert holzschnittartiges Spiel. (Marco Frei)

 

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