Kultur

Miss Strangeworth (Johanna Eiworth, rechts, mit Anna Gesa-Raija Lappe) sät Zwietracht unter ihren Mitmenschen. (Foto: Gabriela Neeb)

28.03.2024

Fieser Fakestorm

„Die Möglichkeit des Bösen“ an den Münchner Kammerspielen zünden nicht richtig

Wenn das keine rosigen Aussichten sind: Schon das Bühnenbild (Ji Hyung Nam) gellt uns als greller Farbschrei in allen Rosatönen und in Grün entgegen. Dabei gleicht es einem Flügelaltar, in dessen Zentrum eine Art Wohnschrein mit Nippesausstattung steht. Und echt dufte ist auch, dass diesmal sogar Gerüche ins Spiel kommen. Denn gegen Ende zu durchströmt intensiver Rosenduft die Therese-Giehse-Halle der Münchner Kammerspiele.

Der aromatische Frontalangriff passt nur zu gut zu dieser Uraufführung der Kleinstadtfarce Die Möglichkeit des Bösen nach einer Kurzgeschichte von Shirley Jackson (1916 bis 1965). Schließlich ist die Hauptfigur darin eine ältere Dame (Johanna Eiworth), die vor ihrem Haus einen üppigen Rosengarten pflegt. Aber dass mit dieser schrillen Barbie-Oma-Idylle auf der Bühne etwas nicht stimmt, merkt man schon an den langen spitzen Stacheln, die überall aus den Wänden ragen. Sie sollen Rosendornen symbolisieren, erinnern aber eher an Kakteen. Auch der grüne Umhang, den die Rosenbesitzerin Miss Strangeworth über ihr rosa Kleid legt, ist mit solchen bedrohlichen Lanzenspitzen besetzt.

Die Stadt sauber halten

Eigentlich haben wir den Braten ja von Anfang an gerochen. Denn diese Geschichte variiert nur das ausgeleierte Motiv der seelischen Abgründe, die sich hinter der Oberfläche spießig-biederer Harmlosigkeit verbergen. Die allseits geschätzte Miss Strangeworth schreibt nämlich heimlich und unter lüsternen Verrenkungen anonyme Briefe an die Mitmenschen ihrer US-Kleinstadt, deren Glück sie mit frei erfundenen Verdächtigungen zerstört: Hier setzt sie einer Gattin den Floh ins Ohr, ihr Mann sei untreu, dort macht sie eine Kranke vor der Operation misstrauisch gegen den Arzt und den Neffen, der im Todesfall erben würde. Aber natürlich will sie dabei nur das Beste, nämlich ihre Stadt „sauber“ halten, denn sie weiß: „Die Menschen sind lüstern und böse, man muss sie im Auge behalten.“ Nicht ohne Grund schwebt über der Bühne eine obszöne Riesenrosenblüte, aus der gelegentlich ein Auge hervorblinzelt: Big sister is watching you.

Doch dieser vermeintlich sozialkritische Plot, ein harmloser Ableger des Dr. Jekyll und Mr. Hyde-Klischees, verströmt in Wirklichkeit den gleichen betulichen Mief wie die 1950er-Jahre-Welt, die er skizziert.

Und leider gilt Ähnliches teilweise für das berühmt-berüchtigte Zeitlupentheater von Marie Schleef, die den Text ausgegraben und inszeniert hat. Nach dem Motto „Geduld bringt Rosen“ zeigen hervorragende Darsteller*innen hier extrem verlangsamte, marionettenhaft federnde Bewegungen. Aber trotz der faszinierenden Optik und gelungener Filmeinblendungen samt Katzenvideo, trotz der schrägen Brechungen, die entstehen, weil der Text nur als Übertitel projiziert wird, während die Akteure fast nichts sagen: Insgesamt will der Verfremdungseffekt nie so richtig zünden – schon gar nicht im Vergleich zu Inszenierungen von Susanne Kennedy, die hier erkennbar als Vorbild fungiert.

Dabei böte der Stoff doch auch aktuelle Anknüpfungspunkte: Ist Miss Strangeworth, also die Täterin, die sich als Retterin geriert, nicht eine Metapher für die Herrschenden schlechthin, die, vom alten Rom bis heute, stets ihre Schweinereien mit einem hehren Zweck begründen? Von solchen Fragen unbehelligt, sah das Publikum alles in rosigem Licht und jubelte lange.
(Alexander Altmann)

 

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